1. Juni 2018
Der zweite Comic-Salon-Tag in Erlangen brachte zuallererst mal Erleichterung: Dankenswerterweise hatte sich der Wettergott gnädig gezeigt und mittels des Unwetters am Donnerstagabend für eine Abkühlung gesorgt, so dass das Hallenklima deutlich besser zu ertragen war.
Thomas:
„Filterblasen in der Comic-Szene“ hieß das Podiumsgespräch, in dem sich Moderatorin Lisa Schmidt mit den Zeichnern Jeff Chi, Lisa Rau und Sophie Schönhammer und der Journalistin Verena Maser unterhielt. Nach etwas zähem Beginn ging es vor allem um die Tatsache, dass die Comiclandschaft in Deutschland nach wie vor in mindestens zwei Subszenen – Comic und Manga – aufgeteilt ist, die viel weniger Schnittmengen und Berührungspunkte hat, als wünschenswert wäre. Alle Diskutanten, egal ob ihr Background eher im westlichen Comic oder im Manga liegt, betonten, wie schade sie es fänden, dass die Trennung zwischen den beiden Ausprägungen der Kunstform immer noch stark ist. Und zugleich mussten sie zugestehen, dass sie selbst auch eher selten aus ihrer Blase herauskommen.
Bei der Frage, woran das liegen könnte, landete man schnell bei den Online-Plattformen, in denen sich die unterschiedlichen Szenen gewollt oder ungewollt einhegen. Dort vermischt sich wenig, selbst wenn man sich technisch in der gleichen Infrastruktur wie z.B. Facebook bewegt. Die Zeiten, in denen man klar zwischen „Comicforum hier, Animexx dort“ unterscheiden konnte, sind allerdings auch vorbei, beide der genannten Plattformen wurden von den Diskutanten als mehr oder weniger tot beschrieben. Zu beobachten sei inzwischen eine Aufsplitterung in viele unterschiedliche Plattformen (von Twitter über Tapas bis Discord), auf denen sich dann immer nur eine kleine Teilmenge trifft.
Die getrennten Welten setzen sich aber auch offline fort, stellte man fest; sei es bei Veranstaltungen, in der Presse, bei Anthologien und eben letztlich in der Leserschaft. Der Comic-Salon Erlangen sei dabei noch am ehesten die Ausnahme, wo man zumindest bemüht ist, auch die Mangawelt mit einzubeziehen. Jeff Chi stellte die Frage in den Raum, ob vielleicht auch das Wording dazu beitragen könnte, Annäherung zu schaffen. Ähnlich wie man zur Geschlechtergerechtigkeit beiträgt, indem man nicht nur von „Ärzten“ spricht, wenn auch Ärztinnen gemeint sind, müsse man vielleicht auch immer „Comics und Manga“ sagen, wenn man beides meint. Ein vermutlich eher hypothetischer Gedankengang – man wird sich vermutlich nicht 2020 auf dem Comic-und-Manga-Salon Erlangen treffen. Praktikabler und tatsächlich sehr bedenkenswert scheint da schon Chis Aufforderung, man müsse – wenn man denn eine Aufweichung der Filterblasen anstrebe – viel mehr „die andere Seite mitdenken“. Das gelte für die Zusammenstellung von Anthologien genauso wie für das Einladen von Künstlern zu Veranstaltungen, für Verlage ebenso wie für Journalisten. Keine ganz schlechte Idee, die man durchaus mal im Hinterkopf herumtragen kann.
Frauke:
Nach dem Mittag unterhielt sich Martin Jurgeit in der Händlerrunde mit den Fachhändlern Stefan Trautner (Ultra Comix), Katinka Kornacker (Comix Hannover), Frieder Maier (Sammlerecke) und Volker Robrahn (Sakura). Die Besetzung der Runde war gut gewählt; erstens repräsentieren sie die mit umsatzstärksten Comicläden in Deutschland, zweitens sind Sortiment, Strategie, Markt und Zielgruppe erstaunlich unterschiedlich und bieten dadurch einen guten Überblick, welche unterschiedlichen Erfahrungen man als Comicfachhändler machen kann.
Einstieg des Gesprächs war der merkliche Umsatzzuwachs in den letzten Jahren. So gibt es zwei Extreme, was das Sortiment angeht (Sammlerecke bietet nur Comics an, Sakura hat seinen Schwerpunkt im asiatischen Merchandising), und mit denen man jeweils erfolgreich sein kann. Als Konsequenz hat für Sakura der Gratiscomictag keinen größeren Effekt, während für die anderen Läden dies mit etwa 2000 Besuchern (Zahlen der Sammlerecke) der deutlich umsatzstärkste Tag des Jahres ist und der trotz anfänglicher Skepsis mittlerweile sehr gut von ihnen aufgenommen wird.
Die Konkurrenz durch große Onlinehändler wie Amazon sieht Frieder Maier aufgrund des hohen Beratungsbedarfs als gering, während Volker Robrahn noch weiter geht und die Preisvorteile selber nutzt, in dem er günstig über das Internet sein Sortiment für das Ladengeschäft erweitert.
Interessant waren auch die genannten Zahlen: Um einen erfolgreichen Laden zu führen, benötige man ein Einzugsgebiet von 1 bis 2 Millionen Personen, da ungefähr jeder Tausendste in Deutschland für nennenswerte Beträge Comics einkaufe. Außerdem ist die Investitionssumme bei einer Neueröffnung nicht zu unterschätzen: Comix Hannover musste vor 15 Jahren etwa 90.000 Euro in die Hand nehmen und erhielt einen Gründungszuschuss; Ultra Comix investierte vor zehn Jahren ca. 400.000 Euro bei der Eröffnung der Erlanger Filiale.
