Als 1988 mit Ausgabe 19 Grant Morrisons erstes Doom Patrol-Heft bei DC erschien, handelte es sich nur auf den ersten Blick um ein Comicheft wie jedes andere. Bald haftete der Reihe der zweifelhafte Ruf an, „weird for weirdness‘ sake“ zu sein. Dabei ist Grant Morrisons surreales Science-Fiction-Märchen bis heute seine schönste Arbeit.
Grant Morrison hatte, kurz bevor er die Reihe übernahm, seinen Vorgängerautor Paul Kupperberg gebeten, einige Mitglieder der Doom Patrol den Serientod sterben zu lassen, nur das Kernteam sollte erhalten bleiben. In seinen ersten Heften nimmt er dennoch Bezug auf vorangegangene Ereignisse: Larry Traynor, der jahrelang von einem Wesen aus negativer Energie besessen war, ist immer noch ein Mensch (Rückverwandlung war in Doom Patrol 13) und Cliff Steele, der Robotermann, hat sich in die Psychiatrie einweisen lassen, weil er seinen menschlichen Körper vermisst. Chief Niles Caulder war gerade erst zurückgekehrt, nachdem er lange untergetaucht und für tot erklärt war (Doom Patrol 1 – 16), jetzt aber stellt er sich eine neue Doom Patrol für einen Neuanfang zusammen. Auch Joshua Clay (Tempest) ist noch im Dienst der übriggebliebenen Patrol, aber er hat dem Kampf mit Superkräften abgeschworen und wirkt nur noch als Mediziner. Es könnte nun also bestens weitergehen mit der nächsten Runde Superheldensachen, aber Grant Morrison bringt stattdessen völlig ungefiltert die Verrücktheit der 1960er zurück. Dem drolligen Humor von damals jedoch verlieh er eine gänzlich andere Klangfarbe und anstelle der Naivität setzte er unverfroren auf Cleverness. Das ging auf.
Warum gibt es Etwas und nicht Nichts?
Die Hauptfigur Cliff Steele ist mit der Übernahme durch Grant Morrison in den Zustand des traurigen Roboters zurückversetzt, der seiner Menschlichkeit nachtrauert. Das bringt den Roboterbauer Magnus auf die Idee, ihn mit einer weiteren Insassin der Psychatrie zusammenzubringen, Crazy Jane: Nachdem sie jahrelang als Kind von ihrem Vater missbraucht worden war, entwickelte sich bei Kay Challis, das ist Crazy Jane, eine ausgeprägte dissoziative Persönlichkeitsstörung. Ihre Persönlichkeit zerfiel in mehr als 60 unterschiedliche Persönlichkeiten, die einen schützenden Ring um die zerstörte Kinderseele bilden, so dass ihr kein Leid mehr angetan werden kann. Die Inspiration zu dieser durchaus problematischen Figur kam Morrison nach der Lektüre des Tatsachenberichts When Rabbit Howls (deutsch: Aufschrei), in dem die Autorin Truddi Chase von ihrem tatsächlich sehr ähnlichen Schicksal und Lebensweg erzählt. Crazy Janes Persönlichkeiten besitzen zudem jeweils eine besondere Super- oder Metakraft, die sich je nach derzeit präsenter Persönlichkeit als hilfreich bis verheerend erweist. Auf Grund zahlreicher positiver Interaktionen mit Cliff entwickelt Jane im Fortgang der Serie immer neue Facetten ihrer Persönlichkeit, die weltzugewandter und offener sind, manchmal auch zu viel wagen. Stets aber lauern die alten, traumatisierten, misstrauischen, ängstlichen, teil selbstzerstörerischen Persönlichkeiten der Vergangenheit, die den Fortschritt bremsen, konterkarieren und torpedieren. Selten war Psychologie eindringlicher in Bildern erzählt.
