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Silver 1-4

Meisterdiebe sind cool. Das weiß man spätestens seit Filmen wie Der Clou und Ocean’s Eleven. Im Gegensatz zum Profikiller arbeiten fiktive Langfinger gerne in Gruppen, woraus sich eine interessante Gruppendynamik ergibt, die im besten Fall dafür sorgt, dass so eine Gaunertruppe den Leser*innen ans Herz wächst. Vor allem, wenn sie Leute bestiehlt, die es wirklich verdient haben. Die Sterne scheinen also richtig zu stehen, als Fassadenkletterer James Finnigan sich im Jahre 1931 daran macht, den Silberschatz Graf Draculas, hier das Pseudonym eines mongolischen Kriegsherrn, zu stehlen. Sein Team ist gut, der Plan noch besser, was soll schiefgehen?

Eine Menge. Denn Meisterdiebe mögen zwar cool und clever sein, aber kein Vampir erlebt sein erstes Jahrhundert, wenn er nicht ebenfalls ein paar Tricks dazulernt.

Silver ist das Comic-Debüt von Stephan Franck, der lange Zeit als Animator (Der Gigant aus dem All) und Storyboardkünstler (Ich – Einfach unverbesserlich) in Hollywood arbeitete. Er veröffentlichte die Serie über seinen eigenen Verlag Dark Planet Comics zuerst in Einzelheften und dann in vier, über Kickstarter finanzierten Sammelbänden.

Die Geschichte beginnt spannend und temporeich. Leser*innen lernen James Finnigan als flinken Denker kennen, der auch in der Lage ist zu improvisieren, wenn die Lage es erfordert. Die Nebenfiguren werden auch schnell vorgestellt, aber bis auf die Vampirjägerin Sledge und den hellsichtigen Jungen Tao spielt keiner von ihnen eine wichtige Rolle für die Handlung. Silver ist Finnigans Geschichte, der sie als Erzähler aus dem Off kommentiert und mit seinem großen Plan vorantreibt. Der Plan entfaltet sich langsam, sodass Franck sich damit Zeit lassen kann, seine eigene Vampir-Mythologie vorzustellen. Die Blutsauger in Silver sind weniger die missverstandenen Außenseiter aus True Blood, als vielmehr aristokratische Monster aus alten Horrorfilmen, die ihre Kultur um Silber herum aufbauen, das tödlich für sie ist, ihnen aber gleichzeitig auch Macht und Einfluss gewährt. Damit hat Franck eine logische Erklärung geschaffen, warum Dracula seinen Schatz verteidigen möchte, auch wenn der König der Untoten den größten Teil der Handlung in Melancholie verbringt. All das angehäufte Silber hat ihm kein Glück gebracht, was im starken Kontrast zum sterblichen Finnigan steht, für den das Wertmetall ein gutes Leben verspricht. Die Saat für einen spannenden Konflikt ist also gelegt und die ersten sechs Hefte arbeiten auch auf die Konfrontation zwischen Schlitzohr und Vampirherrscher hin.

Leider rückt dann Silvers Nebenhandlung, die sich um Vampirjägerin Sledge und ihre Rachegeschichte dreht, in den Fokus. Als Nachfahrin des Vampirjägers Abraham van Helsing hat sie noch eine Rechnung mit einem Vampir offen, aber leider handelt es sich dabei nicht um Dracula, sondern um eine weitere Figur, die nichts mit Finnigans Coup zu tun hat. Sledges Geschichte ist tragisch und hätte eine eigene Serie verdient, aber auf diese Weise schwächt sie die eigentliche Handlung. Franck kündigt im Nachwort des vierten Sammelbandes ein Spin-off mit ihr an. Gut für ihn, schlecht für die Leser*in, denn die Seiten, die sich mit der Vampirjägerin beschäftigen, hätte er dazu verwenden können, das Ende der Story ausführlicher zu gestalten.

