Wir wünschen allen unseren Lesern ein frohes, erfolgreiches 2021.
Im ersten Währenddessen des neuen Jahres stellt uns Niklas einen wichtigen Roman von Roger Zelazny vor. Christian hat sich währenddessen ein Dracula-Sequel angesehen.
Christian: Zur Weihnachtszeit habe ich mir neben einigen aktuellen TV-Ereignissen, z.B. der famosen neuen Serie The Queen’s Gambit auf Netflix, einige vergessene Klassiker gegönnt, die es wert sind, neu entdeckt zu werden. Zum Beispiel die Hammer-Produktion Blut für Dracula von 1965.
Mit diesem Film erst, der sieben Jahre nach dem ersten Hammer-Dracula entstand, begann die schier endlose Reihe von Dracula-Streifen mit Christopher Lee. Terence Fishers Regie greift hier ein erzählerisches Element vorweg, was Sean S. Cunningham in den 1980er-Jahren in seinen Freitag der 13.-Slashern vollends zum Erzählprinzip machte. Man sieht in einer Anfangssequenz die finale Szene des Vorgängerfilms, in der das Monster besiegt wird. Danach geht die Handlung mehr oder weniger nahtlos weiter – und siehe, das Monster ist noch da.
In Blut für Dracula dauert es immerhin bis zur Mitte des Films, bis Draculas Diener das Aschehäufchen, das mal Dracula war, in einer schaurig-blutigen Opferzeremonie mit frischem Blut wieder zu neuem Leben verhilft. Am Ende des Films bleibt jedoch bleibt kein Zweifel daran, dass die nächste Fortsetzung nicht so lang mit dem Auftritt von Christopher Lee warten würde: Dracula gerät im Endfight auf Eis, in das er einbricht und ertrinkt – für einen Vampir ein eher unüblicher Abgang. In der letzten Szene sehen wir Draculas zu Eis erstarrtes Gesicht. Ist er auf diese Weise besiegt? Wohl kaum.
Auch John Carpenters Halloween endete 1978 im Unbestimmten, als Professor Loomis am Ende des Films auf Michal Myers schießt und dieser am Ende doch nicht da liegt, wo er hätte landen sollen, sondern im blutigen zweiten Teil (1981) munter weiter stapft. Aber es war Freitag der 13., der dieses Element auf die Spitze trieb. Jason Vorhees wurde zum Ende jeden Films eigentlich nur noch vorrübergehend zwischengeparkt, z.B. am Grund des Crystal Lake mit einer schweren Kette um den Hals.
Die hochwertig produzierte Blu Ray von Blut für Dracula (Anolis) ist nicht ganz billig, besticht aber durch hervorragende Farbqualität, zahlreiche Extras und immerhin drei verschiedene Audiokommentarspuren. Gerade, wenn man sich für die ganze Reihe interessiert, sollte man sich nicht abgeschreckt fühlen, hier zuzugreifen, denn die anderen Christopher Lee-Draculas sind preisgünstig zu finden. Ich halte Blut für Dracula für den besten Film der Reihe. Hier ist das Prinzip des Endlos-Horrors noch frisch und unverbraucht. Und während der erste Teil mit dem Originaltitel Horror of Dracula trotz einiger Verfremdungen den Vergleich mit der Literaturvorlage provoziert, fällt auch dieser Erwartungsdruck vom Sequel ab.
Niklas: Ich möchte das Jahr gut beginnen, also stelle ich diese Woche ein richtig gutes Buch vor. Lord of Light von Roger Zelazny erschien 1967 und gewann den Hugo und den Nebula Award. Bis heute bezeichnen Fans von Zelazny den Roman als sein bestes Buch und ja, es stimmt.
