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Comicfestival München 2025 – Ein Tag ist nicht genug

Es liegt ein Schatten der verpassten und der verspäteten Chancen über dem Münchner Comicfestival 2025. Und trotzdem ist das Festival noch so viel mehr.

Gegen die Sonne fotografiert, wirkt die Alte Kongresshalle dunkel. Aber es war HEISS.

Verspätete Chancen zum Beispiel, wenn man sich das Leben des diesjährigen Peng-Preisträgers Chris Scheuer betrachtet: Was hätte sich daraus für eine gewaltige Comic-Karriere entwickeln können, wenn er zu anderer Zeit an anderem Ort in Erscheinung getreten wäre. Aber Scheuer hat sich eben nach vielversprechenden ersten Jahren erstmal zurückgezogen aus dem Comicsektor. Jetzt ist er wieder da und seine Arbeiten sehen immer noch hinreißend aus. Kein Grund für Melancholie. Er brennt wieder für die Sache.

Damals bei Alpha: Chris Scheuers Mary Jade.

Ebenso fällt mir dazu die Comicserie Max und Luzie ein, deren erste beiden Bände einer Gesamtausgabe (Kult Comics) hier in München zum Verkauf angeboten werden. Jahrzehntelang blieb der wunderschöne Werbecomic der Allianz-Versicherung unterm Radar und wurde von der Comicszene nahezu nicht registriert, dabei konnte der Zeichner Franz Gerg problemlos auf dem Niveau klassischer Spirou-Zeichner arbeiten (und war einer der wenigen Comiczeichner, die vom Comicmachen leben konnten). Wieder war es das Los der falschen Zeit und des falschen Orts. Immerhin gibt es jetzt späte Ehre und echte Anerkennung durch eine liebevoll gestaltete Gesamtausgabe des Kult-Verlags mit wunderbarem Dokumentarteil und einem Vorwort von Gerhard Förster, dem umtriebigen Wiener Comic-Aktivisten, der uns von 2008 bis 2025 das beste Sprechblase-Magazin aller Zeiten beschert hat. Zeichner Franz Gerg und seine Partnerin Monika Sattrasi waren sichtlich gut drauf, als ich sie am Festival antraf und haben enthusiastisch ihre Bände signiert und ihre Figuren reingezeichnet – und sie freuten sich über kreative Anregungen, welche Pose eine Figur denn einnehmen könnte. (Z.B. Freude, siehe Bild.)

Verpasste Chancen: Egmont war nicht da, Splitter war nicht da, Panini war nicht da, wodurch das Festival erstaunlich klein wirkte. Aber es gab Andreas Deja, seit Jahrzehnten Animationskünstler in den Walt-Disney-Trickfilmstudios, der Vorträge und Kurse hielt, die, wie man hört, sehr unterhaltsam, aufschlussreich und anregend waren. Einen kulturellen Schwerpunkt wie China oder Großbritannien gab es diesmal nicht, aber mit einer Ausstellung zu Clever und Smart von Francisco Ibáñez streifte man Spanien, mit einer Ausstellung zu Paolo Bacilieri inklusive persönlicher Anwesenheit des Künstlers gab es etwas Italien, Moga Mobo setzten ihr Engagement für Comics aus der Ukraine fort, der Brite Dave Gibbons war da samt toller Watchmen-Drucke und einer Ausstellung, Ralf König und Alexander Jakubowski stellten ihr gemeinsames König-Jubiläumsbuch vor, Erinnerungskultur wurde gelebt, deutsche Künstler*innen stellten eindrücklich aus, wie lebendig die Szene ist, und dank Joshua Dantes durften wir viel über Comics aus den Philippinen lernen, sofern wir zur rechten Zeit am rechten Ort waren. (Das Panel über norwegische Comics habe ich leider versäumt.)

Andreas Prill und Joshua Dantes.