Der Abschluss der Serie fühlt sich nämlich nach dem vorsichtigen Aufbau der ersten neun Hefte ziemlich überhastet an. Das liegt vor allem daran, dass die letzte Wende aus dem Nichts kommt und auf Zufälle baut, die Franck als geplant verkauft, welche aber trotz der übernatürlichen Fähigkeiten einer bestimmten Figur zu weit hergeholt sind. Ein wahrer Deus ex Machina, der mir den Spaß an der Serie nimmt. Außerdem werden am Ende auch die Motivationen der einzelnen Figuren so umgeschrieben, dass sie nicht mehr glaubwürdig erscheinen. Das wäre bestimmt besser gegangen.

Abbildungen: © Stephan Franck/Schreiber & Leser

Während Silvers Geschichte schwächelt, bleibt das Artwork stark. Francks schwarzweiße Zeichnungen erinnern ein wenig an den Zeichenstil des Hellboy-Schöpfers Mike Mignola. Das bedeutet, dass viele Bilder von Schwarzflächen dominiert werden. Mein liebstes Beispiel dafür findet sich im zweiten Band,“Orient Express“. Dort hält ein Zug an einer verlassenen Station im Schatten eines gewaltigen Berges, der so gewaltig erscheint, dass er dem kleinen Zug nur wenig Platz lässt. Die Schwarztöne an dieser Stelle sind so allumfassend, dass sie die obere und untere Seite bedecken und wirken, als wollten sie auch das letzte bisschen Licht vertreiben. Da die Station der letzte Halt vor der Burg Draculas ist, symbolisiert dieses Bild auch den letzten Aufenthalt in der Welt der Lebenden, bevor Finnigan und Co. die Halbwelt der Vampire betreten. Ein sehr starkes Bild, schlicht und effektiv. Silver hat viele solch beeindruckender Momente, weswegen mich die misslungene Auflösung umso mehr ärgert.

Die gekonnt übersetzten deutschen Ausgaben werden als solide Softcover verkauft. Jeder Band enthält außerdem interessantes Bonusmaterial. Franck erzählt unter anderem, wie er eine Seite Panel für Panel aufbaut, oder welchen Gedankengang er beim Erstellen eines Covers hatte. Das liest sich unterhaltsam und man merkt, wie sehr ihm seine Serie am Herzen liegt. Es ist schade, dass das Ende nicht so gelungen ist wie der vielversprechende Anfang. Ich bin trotzdem auf das Spin-off mit Sledge und weitere Geschichten aus dem Silver-Universum gespannt.

Gute Serie, die sich jedoch in ihrer Nebenhandlung verliert und mit einem schwachen Schluss aufwartet

6von10Silver
Schreiber und Leser, 2016-2019
Text und Zeichnungen: Stephan Franck
Übersetzung: Ömür Gül
112-152 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 14,95 Euro (Bd. 1 und 2), 16,95 Euro (Bd. 3 und 4)

Band 1 – Der Fluch des Silberdrachen
ISBN:  978-3946337249
Leseprobe
Band 2 – Orient Express
ISBN: 978-3946337225
Leseprobe
Band 3 – Das Lied vom Blut
ISBN:  978-3946337287
Leseprobe
Band 4 – Tag des Zorns 
ISBN: 978-3946337768
Leseprobe

1 Kommentare

  1. Manuel sagt:

    Stephan Francks „Silver“ entführt die Leser in eine faszinierende Welt von Meisterdieben und aristokratischen Vampiren. Das Comic-Debüt startet vielversprechend mit einem klugen Plan, der den Leser durch die Jahrhunderte alte Dynamik zwischen dem Protagonisten James Finnigan und dem Vampirherrscher Dracula führt. Die Einführung einer Nebenhandlung um Vampirjägerin Sledge, während tragisch, lenkt jedoch vom eigentlichen Geschehen ab und führt zu einem überhasteten und enttäuschenden Ende. Trotzdem bleibt die Serie durch Francks beeindruckendes schwarzweißes Artwork, das an Mike Mignola erinnert, visuell beeindruckend. Die solide Übersetzung und das Bonusmaterial runden die deutsche Ausgabe ab, aber das schwache Finale trübt den Gesamteindruck.

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