Lord of Light legt eine interessante Mischung aus Science-Fiction und Fantasy vor. Die Menschheit hat einen fernen Planeten unter ihre Kontrolle gebracht und der Großteil der Bevölkerung lebt in vergleichsweise mittelalterlichen Zuständen. Die Elite dagegen residiert in einer hochtechnisierten Wolkenstadt und lässt sich als Mitglieder des hinduistischen Götterpantheons verehren, vor allem da sie die Kunst, den eigenen Geist in einen neuen Körper zu transportieren, perfektioniert haben. Einer von ihnen wehrt sich jedoch dagegen und startet eine Rebellion. Er ist der Buddha, aber ihm gefällt es besser, wenn man ihn Sam nennt.
Lord of Light ist einer der anspruchsvollsten Romane des Fantasy- und des Science-Fiction-Genres. Das liegt nicht nur an Zelaznys doppeldeutigen und poetischen Einsatz von Sprache, sondern auch daran, dass die Geschichte größtenteils nicht linear erzählt wird. Auch Erzähler*innen und Erzählzeit wechselte Zelazny gerne mal. Vor allem gegen Ende passiert es schnell, dass zwischen der abgeklärten Perspektive Sams zu einer sehr blumig überlieferten Legende gesprungen wird, die die Geschichte in einem ganz anderen Kontext verpackt. Diese stilistischen Spielereien bereichern Lord of Light ungemein, da Zelazny so auch zeigt, wie letztendlich alle Geschichte endet: erst kommt das was passiert, dann das was aufgezeichnet wird und am Ende ist alles so legendär, dass größtenteils nicht mehr auseinandergehalten werden kann, wo Fakt oder Fiktion beginnen. Die Menschen interessiert auch nicht, was wirklich geschah. Sie interessiert nur das, von dem sie glauben, dass es geschah.
Aus diesem Grund funktioniert auch Sam als Hauptfigur so gut, da Manipulieren und Betrügen bereits in seiner Natur liegt und er mit wenig Mühe die Leute glauben lässt, dass sie von sich aus gegen die falschen Götter rebellieren wollen. Wie jeder gute Lügner gibt er nur zu gerne zu, einer zu sein. Er widerspricht nicht einmal, dass die Grundlagen seiner Religion aus historischen Archiven der alten Erde gestohlen wurden. Solange die Leute glauben, dass er der Buddha ist und er so sein Ziel erreicht, ist ihm alles recht. Damit wird auch thematisiert, dass er sich hierbei den Glauben und die Ideen einer anderen Kultur aneignet und für seine Zwecke missbraucht, womit Zelazny auf einer Metaebene die Leser*innen darauf anspricht, dass er eigentlich auch nichts anderes gemacht hat. Er hält die Mythologie und Charaktere allerdings so vage, dass die Geschichte nicht darin mündet, andere Kulturen und Religionen nur der Exotik wegen auszunutzen.
Bei einer Szene bin ich jedoch bis heute unsicher. Es handelt sich dabei um den Umgang mit einem der wenigen Charaktere, die man heute als nonbinär oder Trans bezeichnet würde. Diese Figur wird von Sam gehässig provoziert und verspottet, eben weil sie nicht den Normen der 1960er entspricht. Einerseits muss man im Kontext der Handlung sehen, dass die betreffende Figur ein richtiges Ekel ist, dennoch fand ich Sams Bemerkungen bereits 2011, als ich den Roman das erste Mal las, gemein. Davon abgesehen tritt ein weiterer nonbinärer Charakter auf, der als sympathisch und faszinierend dargestellt wird. Zu schade, dass er nur eine geringe Rolle in der Handlung spielt.
Lord of Light hat sich erstaunlich gut gehalten. Das liegt abseits des Stilistischen vor allem am zeitlosen Setting, spannenden Kampfszenen und faszinierenden Charakteren. Die Themen sind ebenfalls zeitlos. Es geht um die Rebellion gegen ein ungerechtes System sowie die Ausnutzung von Symbolen, um Ausbeutung zu rechtfertigen. Es geht aber auch darum, dass am Ende nur Handlungen im Jetzt zählen; alles andere wird Teil von Legenden, von denen die Menschen nur die behalten werden, die sie behalten, während alle anderen schon vor langer Zeit zu Staub verfallen sind.