In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Niklas: Mit The Consuming Shadow schummel ich ein bisschen, da ich es jeden Tag mindestens eine halbe Stunde spiele. Als paranormaler Ermittler reist meine Spielfigur durch Großbritannien und muss eine cthultoide Monstrosität mithilfe eines Rituals innerhalb von 70 (Spiel-)Stunden verbannen. Am Anfang gelingt mir das nicht, weil die Munition knapp und mein virtuelles Ich noch etwas schwach auf der Brust ist. Also starb er. Mehrmals. Irgendwann hatte ich aber den Dreh raus, stieg im Level auf, meisterte die Mechaniken und schaffe die Partie in der erwähnten halben Stunde.
Dass das Spiel spannend bleibt, liegt daran dass Entwickler Ben „Yathzee“ Croshaw, bekannt aus der Review-Serie Zero Punctuation, sein Spiel als roguelike gestaltet hat. Der ältere Gott, der Zauber, mit dem er verbannt wird, und alle anderen Aspekte werden also vollkommen zufällig bestimmt. Es kann durchaus sein, dass eigentlich starke Figuren mit gebrochenen Beinen und nur einem Lebenspunkt in die Ritualkammer humpeln, um am Ende doch noch zu scheitern, da ich die gesammelten Hinweise falsch gedeutet habe. Dieses andauernde Gefühl der Gefahr macht The Consuming Shadow zu einem richtig guten Horrorspiel, dass mit vier spielbaren Protagonisten und vielen Herausforderungen auch abseits des zufälligen Aufbaus der Level genug Wiederspielwert bietet. Man sollte aber bei der Grafik ein wenig die Augen zudrücken. Die ist nämlich, großzügig ausgedrückt, abseits des Designs der Monster, nur zweckmäßig. Mich stört sie nicht und ich denke, ich spiele gleich noch eine Runde. Gut möglich, dass ich wieder sterbe. Zumindest muss meine Figur dann nicht mehr mitbekommen, wie sich ein hungriger Gott an den Seelen der verdammten Menschheit labt.
PS: Gerade bekommt man The Consuming Shadow für nur fünf Euro auf Steam!
Daniel: Aktuell laufen im Bezahlfernsehen zwei Comicadaptionen: Preacher (Amazon Prime) und Outcast (Sky Go). Ich habe von beide Serien die mittlerweile vier bzw. drei ausgestrahlten Folgen gesehen und glaube mir ein Urteil bilden zu können. Doch dieses Urteil stützt sich nicht auf die Comics, da ich weder Garth Ennis‘ Preacher-Comics noch Robert Kirkmans Outcast-Comics gelesen habe. Was ich schreibe, basiert also nur auf gefährlichem Halbwissen und meiner Unterhaltung vom Fernsehen bzw. Tablet. Von diesem Seheindruck gewinnt ganz klar Outcast. Eigentlich wäre das Setting von Preacher – irgendwo in der Wüste – sehr interessant. Die Figuren sind skurril, die Musik und das Szenenbild passen zu dem, was ich vom Comic weiß. Doch die Serie funktioniert nicht. Es gibt keinen übergreifenden Handlungsbogen, kein Interesse für mich, eine weitere Folge zu gucken, weil ich keinen Antrieb sehe. Ja, Jesse Custer besitzt das WORT GOTTES, und ja, Cassady, der irische Vampir, ist lustig. Aber der Serie fehlt die Motivation.
Ganz anders hingegen Outcast. Die erste Folge gruselt mich. Nein, gleich bei der ersten Szene läuft mir ein Schauer über den Rücken, deshalb bekommt ihr die hier schon zu sehen. Aber es liegt nicht an dem Grusel, sondern an dem inneren Konflikt der beiden Protagonisten. Lustigerweise auch ein Prediger und ein von fremden Mächten Besessener. Scheint eine gute Combo zu sein. In Outcast schickt Robert Kirkman (The Walking Dead) Kyle Barnes, wunderbar deprimierend verkörpert von Patrik Fuget, zurück in das amerikanische Kaff Rome. Im Intro kriecht eine Grauen durch jede Ecke der Gemeinde, aber es sind die Menschen, die dort leben, die die Stadt zum Leben erwachen lassen. Auch Preacher versucht die amerikanische Kleinstadt zu porträtieren, aber die Story ist als Road Movie angelegt. Während das Ensemble sichtlich nicht vorankommt, dringt der Zuschauer bei Outcast Stück für Stück tiefer in die Psyche von Kyle ein.
Frauke: Die Spieleschmiede Telltale Games, die uns unter anderem mit ihren cineastischen Umsetzungen zu The Walking Dead und Fable (The Wolf Among Us) begeistert hat (übrigens wie auch bei Niklas‘ Tipp: Im Steam Summer Sale sind sämtliche Telltale-Produktionen bis zum 04.07.16 massiv reduziert, bis zum 01.07.16 ebenso auf gog.com), hat letzte Woche erste Screenshots zu ihrer neuen Comicadaption gezeigt: Wenn Telltale auf seinem hohen Niveau bleibt, wird es diesmal Batman-Fans sehr freuen. Neben den Bildern gibt’s hier im Telltale-Blog noch einige Infos inklusive der Sprecher, der Angabe, dass das Spiel altbewährte fünf Teile umfassen wird und „Ende des Sommers“ die erste Folge erscheinen soll. Der Trailer verrät zwar nix, ist aber schon mal sehr schnieke.