Neben der interessanten Figur der Crazy Jane ist auch Grant Morrisons Weiterentwicklung des Negative Man spannend und visionär geraten: Die schwarze Negativkraft sucht wieder die Nähe von Larry, ihres ehemaligen Wirts, doch nicht als Freund und Verbündeter wie bisher, sondern als dämonische und bedrohliche Kraft: „Iamthespiritinthebottletheinvisiblefirethatworksinsecret“, raunt die Kraft bedeutungsschwer. Bisher war alles Spiel, doch jetzt wird es ernst, spüren wir als Leser. Das schwarze Gespenst wartet, bis auch Larry Traynors Krankenpflegerin Eleanor Poole anwesend ist, dann verschmilzt es sich gegen ihren Willen mit Larry und Eleanore. Das neue Wesen, das sich Rebis nennt, beginnt damit, die charakteristischen Bandagen zu tragen, die die Negative Force bändigen und arbeitet von nun an daran, seine*ihre neue Daseinsform zu erforschen. Dabei geht es auch um Anerkennung: Als Cliff Steele sie wie früher als Larry anspricht, wird er von Rebis mehr als einmal zurechtgewiesen: „I told you. Don’t call me Larry“, worauf Cliff trotzig reagiert „Part of you is still Larry, so I’ll call you what I want.“ Gleichzeitig ist Rebis gegenüber dem Ehemann von Eleanore, die nun ein Teil von ihm ist, gefühlskalt und abweisend, als müssten alte Gewohnheiten willentlich abgetötet werden. Als er*sie später erfährt, dass Larrys Mutter gestorben ist, reagiert Rebis kalt und überzogen analytisch: „Yes, she was an old woman. It was only a matter of time.“ Den Überbringer der Nachricht, Josh, treibt Rebis damit an den Rand der Verzweiflung. Was Josh nicht registrieren kann: Rebis leidet für sich allein. Kalt ist er nur nach außen.
Grant Morrison bricht mit der bisherigen Mainstream-Erzählweise der vorhergegangenen Hefte, vor allem thematisch ist die Wende radikal. Die Doom Patrol befasst sich ab diesem Zeitpunkt nur noch mit Phänomenen jenseits des Rationalen, weil die Patrollers als einzige Superhelden mit Wahnsinn und Delirium bestens vertraut und doch zurechnungsfähig geblieben sind. (Auch Peter Milligans Shade the Changing Man und Neil Gaimans Sandman operierten 1989 in diesen Randbereichen. Interessanterweise gab es nie Überschneidungen zwischen den Serien. Dies war mehr als nur die Vorstufe des 1993 ins Leben gerufenen Vertigo-Imprints. 1993 war eher der Peak einer Bewegung, die um 1989 schon richtig vital wurde.) Nachdem Grant Morrison die Hauptfiguren etabliert und nach seinen Anforderungen zurechtgerückt hat, geht es zügig los mit dem Wahnsinn. Seltsame Phänomene geschehen weltweit: Menschen gehen spontan in Flammen auf, in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett fängt John Lennons Statue zu bluten an, woanders auf der Welt wenden sich Schatten gegen ihre Menschen und an so verschiedenen Orten wie Rom, Leningrad und Darwin kommt Heinrich Hoffmans Schneider mit der scharfen Scher‘ und schneidet Kindern in die Daumen.
Es ist mysteriös. Seltsame Scherenmenschen schneiden mit langen Scheren Menschen aus der Realität, diese finden sich alsbald in einer seltsamen Stadt namens Orqwith wieder. Des Rätsels Lösung findet sich in einem schwarzen Buch, das ein brennender Mensch im Wahn vor sich her trägt, ein klarer Fall für die Doom Patrol. Sofort erweist sich Crazy Jane/Kay Challis als glücklicher Zugewinn für die schräge Truppe, denn eine ihrer Persönlichkeiten kann den Inhalt des schwarzen Buchs deuten, einen selbst-referenziellen Text über eine Gruppe von Philosophen, die das menschliche Denken radikal verändern wollen. (Die bisherigen Phänomene geben einen guten Vorgeschmack, wie das vonstatten gehen könnte.) Überraschenderweise fügt sich die wirre Story schnell zu einem stimmigen Gesamtbild: Die Philosophen aus dem Buch haben eine Wunderstadt namens Orqwith erschaffen, die eine Alternative zu unserer materiellen Welt bieten soll, eine Stadt, die schnell wächst, indem sie sich in andere Welten hineinfrisst. Ursprünglich von Menschen künstlich erschaffen, stülpt sich diese neue Welt nun über ihren Ursprung, vereinnahmt und verzerrt ihn.
Das ist nicht weniger als eine treffsichere Parabel auf so viele menschliche Errungenschaften, die Eigendynamik entwickelt haben: Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wie sich das Internet in den letzten 40 Jahren verselbständigt hat: Was früher ein praktikables Werkzeug war, das eben genutzt werden konnte, wenn man den Computer einschaltete, umformt inzwischen jeden Aspekt des Lebens, ist zur vermutlich wichtigsten Pforte der gesellschaftlichen Teilhabe geworden und hat ganz neue Abhängigkeiten und bis dato unbekannte Lebensrisiken hervorgerufen. Wie Orqwith haben Internet und Digitalisierung Realität und Denken durchdrungen. In den Doom Patrol-Comics sind es die Scissormen, eine inquisitorische Sekte, die auf Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter beruht, die dafür sorgen, dass sich Orqwith schnell manifestiert. Zum Glück lässt sich das Unheil zuletzt abwenden, indem Rebis und Crazy Jane die Herrscher von Orqwith mit einem Paradoxon konfrontieren: Die Frage, warum es überhaupt Etwas gibt und nicht Nichts, einmal gestellt an einen Orqwith-Priester, der immer lügt, danach an einen Orqwith-Priester, der immer die Wahrheit sagt, reicht aus, das ganze Gebäude in sich zusammenkrachen zu lassen.
