Es war einmal – so erzählt es uns die Einleitung von Heaven Official’s Blessing, im Herzen Chinas ein Land namens Xianle, das steht für „Himmlische Seligkeit“. Xianle war ein großes und blühendes Reich, dessen größte Schätze „bezaubernde Frauen, betörende Musik und Dichtung, Gold und Juwelen und ein weithin berühmter Kronprinz“ namens Xie Lian waren.

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Dieser Kronprinz war mit außergewöhnlichen Gaben gesegnet und rettete mal einem jungen Mann, der von einer Brücke stürzte, das Leben. Ein anderes Mal besiegte er einen bösartigen Dämon. Jedoch, mit gerade einmal siebzehn Jahren überstand er ein „himmlisches Verhängnis und erhob sich zu den Göttern.“ Ein früher Tod also? Wir erfahren schnell, wie durchlässig die Schranken zwischen dem Diesseits und dem Jenseits in dieser chinesischen Traumwelt sind, zumindest für wichtige Persons of Interest, denn schon drei Jahre später fällt der Kronprinz wieder aus der Gunst der Götter und findet sich erneut in der Welt der Sterblichen. Von dort erhebt er sich ein zweites Mal in den Himmel, aber dieser zweite Aufstieg missrät „zur Farce“ – der Kronprinz überwirft sich mit dem obersten Kriegsgott und wird erneut verbannt:
„Die Götter waren alarmiert. Würde der Verstoßene sich aus Wut über seine neuerliche Demütigung an den Sterblichen rächen?“
Aber Xie Lian ist ein integrer Typ. Demütig erlernt er das Spielen von Instrumenten, schlägt sich als Straßenmusiker durch und verdient sich sein Geld durch das Einsammeln von Trödel mit einem Karren – „und so verkommt er vollends zum Gespött der drei Sphären von Göttern, Menschen und Geistern“. Was sich in dieser Zusammenfassung alleine schon wie ein Epos von 3000 Seiten liest, nimmt im vorliegenden ersten Band der Manhwa-Reihe gerade einmal 16 Seiten ein und dient lediglich als Vorgeschichte für Xie Lians dritten Aufstieg in den Himmel. Das ist kühnes Worldbuilding in einer vielschichtigen Welt und bietet definitiv Potenzial für unendliche Abenteuer.
Heavens Official’s Blessing ist die Adaption einer international erfolgreichen Reihe von Light Novels der Autorin Mo Xiang Tong Xiu (MXTX), ebenso existiert bereits eine Anime-Adaption, die sich auf dem Streaming-Kanal Crunchyroll abrufen lässt. Nichtsdestotrotz dürfte die vorliegende Adaption der Künstlerin STARember Fans der Reihe ein weiteres Mal begeistern, denn die Bilder überzeugen in ihrem perfekten Zusammenspiel von Klarheit und Detailfreude. Verspielt geht es zu in diesem Genre-Blend zwischen Xianxia (chinesischer High Fantasy) und Danmei (chinesischer Boy Love). Das Boy-Love-Thema ist im ersten Band zunächst aber noch kein Thema, leidglich das androgyne Auftreten des Kronprinzen fällt von Anfang an auf.
Das Verspielte findet sich unter anderem in der Art und Weise, wie die Götter sich in einer telepathischen Matrix über weite Distanzen hinweg unterhalten, was nicht von ungefähr der Kommunikation mit Smartphones ähnelt – sogar Emojis sind in dieser göttlichen Interaktionsform mitgedacht (zumindest in der visuellen Darstellung von STARember). Aber auch die Grundprämisse, unter der Xie Lians Abenteuer ihren Lauf nehmen, wirkt spielerisch: Der Kronprinz wird von der Herrin des Himmels vor die Aufgabe gestellt, 8888000 Karmapunkte zu sammeln um wieder in den Himmel zu dürfen, außerdem benötigt er einen Tempel und eine respektable Anzahl an Verehrern. Während das vergleichsweise technisch und bürokratisch klingt, erweist sich Xie Lians erstes Abenteuer, die Jagd nach einem „Geisterbräutigam“, der junge Bräute auf der Reise zu ihrem Bräutigam entführt, als atmosphärische Geistergeschichte. Xie Lian verkleidet sich als Frau, um den Geisterbräutigam anzulocken, was STARember schon früh Gelegenheit bietet, die Verwischung der Geschlechtergrenzen auf die Spitze zu treiben.

