In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Andi: Es hat eine ganze Weile in Anspruch genommen, aber ich habe den umfangreichen Comicband Economix – Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht) (Jacoby & Stuart) durch und muss ihn gleich wärmstens weiterempfehlen. An diesem 304-Seiten-Sachbuch zeigt sich für mich mal wieder wie gut die Comicform geeignet ist, um eine anspruchsvolle und trockene Materie anschaulich, unterhaltsam und verständlich aufzubereiten. Autor Michael Goodwin erläutert nicht nur die Wirtschaftsgeschichte und Entwicklung der ökonomischen Theorien vom frühen 19. Jahrhundert an bis heute, sondern vermischt sie mit Analyse und scharfzüngiger Kritik. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt zwar auf den USA, aber es gibt viele Exkurse und Bezüge nach Europa und den Rest der Welt und hilfreiche Erläuterungen des Übersetzers. Zudem ist vieles (leider) eins zu eins auf „unsere“ Wirtschaft übertragbar. Dank viel Humors und Dan E. Burrs abwechslungsreicher Bebilderung ist das Ganze auch für einen Laien wie mich (in Lesehäpppchen) sehr gut genieß- und nachvollziehbar. Nicht nur konnte ich noch einige Wissenslücken schließen, sondern mich auch herzhaft über unglaubliche Torheiten, Experimente und Gaunerstücke von Politikern, Wirtschaftskonzernen und Ökonomen erregen – die oft nur möglich waren und sind, weil das Wahlvolk nicht versteht, was vor seinen Augen passiert. Gegen dieses Unverständnis kann dieses Buch erste Abhilfe schaffen und sollte ab dem 10. Schuljahr allgemeine Pflichtlektüre sein.
Niklas: Nostalgie ist ein merkwürdiges Gefühl. Als der Entwickler Obsidian Entertainment sein auf Kickstarter finanziertes Rollenspiel Pillars of Eternity herausbrachte, waren einige Käufer und Backer wirklich enttäuscht. Der Grund: Sie hatten sich dasselbe Erlebnis wie damals zu Zeiten von Baldurs Gate 2 versprochen. Es sollte aber eigentlich klar sein, dass das unmöglich ist. Schließlich müsste man dafür genauso alt sein wie damals, die gleichen Emotionen fühlen. Kurz gesagt: Sich in eine Zeitblase begeben, in der sich nichts verändert hat. Das ist schade, denn gerade in seinem jetzigen Zustand gehört Pillars of Eternity zu den besten Rollenspielen der letzten zehn Jahre, vielleicht sogar eines der besten aller Zeiten.
Als Anführer einer sechsköpfigen Gruppe von Abenteurern kämpfe ich mich durch eine Welt, in der man nach dem Tod wieder geboren wird und Seelen wissenschaftlich nachweisbar und erforschbar sind. Ein spannendes Konzept, um das Obsidian alle Geschichten und auch den größten Teil aller Monster aufgebaut hat. Ich habe selten eine so durchdachte Spielwelt erlebt, die so frisch und neu wirkt, obwohl sie, wie der Großteil populärer Fantasy, von Elfen und Zwergen bewohnt wird. Der Rest des Spiels weiß auch zu gefallen: Die Charaktere, ob nun Begleiter oder Gegenspieler, sind gut geschrieben, die Welt ist groß und Quests lassen sich nicht nur durch Kämpfe oder den richtigen Dialogoptionen lösen. Die eigenen Charakterewerte können ebenfalls nützlich sein, genau wie Charaktereigenschaften, die der Hauptfigur nach getroffenen Entscheidungen zugeschrieben werden und auf die Nebenfiguren sie auch ansprechen. Solche kleinen Details lassen die Welt lebendig wirken und da ist es schön, dass sich Pillars of Eternity nicht komplett an Baldurs Gate 2 orientiert, das seinen Fokus mehr auf die Kämpfe legte.
Natürlich ist nicht alles perfekt. Die Handlung hat ab der Mitte einen Hänger und die Kämpfe lassen sich meist dadurch lösen, dass meine Gruppe sich auf einzelne Gegner stürzt und diese gnadenlos zu Klump schlägt. Das lässt sich aber alles in Pillars of Eternity 2 noch verbessern. Baldurs Gate 2 war ja auch die Fortsetzung eines nicht perfekten Vorgängerspiels, was manche ja gerne im Rausch der alten Erinnerungen vergessen. Ich für meinen Teil werde Pillars of Eternity bestimmt noch ein drittes Mal durchspielen und mir gerne noch ein paar frische positive Erinnerungen erschaffen. Vielleicht werde ich mich in zehn Jahren selber darüber ärgern, dass die Nachfolger mir nicht das gleiche Gefühl vermitteln, das ich jetzt beim durchspielen erlebte. Nostalgie ist wirklich ein merkwürdiges Gefühl.