Binär – Non-binär – Dada
Gut möglich, dass das tatsächlich existierende Orqwith schon mit der Entstehung der Sprache in das Leben der Menschen trat. Etwas, das dem Menschen ursprünglich nur diente, hat die Oberhand gewonnen, den Menschen umprogrammiert und den Rückweg zerstört. Nur was versprachlicht werden kann, ist überhaupt denkbar, anders ist die Komplexität jeder Zivilisation ohnehin nicht möglich. Auch Religionen, die das Denken noch tiefgehender programmieren, sind ohne Sprache nicht denkbar. Dabei ist Sprache doch schon im Kleinen so unglaublich vage: Jedes Kind weiß, was Gut und Böse bedeuten, und doch sind schon diese Begriffe völlig unbrauchbar, um vernünftige politische Entscheidungen treffen zu können.
Zurück zur Doom Patrol: In der ersten Serie in den 1960er-Jahren gab es die „Brotherhood of Evil“, die der Doom Patrol das Leben schwer machte. Das waren so lustige Figuren wie Monsieur Mallah, der intelligente Gorilla, und sein Schöpfer, das böse Gehirn. Grant Morrison verhilft diesen beiden Superschurken 1990 zwar zu einem letzten großen Auftritt (Doom Patrol 34, „The Soul of a New Machine“), führt aber für seine eigene Erzählung eine neue Art von Schurkentruppe ein: die „Brotherhood of Dada“, angeführt von Mr. Nobody, der stets wirkt, als würde man ihn nur vage aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Mit der naiven Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist es damit endgültig vorbei.
Dadaismus war ursprünglich eine Kunstströmung aus den 1920er Jahren, eine Reaktion auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs, der nicht trotz unseres hohen Zivilisationsstandards ausgebrochen war, sondern wegen. Alle Bildung und Literatur, Romantik und Opern haben den Zivilisationsbruch nicht abwenden können, sondern vermutlich sogar befeuert, was tiefes Misstrauen in die zivilisierende Macht der Sprache an sich erzeugt hat. Die Dadaisten haben der „Hochkultur“ den wohlverdienten Spiegel vorgehalten und Kunst ausgeübt, die völlig ohne Sinn arbeitet; die vermeintlichen Deutungen wurden nicht akzeptiert, die Absurdität offengelegt, die hochtrabende Haltung zerlegt. Sprache war nur noch Geräusch.
Schnell wird dem Leser deutlich, dass Grant Morrisons Brotherhood of Dada, obwohl Schurkentruppe, eigentlich mit den besten Intentionen auf den Plan tritt und womöglich sogar in der Lage wäre, den Kapitalismus und alles andere, was in der Welt schiefläuft, abzuschaffen. Konventionelle Superhelden sind machtlos, als Nobody und seine Dadaisten ein magisches Gemälde in Paris aufstellen, welches ein Bild zeigt, das ein Bild zeigt, das ein Bild zeigt, das ein Bild zeigt … – ein unendlicher Schlund, der die übergeordnete Welt einsaugt – und dann ist Paris weg, verschwunden im Bild. Aber natürlich rettet die Doom Patrol die Lage und stellt den Status Quo wieder her.
Dabei hätte der Dadaismus so viel zu bieten. Rachel Pollack, die Autorin, die nach Morrison die Autorenschaft der Doom Patrol übernehmen wird, nutzte den dadaistischen Zweifel an jeglicher konventionellen Bedeutungszuweisung, um die binäre Trennung zwischen „männlich“ und „weiblich“ auszuloten und aufzulösen. Zudem brachte Rachel Pollack in ihren Geschichten Cliff Steele sein organisches Gehirn zurück. Dieses wird in den letzten Episoden Morrisons nämlich zerstört (ein Cliffhanger) und später durch eine digitale Kopie von Cliffs Bewusstsein erfolgreich ersetzt (Auflösung des Cliffhangers). Rachel Pollack erkannte schnell, dass eine Abbildung des Bewusstseins in digitalen Nullen und Einsen nicht angemessen ist. Als non-binäre Autorin war es ihr offensichtlich ein Anliegen, Cliff Steeles Existenz nicht von Binärcodes abhängig zu machen. Eine stimmige Entscheidung, denn in der Serie Doom Patrol dreht sich nun mal alles um die Lücken zwischen den Realitäten, der Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein. Es geht um das Okkulte, das in der digitalen Welt wegtransformiert ist, aber doch existiert, die Zwischenräume zwischen den Nullen und Einsen, die Grenzen zwischen Gut und Böse, die Zwischentöne auf Vinylscheiben, die bei CDs und MP3 verloren gehen und die Zwischenstufen zwischen männlich und weiblich. Dinge die vermeintlich verschwinden oder verschütt gehen, aber nur, um vehement wieder zurückzukehren.