Krack …
Manchmal ist den Bildfolgen, gerade in den Actionsequenzen, nicht an jeder Stelle leicht zu folgen – was passiert, erschließt sich teils erst durch erklärende Dialoge im Nachhinein. Ich erkenne hier meine relative Unerfahrenheit mit der Lektüre asiatischer Comics und erinnere mich an meine Erstbegegnungen mit chinesischen Filmen wie Ein Hauch von Zen, Hero oder House of the Flying Daggers. Alle diese Filme sind gegenüber westlichen Sehgewohnheiten sehr anders, in ihrer eigenartigen Schönheit faszinieren sie aber doch auf eine ganz besondere Weise. Heaven Official’s Blessing nehme ich auf ähnliche Weise wahr.
Der zweite Geschichtenzyklus im zweiten Band von Heaven Official’s Blessing ist deutlich einfacher zu erfassen und demonstriert eindrücklich, wie perfekt STARember intensive Gefühle in Bilderzählungen fassen kann. Der zweite Zyklus handelt davon, wie Xie Lian einen Ort für seinen Tempel sucht und findet und dabei auf einen jungen Mann trifft, der ihn mit seinem Wagen durch eine unheimliche Nacht voller Geistererscheinungen begleitet. Die Art und Weise, wie sich zwischen den beiden über weite Erzählpassagen hinweg nach und nach ein Band der Zuneigung entwickelt, ist große visuelle Erzählkunst. STARember hat eine sehr eigenwillige Art, sich MXTX‘ Geschichte anzueignen, die Art und Weise, wie sie Momente der Ruhe und der Zuneigung in Szene setzt, ist aber schlicht atemberaubend.
Aber wird die Liebesgeschichte zwischen Xie Lian und San Lang auch das nächste Reiseabenteuer überstehen und das folgende Abenteuer, in dem es wieder darum geht, dass Xie Lian sein Karma aufbessert, uns ebenso begeistern wie die romantische Nummer 2? Durchaus, Mo Xiang Tong Xiu und STARember werden in den folgenden Bänden noch zeigen, dass Heaven Official’s Blessing kein romantischer Kitsch ist. Die folgende Geistergeschichte (Geisterbegegnungen sind der rote Faden der Serie) ist vielschichtig, düster, unheimlich – gleichzeitig arbeiten die Erzählerinnen an der Figurenentwicklung weiter, so dass die ursprüngliche Leichtigkeit und das nun thematisierte Grauen vergangener Kriege ein zunehmend faszinierendes Gefühlsspektrum auffächern. Der gelungene Erzählrhythmus tut dabei sein übriges, dass man das Buch nicht aus der Hand legen möchte, bevor man nicht auch noch das nächste Kapitel gelesen hat, und das nächste, und das nächste …

Kleiner Eindruck vom beigefügten Postkartenset.
Lettering, Druckqualität, Übersetzung, auch die Fadenbindung lässt keine Wünsche übrig – und die beigefügten Postkarten der Erstauflage sind erstaunlich schön geraten. Mir gefällt, wie es der Künstlerin bei ihrer Bildgestaltung fast unangenehm zu sein scheint, dass sie ihre großartigen Bilder mit weißen Sprechblasen überdecken muss, so dass sie das Weiß der Blasen so weit herunterskaliert, dass sich dahinter die Farbe des Bildes wieder erkennen lässt. (Man kennt eine ähnliche Vorgehensweise von Sabrina Schmatz‘ Deutschmanga München.) Inwieweit die manchmal etwas groben deutschen Onomatopoesien wie „Raschel“, „Rumpel“, „Zieh“ oder „Brüll“ den ursprünglichen Schriftzeichen entsprechen, lässt sich nur schwer ahnen. Ich habe mir längst angewöhnt, an diesen Stellen durch die Lettern hindurch nur noch den grafischen Anteil zu sehen.
Grafische Erzählkunst in Vollendung

Chinabooks, 2025
Text: Mo Xiang Tong Xiu
Bilder: STARember
Übersetzung: MArc Hermann
ca. 240 Seiten pro Band, Farbe, Softcover
Preis: je 18 Euro
ISBN: 978-3-03-887029-6
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