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Wytches 1

Knarrende Türen oder aus dem Bauch quellende Gedärme? Gothic Horror oder hammerharter Splatter? Oder anders gefragt: was macht eigentlich guten Horror aus? Bekommen die einen bei knarzenden Holztreppen und Geisterspuk immer wieder eine kribbelnde Kopfhaut, lässt andere das wiederum kalt und sie suchen den kurzfristigen Schock des Splatters. Natürlich gibt es bei beiden Unterarten des Horrors herausragende Beispiele wie auch enorm viel Schlechtes. Doch wenn man sich einmal überlegt, welche Horrorfilme oder -comics einen noch lange beschäftigt haben, sind es doch meist solche, die neben dem offensichtlichen Schrecken ein tiefes Unbehagen ausgelöst haben. Abseits der schrecklichen Bilder muss es also noch etwas anderes geben, was einen tief berührt.

Alle Abbildungen: © Splitter Verlag

Das ist einer der Gründe, warum der Geisterspuk und die Erzählungen über ihn nicht tot zu kriegen sind. Schließlich wird darin eine elementare Frage der Menschheit thematisiert: das Leben nach dem Tode. Ein weiteres generelles Thema des Horrorgenres ist die Unversehrtheit des menschlichen Körpers. Nicht nur, dass man sich gegen irre Killer wehrt, sondern dass man, in der Spielart des „Body Horror“, seinem Körper nicht mehr trauen kann – und in gewissem Sinne auch seinem Geist.

Comics haben es in dieser Hinsicht schwerer als Filme oder Prosatexte. Denn Schocks verflachen hier. Schließlich kann man sich die Bilder länger ansehen als im Film, sie studieren und ihnen so den Schrecken nehmen. Atmosphäre kann zwar durch die Zeichnungen hergestellt werden, aber um richtig gruselig zu werden, fehlt es ihnen am Ton, den nur der Film einsetzen kann. Guter, wirkungsvoller Horror ist also im Comic sehr schwer umzusetzen.

Insofern ist es eine ziemliche Überraschung, dass Wytches vom Shootingstar Scott Snyder (American Vampire) eine gehörige Nachwirkung auf den Leser hat. Neben dem offensichtlichen Schrecken, den es vermittelt, ist dieses Buch auch zutiefst beunruhigend. Sailor Rook ist ein Mädchen im Teenager-Alter, welches mit seinen Eltern in eine neue Umgebung zieht. Die Mutter, nach einem Unfall im Rollstuhl festsitzend, und der Vater wollen damit auch die Familie retten. Denn Sailor haftet der Ruf an, eine Mitschülerin ermordet zu haben. Sie aber weiß, wer es war, nur wird ihr niemand glauben.

Die Story an sich klingt erst einmal nicht allzu vielversprechend. Und auch der Titel, Wytches, lässt einen erst mal zweifeln. Eine moderne Horrorstory mit Hexen? Ist das nicht anachronistisch angesichts all der Zombiehorden, und auch weitaus weniger beängstigend? Wer fürchtet sich denn heutzutage schon vor alten, buckligen Frauen mit Warze auf der Nase, die in einem Pfefferkuchenhaus wohnen? Alle, die diesen Band gelesen haben. Scott Snyder ist ein Shootingstar des amerikanischen Comics, allein schon seine Storylines für Batman sind herausragend. Aber mit dieser Horrorstory legt er sein bisheriges Meisterstück vor.

Denn die Erzählung geht wirklich an die Nieren. Vor allem die alptraumhaften Bilder von Jock (The Losers, Hellblazer) und die kongenial eingesetzten Farben von Matt Hollingsworth zaubern eine permanente Atmosphäre der Unwirklichkeit, welche die Realität verzerrt und nicht mehr zwischen Fantasie und Realität unterscheiden lässt. Im Verbund mit der Geschichte, die wirklich jedes Klischee auslässt, sorgt dies beim Leser für permanente Ungewissheit und damit für den Punkt, der guten Horror ausmacht. Das bezieht sich zum einen natürlich auf den übernatürlichen Aspekt, zum anderen auf die Vergangenheit der Hauptfiguren. Man ist sich nicht sicher, wie alles zusammenhängen mag; nach und nach werden Schichten offengelegt und in den Kern der Psyche vorgedrungen. Und am Ende steht die beunruhigende Frage, wie man selber in der Situation gehandelt hätte. Spätestens da wird dem Leser der Boden unter den Füßen weggezogen und man bleibt verstört zurück. Und das macht Wytches zu einem der besten Horrorcomics, die es bislang gegeben hat.

Hier liegt einer der besten Horrorcomics überhaupt vor, der dem Leser den Boden unter den Füßen wegzieht.

Wytches 1
Splitter-Verlag, 2016
Text: Scott Snyder
Zeichnungen: Jock
Übersetzung: Gerlinde Althoff
192 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-291-5
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