Christian: Ein Antiquitätenhändler hat in seiner Vitrine zwei antike Colts aus dem amerikanischen Bürgerkrieg: Nur einer davon ist echt, der andere ist eine Fälschung, die mit modernster Technik produziert und danach auf alt getrimmt wurde. Was, stellt sich die Frage, unterscheidet nun aber tatsächlich den einen Colt vom anderen? Und was bedeutet es für den Besitzer vermeintlicher Antiquitäten, wenn sein ganzer Reichtum und sein ganzer Besitzerstolz auf einer Fälschung beruhen? Ganz offensichtlich projiziert man aber auch in das Original nur seine Wünsche hinein und lädt es mit Bedeutung auf, die schlussendlich nur deswegen real existiert, weil es noch andere Menschen gibt, die an das gleiche Bezugssystem glauben.
Mit solchen Fragen konfrontiert uns Philip K. Dick in seinem famosen Roman The Man in the High Castle (deutsch: Das Orakel vom Berge). Darin verschränkt er oben genanntes, doch etwas spezielle Beispiel mit der großen Frage, was wohl wäre, wenn die Welt, die wir kennen, von Nazis, die den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben, nach ihrem eigenen Weltbild umgebaut werden würde. Damit unterscheidet sich K. Dicks Roman fundamental von dem anderen großen Roman, der ebenfalls in einer von Nazis beherrschten Welt spielt, Robert Harris‘ Fatherland, denn gegen Philip K. Dicks Roman wirkt Robert Harris‘ Thriller schon fast etwas hausbacken. (Dennoch gilt auch für Fatherland meine ausdrückliche Leseempfehlung. Spannenderes und dabei kompakteres als Fatherland kriegt man selten zu lesen.)
Philipp K. Dick ist in The Man in the High Castle ein ziemlich gemeiner Erzähler. Anders als andere allwissende Erzähler gibt er uns keine Identifikationsfigur an die Hand, deren Gefühlen und Empfindungen wir vertrauen können. Stattdessen lässt er uns immer nur so viel Information zukommen, dass wir zwar verstehen, was in der Situation geschieht, über das „wahre Wesen“ einer Figur aber lange im Dunklen gelassen werden. Immer wieder verändert sich, sobald sich der Beziehungsrahmen ändert, auch unsere Wahrnehmung sowie das Auftreten einer Figur, mehrere Figuren besitzen auch eine Zweitidentität, so dass der „wahre Kern“ jeder Figur zum Trugbild, ja zum frommen, unerfüllbaren Wunsch wird. Nicht nur hier ähnelt Philip K. Dicks Ansatz dem Gedankengebäude, das Grant Morrison in The Invisibles entwickelt.
Trotzdem gibt es zwischen Dicks Roman und Morrisons Comicserie einen großen Unterschied: In Dicks Parallelwelt haben die Nazis den Krieg gewonnen; deren Ideologie ist bei Dick aber genau so verabscheuungswürdig, wie ich sie selbst empfinde – und auch Dicks Analysen entsprechen meiner Haltung und bereichern diese bisweilen auch. Morrison dagegen stellt meine Überzeugungen auf den Kopf und spielt mit ihnen Fußball. Er wertet, indem er die Terroristen seiner Serie zu Helden stilisiert, das System zum Feind erklärt und jede Verschwörungstheorie zur Wahrheit erklärt, die meisten meiner grundlegenden Empfindungen und Überzeugungen schlichtweg um. Dass er daraus allerdings trotzdem einen der besten Comics der 90er gestrickt hat, ist dann aber doch der Tatsache geschuldet, dass Morrison bei dieser Grundprämisse nicht stehen bleibt, sondern intelligent damit jongliert. Egal was man von Morrison heute halten mag: Mit The Invisibles ist ihm ein Meilenstein in der Geschichte des Autorencomics gelungen. Und er ist nicht nur ein Epigone von Dick, sondern hat dessen Ideen, ganz wie es sein sollte, aufgegriffen und etwas eigenes daraus gemacht. (Mehr über Grant Morrisons Invisibles lässt sich in der Artikelserie vom letzten Jahr nachlesen.)
Frauke: Ich wusste doch beim Colt-Gleichnis des ersten Absatzes, dass ich das irgendwoher kenne …! Ja klar, dann fiel der Groschen. Es hat es nämlich auch in die Fernsehadaption von The Man in the High Castle geschafft, dessen erste Staffel für Amazon Prime produziert wurde. Die gefiel mir echt gut – ohne einen Vergleich zur Romanvorlage ziehen zu können (deutscher Trailer).
Christian: Dafür kann ich keinen Vergleich zur Fernsehserie ziehen. Aber was man bisher von der Serie sieht, macht Lust auf mehr.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
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