Die Antworten auf die Frage aus dem Publikum, welche Rolle Graphic Novels im täglichen Ladengeschäft ausmachen, war sehr aufschlussreich und bei allen Händlern erstaunlich konsistent. So beschrieb Katinka Kornacker, dass Comix sich zwar eine eigene Graphic-Novel-Abteilung leiste, der Umsatz von etwa fünf Prozent aber keineswegs die Aufmerksamkeit widerspiegle, die diese Comicgattung in der öffentlichen Diskussion erfahre. GN-Käufer würden zudem häufig keine Stammkunden werden, sondern eher spontan und selten kaufen. Stefan Trautner ist der Meinung, dass der Begriff bald ausgedient habe und sich die Comics dieser Spielart einfach in den nächsten Jahren in das Sortiment eingliedern würden. Zudem würden aktuell Comics auf den Markt gelangen, die durch ihre zum Teil ungelenken Zeichnungen Leser eher vergraulten. Frieder Maier fasst zusammen, dass Graphic Novels am Comicfachhandel vorbeigehen.
Christian:
Schon Freitagmittag setzt das Zeitgefühl aus. Hat man je etwas anderes gemacht als auf dem Comic-Salon zu sein? Die Masse an Eindrücken überwältigt. Alle zwei Jahre aufs Neue.
Die Gesprächsrunde des Verlags Chinabooks zur neuen Serie Der freie Vogel fliegt, die im Erlanger Kollegienhaus stattfand, bot ein interessantes Gegengewicht zu Lars von Törnes Präsentation „Monster, Mythen, Menschenrechte“ vom Vortag über die Comicszene Hongkongs. Lars von Törne setzte darin deutliche politische Akzente; es ging darum, wie China die DNA des kürzlich noch britisch kolonialisierten Hong Kong schleichend verändert und eine mitunter apokalyptische, aber nicht zwingend hoffnungslose Stimmungen erzeugt. Ganz anders das Podiumsgespräch der Künstlerinnen von Chinabooks. Auch in Der freie Vogel fliegt geht es um sehr grundlegende Befindlichkeiten und Systemkritik, doch steht das chinesische Schulsystem und dessen Leistungsdruck im Mittelpunkt. Die Autorin Jidi schrieb sich darin die eigenenen Schultraumata von der Seele, überließ aber die künstlerische Gestaltung – obwohl selbst erfolgreiche Zeichnerin in China – der Künstlerin Ageng, die Jidi schon als Kind bewundert hatte. Agengs luftig-farbenfroher Zeichenstil orientiert sich eher am Trickfilm als an Manga und sieht sehr einladend aus. Übersetzt ist die Reihe von Martina Hasse, die bereits den Nobelpreisträger Mo Yan übersetzt hat und somit ein echtes Schwergewicht ist. Man kann das Engagement, mit der man bei Chinabooks derzeit Serien zügig auf den Markt bringt, nur bewundern. In China erreichen die Bücher der beiden Autorinnen schwindelerregende Auflagen.
Ebenfalls im Kollegienhaus habe ich ein Podiumsgespräch mit Barbara Yelin, Birgit Weyhe und Sonja Schlappinger über Schlappingers Comic-Debut Die Kraft der heil(g)en Familie besucht. Sonja Schlappinger ist selbst keine professionelle Comiczeichnerin, fand aber im Seminar bei Barbara Yelin Unterstützung in der Gestaltung ihres Debuts über selbst erlebten Kindesmissbrauch. Die Herangehensweise war intuitiv und direkt. Mit den Standards professioneller Zeichenstudios lässt sich das Ergebnis nicht vergleichen, als individueller Ausdruck mit klarer Vision ist es dennoch bemerkenswert. Yelin und Schlappinger lassen anschaulich noch einmal den Arbeitsprozess und die therapeutische Wirkung dieser Arbeit Revue passieren, so dass es für den Zuschauer fast körperlich spürbar wird. Die Warnung, dass manche Bilder im Comic verschüttete Erinnerungen oder Unbehagen triggern können, ist durchau ernst zu nehmen, denn selbst im naiv-kruden Stil, der der Künstlerin zur Verfügung stand, sind die Darstellung des Missbrauch der Tochter durch den Vater ätzend. Obwohl nur schwarze Linien auf weißem Papier, brennt sich das Dargestellte augenblicklich in die Netzhaut und man fängt an zu murmeln „Es ist nur Tinte auf Papier, es ist nur Tinte auf Papier“. So geht Verdrängen. Trotzdem ist der Comic schlussendlich lebensbejahend und ohne Hass. Es wäre falsch, diese etwas kruden Graphic Novels (ich nenne sie bewusst so) gegen den professionellen Comic auszuspielen. Beides muss seinen Platz in der Welt finden.
Die Max-und-Moritz-Preisverleihung am Abend wurde diesmal nicht mit „Soul Man“ eingeleitet, stattdessen gab’s fränkische Kerwamusik und Klezmer von einem Quartett mit Klarinette, Trompete, Ziehharmonika und Kontrabass; eine nette Abwechslung. Die Gala verlief ausnahmsweise skandalfrei, war unterhaltsam und brachte einige angenehme Überraschungen bei den prämierten Titeln und Künstlerinnen und Künstlern, die auf Twitter und Facebook aber schon so breitgetreten wurden, dass sie hier nicht noch mal aufgezählt werden brauchen. Freibier und Würstchen markieren das Ende des zweiten Abends.
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