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Währenddessen… (KW 11)

Christian holt versäumte Filme nach. Robert Eggers The Witch ist einer davon.

(c) Robert Eggers, Universal

Christian: Der Film The Witch von Robert Eggers wird hin und wieder mit dem Label Folk-Horror versehen. Klarer Fall: Alles muss seine Ordnung haben. Genres schaffen Ordnung.

The Witch handelt von einer anderen Art von Ordnung. Gemäß dieser Ordnung werden Kinder getauft und alles befindet sich in Gottes Hand. Die Familie des strenggläubigen William, dem Familienvater in The Witch, aber war dann auch den Siedlern eines frühamerikanischen Dorfs zu glaubensfanatisch und wird deshalb aus der Gemeinschaft verstoßen. Nun kann der Vater zeigen, dass er wirklich ein Werkzeug Gottes ist und seine Familie auf den rechten Pfad führen kann. Das misslingt. Der strenge Rahmen, der für die Eltern Sinn stiftet, ist für die Kinder so beängstigend, dass sie nur schieren Horror darin sehen; die Angst davor, durch Fehlverhalten und plötzlichen Tod in der Hölle zu landen, ist allgegenwärtig. Eben erst ist der jüngste Sohn der Familie verschwunden und nie mehr gefunden worden. Wir erfahren zwar durch die Filmbilder, dass eine Hexe ihn gestohlen hat und zu Flugsalbe verarbeitet, ich zweifle aber die Objektivität der Filmbilder an, denn der Realismus in Eggers Film ist eher psychologischer Natur – nicht naturalistisch. Am Ende erzählt immer ein Mensch, Misstrauen ist also immer geboten.

Die übrigen Kinder kriegen mit, wie die Eltern mit Selbstvorwürfen hadern, dass das ungetaufte Kind mit großer Wahrscheinlichkeit auf ewig verdammt ist. Da ist der Spruch „Gott wird es in seiner Güte schon richten“, mit dem der Vater den ältesten Sohn Caleb zu beruhigen versucht, zu schwach, um Trost zu spenden. Die Kinder merken doch, dass die Eltern ihnen den wahren Ernst der Sache vorenthalten. Als die vier Kinder der Familie einmal Zeit für sich haben, fällt der Blick des jungen Caleb auf den Busen seiner heranwachsenden Schwester Thomasin. (The devil’s work is done by idle hands). Als die kleineren Geschwister Mercy und Jonas der beiden dann auch noch aufdringlich und frech werden, macht Thomasin den beiden Angst und erzählt ihnen eindringlich, sie sei eine Hexe und wenn sie sich nicht fügen dann würde sie sie essen. Ob Thomasin hier nur auf ihre Weise den Verlust des kleinen Samuel verarbeitet? Jedenfalls reicht ihr leichtfertiges Spiel aus, eine Dynamik von Bezichtigungen und Gegenbezichtigungen zu entfesseln. Es geht in The Witch aber nicht um eine Hexenjagd. Es geht um die Angst vor der unheimlichen Natur und um den Versuch, die Kontrolle zu haben.

The Witch spielt im 17. Jahrhundert in einer Epoche, einem Milieu und einem Ort, wo der Aberglaube so mächtig war, dass Worte Realität auch erschaffen. Mancher Autor würde diese Prämisse nutzen, um Fantasyelemente in die inszenierte Realität einsickern zu lassen. Nicht so Eggers. Er bewegt sich meist auf einer naturalistisch-realen Ebene, wenngleich er immer wieder unheimliche und unwirkliche Elemente einarbeitet, die für eine Verfremdung der objektiven Realität sorgen. So macht er uns die Denkweise der Menschen plausibel. Eine Ziege gibt Blut statt Milch, eine Hexe streift durch den Wald, Kinder vergessen aus heiterem Himmel plötzlich ihre Gebete – all diese Ereignisse lese ich als Projektionen von Menschen, die zu lange alleine in der Wildnis waren und ihr Weltverständnis aus verfälschten religiösen Erzählungen ziehen.

Dabei hätte William fast das Potenzial gehabt, ein lebenszugewandter Anführer zu sein, der auch Entscheidungen alleine und ohne Gott fällen kann. Aber er versagt dreifach: er ist weder ein guter Jäger noch Bauer und er schirmt seine Familie zu sehr von der Welt ab, ohne aber selbst die Kraft zu haben, die Familie zu führen. Stattdessen flößt er ihnen Religion ein, verhindert aber, dass sie diese je an der Realität messen können.

Hier in der Gegend wo ich lebe, erzählt man sich die Legende vom Hostienwunder. Eine junge Frau behielt nach dem Abendmahl die Hostie im Mund und nahm sie nach dem Gottesdienst mit nach Hause. Unterwegs fiel die Hostie auf den Waldboden. Sie konnte die Hostie nicht mehr aufheben. Auch andere, selbst der Priester, konnte sie nicht aufheben. Man ließ den Bischof aus Eichstätt anreisen, da man die Hostie nicht dort lassen konnte. Der endlich konnte die Hostie bergen. Man entschied, an dieser Stätte eine Kapelle zu errichten. Höre ich solche Geschichten, habe ich keinen Zweifel, dass Eggers in The Witch mit seiner kraftvollen Inszenierung einerseits die Realität abbildet, andererseits aber die Unendlichkeit der Vorstellungswelt mit einbezieht.

Aber Worte, die die Realität erst erschaffen, sind natürlich mitnichten ein Phänomen der Vergangenheit. Nicht mal die Frage, wie viele Geschlechter es denn nun gibt, ist zweifelsfrei geklärt. Mit jeder Differenzierung wird die Infosphäre komplexer und wir verstricken uns in neuen Deutungen wie die Laborratte im Labyrinth. Dabei geht es am Ende doch nur darum, dass in einem Formular an der richtigen Stelle ein Kreuzchen gesetzt werden kann. Wer nicht ins Raster passt, sieht die Welt sicher mit ganz anderen Augen.

Wer Lust hat, einen Comic mit ganz ähnlicher Wirkung zu lesen, dem sei Becky Cloonans Somna ans Herz gelegt. Erscheint im Juni auch auf Deutsch bei CrossCult.

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