Christian stellt uns eine unterschätzte Serie von 1954 vor.
Christian: Wenn es in einem Comicheft der 1950er Jahre einen Cliffhanger gab, konnte man normalerweise sicher gehen, dass im nächsten Heft alles sein gutes Ende nehmen würde. Stürzte Sigurd in einen Abgrund, so war selbstredend im nächsten Heft ein Ast an der richtigen Stelle, um den Sturz aufzuhalten.
Bei Hansrudi Wäschers Serie Jörg von 1954 war das nicht so sicher. Die Serie spielte im Dreißigjährigen Krieg und in der ersten Episode wird Jörgs Heimatdorf, welches bisher vom Krieg verschont geblieben ist, von Schweden überrannt. Alle fliehen, auch Jörg, seine Geschwister und seine Mutter, nur der Vater Bertold bleibt zurück, um sein Gut vom Schlimmsten zu bewahren. Es nimmt die schlimmstmögliche Wendung. Zunächst scheint es, als ließen sich die Besatzer von dem Zurückgebliebenen nur bewirten, aber dann kommt der Obrist der Gruppe auf die Idee, den Vater auf eventuell versteckte Gulden anzusprechen. Bertold verneint, etwas zu haben, und so wenden die Schweden Folter an. Das beobachtet auch Jörg, der zurückgekehrt ist, um seinen Vater doch noch zur Flucht zu überreden. Wird er seinen Vater retten können?
Jörg gelingt es, den Vater zu befreien und zunächst finden sie eine Zuflucht. Die perfiden Schweden aber nutzen Bertolds treuen Hofhund, um ihn doch noch aufzuspüren und so nimmt die zunächst hoffnungsvolle Wendung doch noch ihr schlimmes Ende. Jörg indessen kann einem totbringenden Schwertstreich des Schwedenobristen nur entgehen, da der treue Hund den Feind anfällt und mit diesem in einen tiefen Brunnen fällt, womit auch gleich das treue Tier sein Ende findet. So morbide war Hansrudi Wäscher selbst in seinen frühen Jahren, bevor die Zensur den Comics die Spitze nahm, selten.
Die weiteren Wendungen der ersten Storyline stehen dem großen britischen Kriegscomic Charley’s War an Ruppigkeit und Intensität kaum nach. Jörg wird nun in die Schwedenarmee gepresst und schließt dort Freundschaft mit einem jungen Mädchen namens Lena, die sicherlich schon so allerhand gesehen hat und entsprechend abgebrüht ist. Als Jörg im Folgeheft den schurkischen neuen Obristen, der sich seinen Rang durch Leichenfledderei erworben hat, aus Gründen der Nächstenliebe aus einem Sumpf retten will, zwingt Lena den Jungen mit vorgehaltener Pistole, von seinem Rettungsversuch abzulassen. Stattdessen bekommt der wehrlose Obrist eine Kugel.
Die Serie Jörg etabliert vom ersten Heft an eine Atmosphäre von Zerstörung, Krieg und Angst, die so gar nicht zum üblichen Oeuvre des Zeichners passen mag. Die Hefte haben Titel wie „Heimat in Flammen“, „Der Teufel hält Einkehr“ oder „Der Schwarze Tod“. Auch sprachlich ist die Serie roh und geflucht wird viel: „Ausrotten will ich euch, verdammtes Bauernpack“, sagt der Obrist. „Alle sollt ihr zur Hölle fahren.“
Andreas C. Knigge schreibt in seinem Hansrudi Wäscher-Buch Allmächtiger!, dass für die Hefte 9 und 10 ein Indizierungsantrag gestellt wurde und Heft 9 tatsächlich indiziert wurde. Darin soll Jörg wegen Hochverrats am nächsten Baum aufgehängt werden, in letzter Sekunde findet sich dann jedoch der richtige Verräter, der dann auch sofort an Jörgs Stelle am Baum sein Ende findet. Auch wenn Hinrichtungsszenarien häufig in Comics vorkamen, verblieben die Comics doch stets bei Andeutung und Drohung, jeglicher Vollzug von Todesstrafe blieb in aller Regel aus. Die Angst war groß, dass Kinder sonst anfangen, Hinrichtungen nachzuspielen. In Jörg jedoch ist der Tod ständig präsent.
In der zweiten Hälfte ihrer Laufzeit verliert sich die bis dahin atmosphärisch dichte Reihe mehr und mehr im Episodischen. Wichtige Figuren der frühen Hefte werden einfach fallen gelassen und Jörg führt stattdessen in recht konventioneller Erzählweise Aufträge für den General Waldstein aus. Es blieb zunehmend spannungsfrei, dennoch gelangen Hansrudi Wäscher bis zuletzt schöne Stadtansichten der Epoche. Kleidung und Dekors waren vielfältiger als in seinen üblichen, eher ahistorischen Serien.
Ach was hätte das werden können, wenn die Serie nicht aus Angst vor der Zensur eingestellt worden wäre. Vorstellbar ist aber natürlich auch, dass die ersten Hefte den damaligen Szenaristen Gerhard Adler in einmaliger Topform zeigten. Ab der Nummer 14 schrieb dann Rasmus Jagelitz die Geschichten, der sich mit recht konventionellen Abenteuergeschichten ohne besondere Akzente begnügte. Bevor die Ära begann, in der Wäscher selbst seine Stories erzählte, war das Experiment Jörg dann schon längst beendet. Insgesamt gibt es 20 Jörg-Hefte.