Das Interview, das Andreas Prill mit Joshua Dantes vom Dantes Verlag über dessen Entdeckung von philippinischen Comics führte, war ein Erlebnis. Was für eine Welt sich da auftut. Ursprünglich wurde Dantes Interesse an den Philippinen mit einer Anfrage geweckt, ob er den philippinischen Comic Alex Nino veröffentlichen wolle. Dann kam der glückliche Umstand  dazu, dass die Philippinen Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2025 sind – und plötzlich fand sich Josh Dantes mit einer Delegation von Verlegern zu Besuch auf den Philippinen, knüpfte Kontakte und wurde tatsächlich weltweit zu einem der wenigen Verleger, die überhaupt philippinische Comics im Portfolio haben.

Dabei sind philippinische Künstler keineswegs unbekannt, viele arbeiten für den amerikanischen Mainstream – da will man doch sicherlich mal wissen, wie deren persönlicheren Arbeiten abseits des Mainstreams aussehen. Mich erinnern die Inhaltsangaben des Vortrags an meine persönliche Erstbegegnung mit den chinesischen und taiwanesischen Comics des Chinabooks-Verlags. Es wird auf verschiedenste Weise das moderne Leben mit den Geister- und Götterwelten des Landes in Beziehung gebracht, es wird die Kolonisation thematisiert, aber auch Krimis und Zombiegeschichten finden sich darunter, natürlich eigenwillig und neuartig, und auf einmal machen auch ausgelutschte Genres wieder Spaß. (Von der Serie Trese, das sei nebenbei bemerkt, gibt es auch eine Zweitauswertung als Netflix-Serie.)

Leider kam das Künstlergespräch mit Paolo Bacilieri am Freitagvormittag nicht zustande, da der Künstler sich aus Italien verspätete, also verirrte ich mich in Heiner Lünstedts Gespräch mit Gerhard Förster, wo es um dessen Abschied von der Sprechblase ging. Genüsslich grillte Lünstedt den Wiener und konfrontierte ihn mit diversen Marotten und dessen Schwierigkeiten, Arbeit zu delegieren, aber Gerhard Förster konterte immer sehr unterhaltsam und machte das Gespräch zum launigen Plausch.

Gerhard Förster im Gespräch mit Heiner Lünstedt.

Und lustig ging’s weiter mit der Gruppe Machandeltal, drei Musikern aus der DDR, die ihrer alten Band einen biografischen Comic unter den Vorzeichen von Revolution und Wende widmen. Vor allem, weil die Story sehr assoziativ durch die Zeit flitzt, ist das schönes Kopfkino, und kompetent gestaltet ist es auch. Das Trio präsentierte den Comic als musikalische Lesung und spielte dabei immer wieder alte Musikstücke an, unter anderem die gelungene Ost-Version von „Sitting on the Dock of the Bay“, schönster Deutschrock mit dem Refrain „Ich wär so gern in Berlin“. Der Text hat mehr Witz als das Original und ist gut gereimt. Ja, gute deutsche Versionen von englischsprachigen Klassikern waren mal ein Genre für sich.

Entschuldigung an Machandeltal, dass es aus dieser Perspektive so leer aussieht. Tatsächlich war die Veranstaltung nicht schlecht besucht.

Es wäre eine zu billige Ausrede, zu sagen, dass es für mich keine Zeit gab, die Ausstellungen in der Innenstadt anzusehen, weil ich das Programm auf den Bühnen der Kongresshalle zu sehr mochte. Nein, ich mochte mich schon deshalb nicht von der Theresienhöhe entfernen, weil hier einfach immer was los war. Den Rest der Zeit habe ich dann damit verbracht, mir die üppigen Stände von Reprodukt, Avant, Plem Plem, Carlsen/Ultra Comix, Pictopia, U-Comix, Jaja, Schreiber und Leser und viele andere mehr anzusehen. Im Herzen des Saals gab es eine wunderbare Vielfalt von Kindercomics diverser Verlage, die einen staunen ließ, wie vielfältig und hochkarätig das Kinderprogramm abseits von Disney und Micky Maus ist. Und Eckart Schott von Salleck hatte für den schicken neuen Buck-Danny-Band unter dem Motto „Die Anfänge“ das Künstler*innenpaar Guisseppe de Luca und Ketty Formaggio dabei, die in gemeinsamer Arbeit schöne Porträts des Piloten in die Bücher malten (de Luca die Outlines, Formaggio die Aquarellfarben). Das war mal eine hübsche Signatur.

