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Stehaufmännchen

Ralf König schafft es immer dann, mich ganz besonders zu berühren, wenn er unseren Blick für die großen, kosmischen Zusammenhänge öffnet. So zum Beispiel in Super Paradise, wenn der gutmütige Herbert dem mit HIV infizierten Paul seine Dia-Sammlung mit Bildern aus dem Weltall zeigt: „Die Energie, die da oben neue Sonnen entstehen lässt, ist dieselbe, mit der wir hier atmen, rumlaufen, denken und vögeln. […] Dann weiß ich, es gibt einen größeren Zusammenhang. Einen höheren Sinn. Und wir gehören dazu. Wir sind sogar mittendrin.“ Wissen tröstet.

Alle Abbildungen © Ralf König/Rowohlt Verlag

In seinem neuen Buch Stehaufmännchen geht Ralf König nun den Ursprüngen des Wissens auf den Grund. Es geht um die Vorgänger des modernen Menschen, die sich mutig von den Bäumen herunter auf die freie Steppe wagten, dorthin, wo der Säbelzahntiger lauert. Damit ist dann leider das gechillte Leben auf den Bäumen vorbei: Bisher hat das Alphamännchen allein für die Arterhaltung gesorgt, während die anderen Männchen schon aus Gründen der Triebabfuhr gar nicht anders konnten, als gleichgeschlechtlichen Sex zu haben.

Aber jetzt weht ein anderer Wind. Das Alphamännchen ist alt geworden und bringts nicht mehr, doch statt der traditionellen Ablöse durch den neuen starken Mann vom Baum führen die progressiven Kräfte nicht nur das Laufen auf zwei Beinen ein, sondern schaffen gleich noch das Haremssystem des Alpha-Männchens ab. Ab sofort darf jedes Männchen ran. Vermehrung wird zum Muss, denn die Savanne ist groß und den Säbelzahntiger kriegen wir vor allem mit Präsenz und Masse klein. Nebenbei erfahren wir am Beispiel des kleinen Flop, wie Homosexualität zum Stigma werden konnte, denn auf einmal ist der, der nicht sofort mit großem Hurra die nächste Frau bespringen will, ein Außenseiter. Die Weibchen sind wenig begeistert und stellen sich ihrerseits auf die Hinterfüße. Super, diese Demokratisierung.

Ralf König dampft diese Wegmarken der Evolution auf ein Mehrpersonenstück ein, das im Comic auf Urwaldbühne aufgeführt wird. „Wann ist der Mensch falsch abgebogen“, so die im Raum stehende Frage. Aber es ist ja durchaus ein bisschen wohlfeil, Dias vom Kosmos anzusehen und die Schönheit des Weltalls zu bewundern – denn welchen Wert hat diese Schönheit ohne Bewunderer? Und wer, wenn nicht wir, hat dafür ein Auge?

„Keep on trucking“ – Die Seitenwege der menschlichen Evolution sind definitiv schöner als der Hauptpfad.

Ralf König hat seinem kulturpessimistischen Protagonisten Flop einen erfeulichen Sinn für alles Zweckfreie und Schöne mit auf den Weg gegeben: Mal entdeckt er für sich die Höhlenmalerei, ein andermal erfährt er durch den Verzehr seltsamer Pilze, was die Erde wirklich im Inneren zusammenhält. Den rein funktionalen Fortschritt dagegen verfolgt er mit Grausen. Fleischverzehr, Kannibalismus, Brandrodung, alles für die Arterhaltung? Vielleicht wär’s doch besser, dem Säbelzahntiger das Feld zu überlassen und bis dahin den Alphatypen seinen Job machen zu lassen. Aber den hat man ja eben erst abgeschafft. Den Sündenfall, so zeigt uns Ralf König, den gibt es auch ganz ohne Religion. Und Schwule werden auch von den Progressiven verbrannt. Sie tun ja nichts für die Arterhaltung.

Einen Hoffnungsschimmer hingegen lässt uns Ralf König. Während der aufrechtgehende Mensch bei ihm derjenige ist, der den Keim des Untergangs in die Welt setzt, ist der nachfolgende Homo Sapiens darüber schon wieder etwas reflektierter – dafür allerdings hoffnungslos verpeilt. Ob er der Verantwortung gerecht werden kann, die vom Erectus geschaffene Welt in vernünftige Bahnen zu lenken? Es bleibt spannend.

Ein Leben ohne Ralf-König-Comics ist möglich, aber sinnlos.

9von10Stehaufmännchen
Rowohlt, 2019
Text und Zeichnungen: Ralf König
192 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 978-3498035815
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