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Währenddessen… (KW 16)

Währenddessen heute über eine fast vergessene Comicperle der 1970er Jahre: Wangaroo das Dschungelkind.

Alle Abbildungen © Gruner und Jahr AG & Co. (Bei der roten Blume handelt es sich um einen sich öffnenden Fallschirm.)

Kennt noch jemand den Comic-Szenaristen Roger Lecureux? Er war Autor von B-Ware wie Rahan (Bastei-Verlag, 1970er Jahre) und ist in Deutschland immer auch durch exklusive Auftragsarbeiten für Yps in Erscheinung getreten, die außerhalb von Yps kaum je aufgefallen sind. Captain York und Wangaroo, das Dschungelkind entstammen seiner Feder.

Die meisten Yps-Exklusivproduktionen wirken auf mich sperrig, nicht zuletzt wegen der oft uninspirierten Farbgebung und des öden Maschinenletterings. Ich fand da schon als Kind wenig Zugang dazu und das schließt leider auch die Peter-Wiechmann-Produktionen ein. (Einzig die Hingabe, mit der Wiechmann in den letzten Jahren seines Lebens dafür gesorgt hat, seine Comics noch einmal in opulenter Aufmachung neu herauszubringen, stimmen mich wohlwollend. Vielleicht sollte ich doch noch einmal einen Blick riskieren?)

Das Lettering und die Farbgebung lassen in den allermeisten Wangaroo-Episoden keine Wünsche offen.

Lecureux‘ Serie Wangaroo das Dschungelkind dagegen beeindruckte mich. Vielleicht liegt es allein am Handwerk des Zeichners Juan Arranz, dem es gelang, Lecureux‘ trivialer Urwaldstory Leben einzuhauchen, vor allem aber ist Wangaroo, anders als beispielsweise der zur gleichen Zeit entstandene Captain York, stets mit Liebe zum Detail koloriert und hat ein stimmiges Handlettering erhalten, nach dem man sich auch heute noch bei vielen Comicserien vergeblich sehnt. Wangaroo zieht einen vom ersten Panel an in die Handlung. Auch was Seitenkompositionen und Bildfolgen angeht ist Wangaroo spendabel und schwelgerisch.

Die Handlung ist zunächst eher schlicht. Ein Dschungelkind wächst unter Affen im Urwald von Borneo auf, irgendwann erwächst in ihm der Wunsch, andere Menschen zu treffen. Und auch von Seiten der Zivilisation her bemüht sich jemand um Annäherung: Der Reporter Carl Brayer vermutet, dass ein Wissenschaftler namens Professor Carper und dessen Frau, die vor 10 Jahren in einem Feuer im Dschungel ums Leben gekommen sind, ein Kind im Urwald hinterlassen haben. (Die Arbeit des Forschers war es, afrikanische Tiere in Borneo auszuwildern, das Durcheinander in der Tierwelt ist also geringfügig motiviert.) Da sollte doch die Annäherung nicht so schwer gehen, sollte man meinen, wenn Herr Brayer schon in einer der ersten Episoden das Kind aus seinem Doppeldecker heraus sichtet und dieses ihm zuwinkt. Aber weit gefehlt: Ein ums andere Mal verpasst man sich. Mal ist ein Unfall schuld daran, dass man sich verpasst, mal liegt es an schurkischen Orang Utans, die einen Strich durch die Rechnung machen. Mal denkt Wangaroo aus gegebenem Anlass, dass alle Menschen böse sind und verweigert sich, mal glaubt Brayer, dass Wangaroo ihn ablehnt und nichts mit ihm zu tun haben möchte und macht seinerseits einen Rückzieher.