Schön signiert.

Beim Anstehen konnte ich mich schon mal versichern, dass der Autor Yann eine fantastische Hommage an den alten Fliegerklassiker gescriptet hat, die Giuseppe de Luca im besten Hubinon-Stil aufs Papier brachte. Dabei ist der Stil keine plumpe Kopie, da Yann und de Luca schlicht und einfach Dinge zeigen und erzählen, die Hubinon und Charlier ihrerzeit a) nicht durften (u.a. Bezugnahme auf seinerzeit aktuelle Konflikte) bzw. b) kein Interesse daran gehabt hätten, z.B. Familienszenen oder eine zweiseitige Rückblende ohne Text, in denen Buck in Jugenderinnerungen schwelgt. Am Stand gab es auch zwei Originalseiten des Künstlers. Echte Tuscharbeit auf Papier, doppelt so groß wie das Original. Als ich die eigentlich tadellose gedruckte Version daneben hielt, verblasste diese schier im Vergleich, man vergisst dann leicht, was für einen tollen Eindruck das Album tatsächlich macht. Buck Danny ist sicher nicht für jedermann. Trotzdem: Für den ersten Band von Buck Danny – Die Anfänge kann ich guten Gewissens eine Leseempfehlung aussprechen.

Jetzt verstehe ich wieder, was an Artist’s Editions so unheimlich reizvoll ist.

Beim flüchtigen Blick mag das Münchner Comicfestival 2025 klein und unbedeutend gewirkt haben, zu wenig jugendlich, zu sehr für den Sammler gesetzten Alters mit Rollkoffer. Aber gerade kleinere Festivals wie dieses profitieren von einem guten Begleitprogramm, und das konnte man auf den Bühnen erleben. Zahlreiche Künstler*innengespräche wurden geführt, Performances wurden abgehalten – für mich persönlich war die Präsentation über die Philippinen das erhellende Highlight. Das Eintauchen in eine neue Kultur und das Erweitern des persönlichen Horizonts ist niemals altbacken.

Wünschenswert für die Zukunft wäre natürlich eine Rückkehr der großen Player; wichtiger ist aber auf alle Fälle die Anwesenheit interessanter Künstler wie Achdé, Paolo Bacilieri, Elfric Dufau oder Andreas Deja in diesem Jahr. Solange das klappt, muss man sich um die Qualität des Festivals keine Sorgen machen. Einzig ein breiterer thematischer Fokus auf Themen wie Comics aus Großbritannien oder Hong Kong wäre für die Zukunft wieder wünschenswert.

Natürlich ist dieser kleine Text nicht mehr als eine subjektive Bestandaufnahme aus meinem eigenen Tunnelblick heraus. Man konnte das Festival, je nach Veranlagung, auch völlig anders wahrnehmen und völlig andere Schwerpunkte setzen, z.B. Flanieren durch die Galerien der Innenstadt oder Besuch der Filmvorführungen im Werkstattkino. Man erkennt so schnell den Charme eines etwas kleineren und trotzdem engagierten Festivals. Man fühlt sich nicht völlig überwältigt, schafft es aber dennoch kaum, das Angebot zu bewältigen. Ich hatte leider nur Donnerstag und Freitag Zeit, nächstes Jahr werde ich mich bemühen, wieder zwei Nächte zu kommen. Danke für dieses wunderbare Festival.

Donnerstagabend, kurz vor Schluss.

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