Nach der Geschichte um „the painting that ate Paris“ drohte die Serie, etwas repetitiv zu werden. Schon ein Heft später stand wieder das Ende der Welt vor der Tür und wieder ist eine obskure Sekte verantwortlich. Auch die kreative Verwendung der Sprache gerät allmählich zur Formel: Die Scissormen der Orqwith-Story redeten ungefiltertes Gibberish, vermutlich von Morrison im Trance-Zustand aufgeschrieben und in Cut-up-Manier montiert. In der neuen Geschichte nun tritt der „Cult of the Unwritten Book“ auf den Plan, dessen Mitglieder nur in Anagrammen reden. Der Decreator wird beschworen, der die Schöpfung rückgängig abwickelt und Schritt für Schritt alle Gegenstände und Begriffe eliminiert, bis nichts mehr da ist. Klingt philosophisch, aber näher war Grant Morrison an den absurden Silver-Age-Geschichten aus den 1960ern wohl nie und das Uncreating bleibt doch recht folgenlos. Mal eliminiert das böse Auge im Himmel Begriffe aus dem Wörterbuch, mal klaut es dem Okkultisten Kipling (eine dreiste John-Constantine-Kopie) die letzte Fluppe aus der Hand. Warum er nicht gleich das Konzept „Zigarette“ aus dem Universum eliminert, sondern sämtliche Zigaretten einzeln ausradiert, wird wohl auf ewig Morrisons Geheimnis bleiben. Und ist der Decreator schon in seiner bedrohlichsten Ausprägung schon langsam – wie gesagt, Zigarette um Zigarette – so wird er von Crazy Jane am Ende noch so eingebremst, dass er zwar nicht abgewendet werden kann, seine Decreation von da an aber in einem Tempo stattfindet, das nicht mehr wahrgenommen werden kann. (Betamax-Videokassetten, Telefonzellen, Schreibmaschinen, mechanische Getränkeautomaten, Wählscheibentelefone, das generische Maskulinum und Zigarettenschachteln ohne Schockbild – soll keiner sagen, dass nicht im wahren Leben ständig der Decreator wütet.)
Das Schönste an der Decreator-Story aber sind Richard Cases wunderbar eckige Bilder, mit denen Grant Morrisons abstrakte Stories ihre Wirkung besonders gut entfalten können. In der Decreator-Story gelingen ihm einige der schönsten Panels der Reihe: Cliff Steele gefangen in einer Schneekugel in einer Stadt namens Nürnheim, die Marionettenherrscher von Nürnheim, das böse Auge des Decreators am Himmel, die Sagrada Familia in Barcelona, das alles ergibt in den kräftigen Farben von Danny Vozzo, die Richard Cases klare Linie ideal schmücken, wuchtige Bilder.
„Something is happening here and you dont know what it is, do you, Mr. Jones?“
Mit Doom Patrol 35 wird Phase 2 von Grant Morissons Storyline eingeleitet: Mr. Jones und die Men of N.O.W.H.E.R.E. haben ihren ersten Auftritt. Sie wollen die Welt reinigen von allem, was queer oder sonstwie außerhalb der Ordnung steht: Binäre Ordnung über alles – ohne Zwischentöne bitteschön – und eine Gesellschaft im Ideal der amerikanischen Propaganda der 1950er Jahre.
Eine aufgeweckte Straße, die sich völlig selbstständig und unabhängig gerne in großen Städten manifestiert und entsprechend auf keinem Stadtplan zu finden ist, wird da schnell zur Zielscheibe. Nun ist diese ungebundene Straße namens Danny schon durch ihre bloße Existenz ein Unruhestifter, Crossdresser ist sie darüberhinaus auch noch: Schaufenster mit Macho-Outfits, aber queer aufbereitet und ausgeleuchtet, dazu allabendliche Cabarets, sind Gründe genug für die N.O.W.H.E.R.E.-Men, Danny the Street auslöschen zu wollen. Aber die Doom Patrol eilt zu Hilfe und bald findet Niles Caulder, Chief der Doom Patrol, nebenbei den perfekten Ort für das neue Doom-Patrol-Hauptquartier. (Bis Caulder dann jedoch alleine wieder in sein ursprüngliches Hauptquartier zurückkehrt, da er nur dort ungestört seinen sinistren Forschungen nachgehen kann.)
