Vincent Perriot hat mit Negalyod einen aussichtsreichen Beitrag zum Moebius-Lookalike-Wettbewerb eingereicht – zumindest visuell.
Auf seinem Stygosaurus reitend führt der nomadisch lebende Jarri eine Herde von Chasmosauriern durch die Wüste Ty, vorbei an riesigen Wasserleitungen, die von Stadt zu Stadt führen. Bei einem Unfall verliert er seine Herde und mit ihr sein gesamtes Eigentum und die Grundlage seines Erwerbs. Dieses Schicksal zwingt ihn, das zurückgezogene Leben, das er bislang führte, zu ändern.
Die Gesellschaft ist, wie es in Dystopien so Sitte ist, gespalten. Am Erdboben leben die Menschen in archaischen, urbanen Gemeinschaften, pflegen religiöse Riten und treiben Handel mit Dinosauriern. Außerdem gibt es „die da oben“, die Bewohner von technologisch fortschrittlichen Himmelsstädten, deren technische und militärische Macht daher rührt, dass sie auch die Hoheit über die Wasserversorgung haben. Die Leitungen führen vom Grund der (nicht mehr vorhandenen) Ozeane in die Himmelsstädte, und das Wasser wird dort, je nach herrschaftlichem Gusto, an die Bodenstädte verteilt – oder nicht: „Der Rost ist die neue Architektur unseres Lebens geworden, und nichts von alledem gehört uns.“
Die geografische und soziale Zweiteilung dieser Welt, von der wir nicht genau wissen, ob es die irdische ist oder ein fremder Planet, ist nicht allzu komplex – vielmehr ist diese Weltstruktur fast schon ein dystopisches Klischee: die armen Rebellen unten, die reichen Eliten oben. Der Zugang nach oben wird mit Hilfe von Brigaden strikt reguliert, alle Daten werden erfasst und in das allumfassende Netz eingespeist.
Das Zentrum des Netzes (das ist in der Metapher natürlich widersprüchlich) sitzt ganz oben, oberhalb der Himmelsstädte. Dieses zu zerstören, ist das Ziel des Hirten Jarri, des Rebellenführers Kam und seiner Tochter Korienzé – nur kennen sie anfangs die Bedeutung dieses Netzes noch gar nicht und machen sich auf den Weg, etwas zu bekämpfen, das sie nicht ganz verstehen. Dass sie einander dabei besser verstehen lernen, ist in der Dreierkonstellation zu erwarten gewesen.
Vincent Perriot hat bereits eine Reihe von Comics als Szenarist und Zeichner verfasst, allerdings ist Negalyod sein erster Comic, der es auf den deutschen Markt schafft. Gern stellt er in seinen Comics spezielle Figuren in den Mittelpunkt, die sich auf einer Suche befinden, so in der dreiteiligen Serie Paci (2014–15) über einen Drogenkurier oder in dem stummen Schwarz-weiß-Comic Dog (2011), der in New York spielt. Negalyod ist sein erster Science-Fiction-Comic.
Es ist offensichtlich, wie der Comic aktuelle Themen aufgreift: Proteste aufgrund von sozialer Ungleichheit, drohende Klimaveränderungen, Diskussionen über Datenkontrolle in virtuellen Netzen oder die Verteilung von Wasserressourcen, wie sie vor allem dem Schweizer Konzern Nestlé in die Kritik gebracht hat. Dies platziert Perriot in einem postapokalyptischen Western-Setting, das an Hermann Huppens Jeremiah (seit 1979) erinnert, dessen 37. Band „Die Bestie“ im August erschienen ist, allerdings ergänzt um die rätselhaften Dinos. Das offene Ende lässt Raum für Diskussionen über Verführbarkeit, Täuschungen oder Verantwortung.
Die französische Ausgabe ist auf Comixology auch alternativ in Schwarz-Weiß erhältlich, was die herrlichen Zeichnungen Perriots noch besser zur Geltung kommen lässt, wobei die Farben von Florence Breton das Buch ungemein bereichern. Perriots Zeichnungen lassen sich unschwer als Moebius-Lookalikes identifizieren – spätestens als Jarri einen Helm aufsetzt und damit in der Optik Arzachs daherkommt. Das Westernsetting lässt sich als Hommage an die vielen Sandflächen lesen, die Moebius in seinen fantastischen Welten und Jean Giraud in seinen Blueberry-Western gestaltet hat. Auf der anderen Seite erinnern die detailverliebten und dem Verfall preisgegebenen Stadtarchitekturen an Schuitens Zeichnungen der Geheimnisvollen Städte.
Auf der Handlungsebene ist Negalyod relativ konventionell. Es sind aber die Bilder, die eine erneute Lektüre lohnenswert und den Comic zum narrativen Bildband einer Welt machen, die wir alle nicht bereisen wollen.
Moebius-Lookalike
Carlsen, 2019
Text und Zeichnungen: Vincent Perriot
Übersetzung: Marcel le Comte
208 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 28 Euro
ISBN: 978-3551734334
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