Daniel: Ich habe komische Dinge gesehen: Netflix‘ neue Serie Stranger Things baut auch voll auf Nostalgie. Sie versucht dem Zuschauer die 80er Jahre förmlich in die Netzhaut zu pressen. Das gelingt. In der ersten Folge spielen vier Kids „Dungeons & Dragons“, fahren BMX und haben Walkie-Talkie. Man wartet förmlich auf den Moment an dem die Räder abheben und sie nach hause telefonieren. Auch das Intro erinnert an Spielberg-Filme aus der Zeit und mit Winona Ryder als verkorkste Mutter haben wir auch einen Akteur aus fast dieser Zeit. In der Kleinstadt Hawkins verschwindet plötzlich einer der vier Jungs. Ein mysteriöses Wesen scheint ihn entführt zu haben. Dafür erscheint in der Form eines jungen Mädchens ein ebenso absonderliches Wesen, das fern ab von jeglicher sozialer Etikette agiert. Während sie bei den Jungen langsam auftaut, entwickelt sich die Geschichte um das Monster weiter. Ein interessante Ausgangssitutation mit Potential für die kommenden sieben Folgen. Doch Netflix zwingt seinen Zuschauern die 80er förmlich auf und bereits in der zweiten Folgen nerven der Trailer, Winona Ryders hysterische Art und alle offensichtlichen Anspielungen auf die 80er. Alles ein bisschen zu viel. Hat mich natürlich trotzdem nicht davon abgehalten, die ganzen acht Episoden zu sehen. Und die Kids vermisse ich schon jetzt.
Alex: Ausstellungen bieten immer wieder eine willkommene Gelegenheit, sich mit dem reichen Comicschaffen unserer Nachbarn vertraut zu machen. So etwa die sehenswerte Schau Belgische Independent Comics – zwischen Alltagskultur und Avantgarde im Cöln Comic Haus (11.06.2016 bis 02.07.2016). Der Kurator Gregor Straube gibt darin einen seltenen Einblick in die Arbeit der belgischen Fanzine-Szene. Die Arbeiten von neun Künstlerinnen und Künstlern aus den Kollektiven Nos Restes und Habeas Corpus waren für mich gänzlich neu und hielten überraschende Entdeckungen bereit – auch dank der spontanen Führung durch die Geschäftsführerin Susanne Film. Die Exponate zeugen von einer großen Experimentierfreude und entziehen sich dabei von vornherein der herkömmlichen Verwertungslogik durch etablierte Verlage, die in Belgien vom Albumformat geprägt ist. Offensichtlich geht es hier um sorgfältig von Hand gefertigte Kleinstauflagen, die gängige Formate sprengen und sich durch ungewöhnliche Materialien auszeichnen. Liebhaberstücke.
Die Beantwortung der Fragen, was Comics können und wo ihre formalen Grenzen zu verorten sind, geht einher mit einem freiem Ausprobieren von Techniken, Materialien und künstlerischen Konzepten. Oft sind es spontane Einfälle, die ebenso schnell zu Papier gebracht werden. Die Ausstellung bietet eine Momentaufnahme einer dynamischen Szene und rückt den handwerklichen Prozess in den Mittelpunkt: von Skizzen über Originalzeichnungen mit Kritzeleien am Panelrand bis hin zu Heften in japanischer Fadenbindung. Die Selbstverständlichkeit, mit den einfachsten Mitteln Comics zu schaffen, ist in Belgien sicherlich ausgeprägter als in Deutschland, eben ein Stück weit Alltagskultur. Da wären Carl Roosens Druckgrafiken, obszöne Wimmelbilder, die an Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch erinnern. Daneben Arbeiten auf Pauspapier und Schabkarton oder mit Tonpapier. Eine Ausgabe des Zines We All Go Down beschäftigt sich mit den Bruchstellen bei Google Street View, Orte, die im virtuellen Raum plötzlich gekrümmt erscheinen. Dekonstruiert sind die Arbeiten von Jérôme Puigros-Puigener, zu deren Betrachtung eine Lupe bereitliegt; schließlich arbeitet er mit einem Raster aus Quadraten mit einer Seitenlänge von gerade einmal fünf Millimetern. Eines dieser Werke vereint in 16×24 Panels Detailaufnahmen bekannter Comicfiguren, in einem anderen spielt Puigros-Puigener mit flirrenden Camouflagemustern. Besonders fesselnd wirkt das eigenartig verzerrte Cover von Tintin et les Picaros, für das der Zeichner Quadrat für Quadrat gedreht und minutiös nachgezeichnet hat.
Die Ausstellung im Cöln Comic Haus ist übrigens eine Fortführung der Ausstellung Fanzineke aus dem Jahr 2014 im Bremer Projektraum 404. Dieser augenzwinkernde Titel greift den belgischen Begriff für Promenadenmischung auf, Zinneke, der außerdem eine abwertende Bezeichnung für die Bewohner Brüssels ist. Oft sind es doch gerade diese Promenadenmischungen, in denen sich das Comicschaffen von seiner lebendigsten Seite zeigt. Hier ein schneller Rundgang durch die Bremer Ausstellung
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
2 Kommentare