Danny the Street wird von einem Obdachlosen namens Flex Mentallo bewohnt, der auf der Straße landete, als er dem okkulten Geheimnis nahe kam, das in den tiefen Kellern des Pentagon verborgen ist. Auf geheimen Plänen, die ihm ein Mittelsmann zeigte, fand Flex vor Jahren Ungeheuerliches, konnte sich hinterher aber nicht daran erinnern. Bei seinen Versuchen, das Pentagon zu bekämpfen, verfiel er dem Wahn und verlor den Boden unter den Füßen, bis er Jahre später einen friedlichen Hafen in Danny the Street findet, der ein Herz für Gestrandete hat. Das Auftreten der N.O.W.H.E.R.E.-Men bringt die Erinnerung zurück und zieht die Doom Patrol in seinen Kampf hinein.
Mit der Flex-Mentallo-Pentagon-Paranoia-Storyline kommt Morrison den Verschwörungsgeschichten seiner ab 1995 erschienenen Invisibles schon sehr nahe. Ganz wie im Harmony-Haus der ersten Invisibles-Folge werden unter den Mauern des Pentagons, dort wo sich die sogenannte „Ant-Farm“ befindet, willenlose Zombies produziert, die völlig konformistisch und unkreativ sind. Wir erfahren, dass das Pentagon seine Grundform, welche das magische Symbol des Pentagramms einräumt, deshalb hat, weil es auf den Überresten einer versunkenen Stadt mit fünf Seiten gebaut wurde. Der Grundriss dient als „Spirit-Trap“ und funtioniert wie eine Linse, um Energie zu bündeln, damit die Men of N.O.W.H.E.R.E. ihre Kraft erhalten. Eigentlich ist das ein klasischer H.P.-Lovecraft-Plot, wäre da nicht – ganz morrisonesk – Flex Mentallo, eine ins wahre Leben gestolperte Comicfigur, in diesem Fall die Hauptfigur einer bekannten Bodybuilding-Werbung. Flex Mentallo ist der „Hero of the Beach“, der ursprünglich schmächtige Hänfling, der erst durch Bodybuilding ein Held wird, das Mädchen kriegt und bald aussieht wie Arnold Schwarzenegger. Aber dann ist er, nachdem er erfolgreich den Bully vermöbelt und das Mädchen bekommen hat, direkt über den Panelrand gestolpert und in einem Doom Patrol-Comic gelandet, der Comicserie, die in den Zwischenräumen zwischen den Panels erst zu sich findet.
Ebenfalls zur Flex-Mentallo-Story gehören geheimnisvolle „Men in Blue“, für die Regierung arbeitende Agenten für das Paranormale, die noch gruseliger und geheimnisvoller als die „Men in Black“ sind. Als dann auch noch Aliens auftreten, kommt Area-51-Feeling auf, trotzdem steht die sich nun entfaltende Story in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit Flex und dem Pentagon, stattdessen gibt es in den nächsten Heften eine kleine Space-Exkursion, wie sie sich Pierre Christin für Valerian und Vernoique nicht schöner ausdenken hätte können. Zwei Außerirdische Rassen bekriegen sich gegenseitig und Rebis, Cliff und Crazy Jane landen getrennt voneinander bei den verfeindeten Parteien, die sich seit Jahrtausenden bekriegen. Und wieder dreht sich alles um Konzepte und Sprache: Nach Jahrtausenden der Verheerung musste eine der Parteien sich in ein raumloses Etwas namens „Kaleidoscape“ zurückziehen. Eine „Space Plague“ zersetzte das Konzept von Ordnung und Perspektivität, seither ist alles gleichzeitig überall. In diesem völligen Kuddelmuddel macht Fortbewegung keinen Sinn, man kann jedoch mit Willenskraft alles, was man benötigt, zu sich kommen lassen. So ähnlich fühlte sich Home Office in Pandemiezeiten auch an. (Aussehen tut dieses Universum indes wie das Innere einer Handtasche.)