Wangaroo ist eine Serie voller Sehnsucht und Hoffnung, die immer wieder enttäuscht, dann doch wieder neu geweckt wird. Es ist eine Quest reduziert auf den elementaren Kern: Fernweh und die Hoffnung, dass hinter dem Ozean vielleicht das liegt, was man sucht. Ich kenne wenige Serien, in denen Wasser und Weite schöner in Szene gesetzt sind. Es hilft natürlich auch, dass Juan Arranz sowohl Tiere aller Art als auch die Technik des angehenden Jahrhunderts perfekt in Szene zusetzen versteht. Dampfschiffe und Doppeldecker waren schon glamouröse Vehikel. Auch seine Figuren sehen stets so aus, als würde man sofort gerne mit ihnen auf Reisen gehen.

Der sprechende Vogel führt die Menschen in die Irre und belügt Wangaroo.

Erzähltechnisch haben sich Arranz und Lecureux manchmal etwas von Folge zu Folge gehangelt und durchaus grob nachjustiert, wenn die Erzählung in der vorangegangen Folge mal wieder etwas zu vorschnell mit Entwicklungen war. Mal wird einer der Löwen erschossen, die Wangaroo eigenhändig aufgezogen hat, ein paar Folgen später ist das Löwenpaar doch wieder vereint, mal fällt der Oberschurke in die Hände der Helden, in der Fortsetzung waren es doch nur dessen Handlanger usw. usf. Das schmälert aber keineswegs das Lesevergnügen, denn diese kleinen Schnitzer sind total leicht wegzublenden und könnten bei Überarbeitung schnell ausgemärzt werden. Viel wichtiger ist, dass die Story über Jahre hinweg einen tragfähigen Spannungsbogen entwickelte und regelmäßig auf spektakuläre Höhepunkte zusteuerte. Auch zwiespältige Elemente fanden bald Eingang in die Story. So gibt es beispielsweise in der Folge „Der sprechende Vogel“ einen sprechenden Papagei, dem Wangaroo vertraut. Also schickt das Kind diesen der Expedition von Carl Brayer entgegen, auf dass er die Menschen, die Wangaroo finden wollen, endlich zu ihm führt, aber das listige Tier führt die – tatsächlich teilweise dubiosen Menschen – stattdessen in gefährliche Sümpfe und erzählt Wangaroo, dass da keine Menschen waren. Und dann ist da noch die Geschichte des Sultans, der denjenigen, der das Dschungelkind findet, in Gold aufwiegen möchte, weil es sein verschollener Enkel ist. Die Frau des Forschers war nämlich die Tochter des Sultans und so führt eins zum anderen.

Die spannenden Verwicklungen nachzuerzählen, die sich mit Piraten, Dampfern, ehrlichen Forschern, habgierigen Abenteurern, chinesischen Weisen, freundlichen Schimpansen, verschlagenen Orang Utans und schurkischen Thronerben ergeben, fehlt hier der Platz. Es gibt Kraken, die Schätze bewachen, blutrünstige Kannibalen, friedliebende Eingeborene, wahnsinnige Schiffbrüchige, geheimnisvolle Skelette im Wald, Gegenstände, wie Feuerzeuge, Ferngläser und Buschmesser, die im Urwald wie Schätze behandelt werden, hohe Berge, auf denen rettende Heilkräuter wachsen, moderne Maschinengewehre, dass dem kindlichen Leser die Kinnlade runterfällt, weil er oder sie sich wundert, so etwas Brutales überhaupt lesen zu dürfen. Und das alles – ich muss es noch einmal wiederholen – wirkt nur deswegen so prall, weil Arranz dem Tableau, das er ausbreitet, wirklich Raum zum Atmen gibt. Ich habe diesen Zeichner mit Wangaroo wirklich schätzen gelernt.

Fernweh, Meer, Schiffe, Fremde, Exotik, Abenteuer. So romantische Comics findet man gar nicht so häufig.

Wer sich für alte Wangaroo-Episoden oder überhaupt für alte Yps-Geschichten interessiert, dem lege ich die Yps-Fanseite ans Herz, in der lückenlose Checklisten und vieles mehr zu finden sind.

 

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