Ebenso wie bei der Decreator-Story bekommt man das Gefühl, dass die Realität der Doom Patrol-Comics programmiert ist. Werden Elemente, Begriffe oder Parameter aus dem Programm gelöscht oder zumindest unterdrückt, verwirft sich alles. Konkret ausgesprochen wird diese Sicht, die der Welt aus dem Wachowsky-Film Matrix recht nahe kommt, nie. Gerade darin liegt aber die Stärke von Morrisons Doom Patrol: Es gibt keine übergeordnete „Verschwörung“, vor allem keine Verantwortlichen oder Schuldigen. Das „Programm“, das unsere Realität wachsen lässt, generiert sich aus sich selbst heraus und mutiert ständig zu Neuem: Sprache, Bedeutungswandel, Religion und Zivilisation sind alles Mutationen im Abstrakten.
„… we might have a chance at stopping war.“
Am 17. Juni 1967, während des Auftritts der Byrds auf dem Monterey-Pop-Festival, hielt David Crosby, damals Gitarrist und Songwriter der Band, eine Ansprache. Darin sagte er „I believe that if we gave LSD to all the statesmen and politicians in the world we might have a chance at stopping war. That’s a quote from Paul McCartney.“ Die restliche Band war nicht begeistert, dass Crosby mit seinen launigen Ansagen den Auftritt stark prägte und bereits kurze Zeit später flog er aus der Band. Aber nun war die Aussage in der Welt und fand ihren Weg auf zahllose Tonträger – und Crosby war ja nicht der einzige, der LSD, ursprünglich entdeckt vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann, für ein utopisches Wundermittel hielt.
Anfang der 1960er ging der Autor Ken Kesey (Einer flog über das Kuckucksnest) mit einer Gruppe, die sich „The Merry Pranksters“ nannte, in einem bunt bemalten Bus auf Tournee, um Amerika von der segnenden Kraft der Droge zu überzeugen. Die Tournee endete im Desaster. Albert Hofmann selbst hielt von diesen Umtrieben nicht viel und verarbeitete die wechselvolle Geschichte über den Einfluss seiner Droge auf die Gesellschaft in dem lesenswerten Buch LSD – Mein Sorgenkind. Einige der darin beschriebenen extremen Drogenerfahrungen fanden ihren Weg auch in Alan Moores Swamp Thing, dort allerdings nicht in Form von LSD, stattdessen sind die Früchte, die aus dem Sumpfding herauswachsen, starke Halluzinogene. Zwei Figuren darin, die diese Frucht zu sich nehmen, sehen die Welt nach der Einnahme, wie sie wirklich ist, frei von Zwängen und Zusammenhängen, und haben eine nachhaltige spirituelle Erfahrung. Ein anderer jedoch erfährt damit den ultimativen Horrortrip, den er nur knapp, dafür nachhaltig traumatisiert, überlebt. Aufgrund dieser Geschichten beschließt der Hippie Chester, der die Droge ursprünglich ebenfalls testen wollte, das Risiko lieber nicht einzugehen. Offensichtlich konfrontiert sie den Einnehmenden mit dem Innersten seiner Persönlichkeit. Welche Persönlichkeit jedoch jemand hat, der den Stoff aus eigennützigen Motiven einnimmt, wagt er nicht zu entscheiden.
Alan Moore hat in seiner Swamp Thing-Geschichte eine Perspektive eingenommen, die der von Albert Hofmann in LSD – Mein Sorgenkind ähnelt. Er stellt positive und negative Erfahrungen gegenüber und schließt mit dem Fazit, dass man mit dieser Droge nicht spielen sollte. Grant Morrison gibt in Doom Patrol dagegen eher den Merry Prankster. (Und wieder ist es kein Wunder, dass sich Moore und Morrison nicht riechen können.) Mr. Nobody erwirbt das legendäre Fahrrad von Albert Hofmann, auf dem dieser 1943 in Basel nach Haus radelte, nachdem er eine Probe von seinem neuen Medikament eingenommen hatte, das eigentlich gegen Migräne helfen sollte. Auf diesem Fahrrad hatte er seinen ersten LSD-Trip.
In Doom Patrol ist das Fahrrad eine Reliquie mit magischen Kräften. Fährt man damit, wird psychedelische Energie freigesetzt und alles Lebende in der näheren Umgebung kommt auf den Trip. Zunächst verschaffen Nobody und seine neue Brotherhood of Dada damit Venedig eine nachhaltige Erfahrung, danach bauen sie das Fahrrad in eine Nachbildung des Merry-Prankster-Busses von 1963 ein und gehen damit auf Wahlkampf. Crazy Jane und Danny the Street sind die ersten, die Mr. Nobodys Spaß-Programm richtig überzeugend finden, Cliff Steele dagegen ist nicht so begeistert. „Why should we do anything?“ fragt Jane. Darauf Cliff: „Because if we don’t, then the brotherhood is right and there’s no point. No point to anything. I can’t live that way.“ Der eher konservative Cliff bleibt dann doch lieber im Korsett der gesellschaftlichen Zwänge und lehnt die Befreiung ab. Am Ende bereitet das Verteidigungsministerium dem Spuk ein Ende. Da es keine rechtliche Handhabe gegen den Magic Bus gibt – es ist keine Droge, es handelt sich nur um die Simulation von Rausch (herrliche Spitzfindigkeit) – rückt eine Spezialeinheit aus, die sich mit Manipulation der Gehirnchemie gegen die Wirkung immunisiert hat. Danach ist es nur noch eine Sache von wenigen Stunden und die Welt ist gerettet. Oder, ist sie das wirklich?
Bis dahin jedoch passiert so allerhand. Grant Morrison erzählt mit mehr Witz und Schwung als je zuvor oder danach in seiner Karriere und wird dabei nicht nur von Richard Case unterstützt, sondern auch von Jamie Hewlett und Philipp Bond, die der Geschichte einen charmanten Swinging-Sixties-Look verleihen.
Planet Hell / Planet Love
Die letzten Hefte sind im Vergleich zum Rest vergleichsweise konventionell und geradlinig geraten. Morrison bringt zahlreiche Handlungsstränge zu ihrem Ende. Dazu gehört auch, dass er seinen Run in Beziehung zu den früheren Doom Patrol-Serien setzt und Niles Caulders größenwahnsinnigen Masterplan hinter allem aufdeckt. Das konterkariert durchaus das „Alles ist möglich“-Feeling früherer Hefte, fügt sich aber zu einer stimmigen Gesamterzählung. Jede Figur geht noch einen Schritt weiter in ihrer Entwicklung, so dass vor allem die Geschichte um Crazy Jane ihren dramatischen, am Ende jedoch sehr berührenden Abschluss erhält. Zentrale Figur des Doom-Patrol-Finales aber ist das Dorothy Spinner, das Mädchen mit dem Affengesicht.
Dorothy wird bereits in Doom Patrol 20 als ständige Nebenfigur eingeführt. Sie hat einerseits die Gabe, ihre „imaginary friends“ zu materialisieren, kann sich aber kaum aktiv einbringen und wird von Niles Caulder in die Zentrale der Doom Patrol aufgenommen, da sie lernen soll, ihr Potenzial zu entfalten. Dorothy ist eine typische Doom-Patrol-Figur. Durch ihr Aussehen und ihre Fähigkeiten ist sie außerhalb der Doom-Patrol-Familie ein Außenseiter, im Dienst der Patrol erhält sie die Chance, große Dinge zu bewirken. Ihr eigentliches, zunächst geheimes, Problem ist jedoch dem von Stephen Kings Carrie White nicht unähnlich. Jahrelang litt sie unter dem Mobbing ihrer Gleichaltrigen, die nicht ahnen konnten, dass in Dorothy die Gabe schlummerte, es ihren Peinigern irgendwann heimzuzahlen. Eines Tages rührt sich ein bisher verborgener Imaginary Friend namens „The Candlemaker“ in Dorothy und bietet ihr an, Rache zu nehmen. Dorothy, damals noch Kind, willigt ein und der Junge, der sie am schlimmsten gequält hat, wird furchtbar abgeschlachtet. Nie mehr will sie danach den Candlemaker sehen, der dennoch stets in ihr schlummert und in Krisen immer wieder sein gruseliges Haupt erhebt.
Kurz und knapp: Der Candlemaker weiß geschickt die Schwächen des Kindes für sich zu nutzen und wird so mächtig, dass er sich dauerhaft materialisieren kann. Er reißt Niles Caulder den Kopf ab, aus Cliffs Gehirn macht er Mus und Crazy Jane jagt er in eine Höllendimension – so mächtig ist er. Niles Caulder jedoch, der sich inzwischen ebenfalls als Schurke entpuppt hat, hat Cliffs Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt bereits dupliziert und auf Diskette (!) gespeichert. Cliff kann damit reanimiert werden, ist aber nun vollständig künstlich. Die Hölle, in der Crazy Jane landet, hat jedoch mit der Hölle, die man aus dem DC-Universum kennt, nichts zu tun. Crazy Jane, die inzwischen erfolgreiche Heldin in eigener Sache war, die sich nach langen innren Kämpfen der Vaterfigur in ihrem Unterbewusstsein gestellt und ihn besiegt hat, die zudem ihre 64 Persönlichkeiten erfolgreich in Einklang gebracht hat und ihr Happy End längst verdient hätte, landet kurzehand in einer trostlosen grauen Welt ohne Wunder und Helden. Sie ist jetzt an einem Ort, wo Ärzte sie mit Medikamenten ruhig stellen und wo es keine Hoffnung gibt, dass sie sich je an ihrem eigenen Schopf aus der unverschuldeten Notlage retten kann (Joss Whedon hat diese Story sehr ähnlich in der vielgelobten Buffy-Folge „Normal Again“ neu erzählt).
Aber Grant Morrisons Doom Patrol entpuppt sich in letzter Konsequenz doch noch als Märchen, in der das Gute gewinnt. Das hässliche Entlein wird zum Schwan, die Verstoßene bekommt den Märchenprinzen und die umtriebige Straße wird zu einem Planeten der Liebe, wo alle Verfolgten einen glücklichen Hafen finden können. Nur Cliff Steele bleibt als lebende Maschine zurück, nicht einmal sein menschliches Gehirn ist ihm geblieben.
Aber Geduld, Cliff, Rachel Pollack is coming to the rescue. Die neue Autorin sollte bereits in ihrer ersten Story dafür sorgen, dass Cliff sein organisches Gehirn auf magische Weise wieder zurückerhalten sollte. Das wahre Leben hat eben doch ein Analoges zu sein und die Vielfalt, von der Rachel Pollack erzählen wird, ist so fluid, dass sie in kein Raster passt. Die Doom Patrol wird viel zu tun bekommen.
Appendix 1: Die Covers
Die Covers der Doom Patrol-Hefte 19 bis 25 waren im Stil des Inhalts von Richard Case selbst gezeichnet. Die Motivauswahl deutete vielfach schon den surrealen Inhalt an, ein Bruch mit der üblichen Motivwahl war bereits deutlich: Keine fliegenden oder aggressiv und kampfbereit aussehenden Helden mehr, stattdessen stimmungsvolle Plakate mit Motiven, die den Inhalt zuspitzen.
Ab Nr. 26 bis Nr. 48 gestaltete der Brite Simon Bisley (2000 AD, Slaine, Bad Boy, Hellblazer) lückenlos die Covers und prägte die Serie maßgeblich mit. Bisleys Einfluss ist heute nicht mehr ganz so offensichtlich, da die Doom-Patrol-Geschichten schon seit vielen Jahren ausschließlich mit Covers von Brian Bolland erscheinen, der tatsächlich aber erst ab der Nummer 64 – dem ersten Heft von Rachel Pollack, gleichzeitig das erste Heft unter dem Vertigo-Imprint – zur Doom Patrol stieß. Dabei waren Bisleys Covers über Jahre hinweg ein echter Blickfang: Fantastische surreale Alptraumgemälde, die sich krass von der fast klaren Linie im Heft abgrenzen. Gerne würde man mehr darüber erfahren, wie Bisley seine Cover-Ideen entwickelte. Es sind völlig eigenständige Kunstwerke, gleichzeitig aber nur im Zusammenhang mit dem monatlichen Heft denkbar.
Ab Nr. 49 wechselten die Cover-Künstler. Hier und da findet sich noch eine vereinzelte Arbeit von Bisley, zwei Hefte sind von Jamie Hewlett, einmal Duncan Fegredo und immer wieder Tom Taggart, dessen innovative Designcovers mit viel Altmetall und Rost maßgeblich den Look der Fernsehserie mitgeprägt haben dürften.
Hier kann man sich die Tom-Taggart-Skulptur im Original ansehen.
Das Titelcover zum Aufsatz ist ein Ausschnitt von Brian Bollands Titelbild zur Omnibus-Gesamtausgabe. Brian Bolland hat erst nach Grant Morrisons Verlassen der Serie begonnen, Titelbilder für Doom Patrol anzufertigen.
Appendix 2: Eine kleine Doom-Musik mit The Byrds, Bob Dylan und Kula Shaker
„Something is happening here and you dont know what it is, do you, Mr Jones?“
„Well in your head you can go anywhere […] You will never get there in a box or in a spaceship“
Appendix 3:
Hier ist ein Link zu einem wunderbaren Essay von 2020 über den Run von Rachel Pollack. Unbedingt lesenswert. Besser kann man über Comics nicht schreiben:
„Doom and Bloom: Rachel Pollack and the Evolution of the DOOM PATROL“
Appendix 4:
Grant Morrisons Doom Patrol ist jetzt auch auf Deutsch als dicker Omnibus erhältlich. Die Übersetzung der Leseprobe liest sich vielversprechend.
Panini, 2021
Text: Grant Morrison
Zeichnungen: Richard Case, Jamie Hewlett, Kelley Jones, Sean Philipps, Steve Yeowell u. a.
Übersetzung: Josef Rother
1292 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 99,00 Euro
ISBN: 978-3741623325
Leseprobe