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Schattenspringer ² – Per Anhalter durch die Pubertät

Daniela Schreiter ist angekommen. Mit ihrem Debüt Schattenspringer von 2014, einem autobiographischen Comic über ihre Kindheit als Asperger-Autistin, hat es die Berlinerin geschafft, erfolgreich bei Panini zu starten und mehr Menschen klar zu machen, dass Autisten nicht identisch mit fiktiven Figuren wie Raymond Babbitt aus Rain Man und Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory , sondern gar nicht so verschieden vom Rest der Welt sind. Nun ist ein zweiter Band erschienen.

© Daniela Schreiter/Panini

© Daniela Schreiter/Panini

Schattenspringer hatte vor allem erklärt, was Autismus bedeutet, vor allem für Daniela Schreiter, denn selbstverständlich sind Autisten ebenso individuell wie Nicht-Autisten, wenngleich es doch gewisse Merkmale gibt, die notwendig sind, damit die „Diagnose F84.5“ zutrifft, wie das so kalt und klar in den medizinischen Fachbüchern genannt wird. Autisten werden durch Reizüberflutung noch viel stärker belastet als es wohl jeder von uns ab und an bei sich selbst erlebt und kennt. Deshalb ist es für sie oft auch so extrem mühsam, dem Gegenüber beim Gespräch in die Augen sehen zu müssen. Kleine und gefühlt oft auch riesengroße Schwierigkeiten beschreibt Schreiter charmant, häufig lustig, ohne dass dabei die traurigen Momente, die Einsamkeit und die Frustration ausgeklammert werden.

Teilweise überschneidet sich die Handlung beider Comics, mitunter wird auf Band 1 verwiesen, aber tatsächlich ist die Fortsetzung auch ohne Kenntnis des ersten Teils verständlich. Im zweiten Teil wird nochmal Anlauf genommen und bei der Kindheit begonnen, nur diesmal eben mit anderen Anekdoten. Schreiter erzählt in kleinen, abgeschlossenen Episoden – das ist Chance und Risiko zugleich: Einerseits lassen sich daraus immer wieder neue Strips machen, aber etwas beliebig wirkt es dadurch mitunter schon. Im Laufe des Buches macht Daniela ihr Abitur und ist nun an der Uni, um Jura zu studieren. Dabei macht sie langsame Fortschritte beim Versuch, sich anderen Menschen zu öffnen. Sie erzählt von Dates und Beziehungen und spart das Thema Depressionen nicht aus. Die Geschichte ist spannungsärmer als im Debüt, eine gewisse Routine hat sich eingeschlichen. Wie ein unnötiges Strecken und Überdehnen des Stoffes wirkt das zwar nicht, denn Schreiter hat noch vieles zu sagen, was es nicht in den ersten Teil geschafft hat, aber für Leser von Teil 1 gibt es hier eigentlich nichts dramatisch Neues mehr über Autismus zu lernen.

© Daniela Schreiter/Panini

© Daniela Schreiter/Panini

Während es im ersten Band größtenteils ums Anderssein ging, steht in der Fortsetzung stärker das Vereinende im Vordergrund. Wenn sie dieses Mal ihre Begeisterung für die Band Die Ärzte beschreibt und zwei Funktionen von Musik erläutert, nämlich zum einen die Sicherheit durch vertraute Lieder und zum anderen das Abschotten von der Außenwelt, dann hat das so gar nichts mit Autismus zu tun und dürfte sehr vielen Menschen aus der Seele sprechen. Das gilt für viele Episoden aus beiden Büchern, die ausgesprochen liebevoll erzählt werden und ermutigen. Wer fühlte sich denn als Heranwachsender nicht oft unglücklich, ausgeschlossen und wurde immer mal wieder ohne erkennbaren Grund von Mitschülern gemein behandelt?

Zeichnerisch ist der Comic ausgereifter als der Vorgänger. Gab es in Teil 1 einen Comic der X-Men zu sehen, dann war das lediglich eine weiße Seite mit dem Logo der Serie. Dieses Mal blickt uns Wolverine grimmig entgegen und wartet darauf, von den Lesern entdeckt zu werden, ebenso wie zahlreiche „Easter Eggs“: kleine, amüsante Details im Hintergrund, wie zum Beispiel Verweise auf Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams. Daniela fühlt sich oft wie eine Außerirdische auf einem fremden Planeten, nur dass ihr eben kein galaktischer Reiseführer zur Verfügung stand, um sich in der oft als bedrohlich und unverständlich empfundenen Umwelt zurechtzufinden.

Am Ende ihrer Geschichte findet sie ein sehr schönes, einleuchtendes Symbol für die Widrigkeiten in der Kommunikation zwischen Autisten und Nicht-Autisten: Wir sehen immer nur das, was wir kennen. Wenn die kleine Daniela einen Dinosaurier zeichnet, lobt ihre Mami sie dafür, dass sie so ein tolles Nashorn gemalt hat. „Seht genau hin, wenn ihr Nashörner oder andere Menschen anseht“, will uns das mitgeben und es funktioniert gezeichnet sehr berührend, kitschfrei und humorvoll.

© Daniela Schreiter/Panini

© Daniela Schreiter/Panini

Dass bei Schattenspringer² , wie bereits beim Debüt, nur ein paar Seiten koloriert sind, ist sehr bedauerlich, denn durch die Farbe gewinnen Schreiters Bilder ganz enorm und laden viel eher dazu ein, die Episoden erneut zu lesen und die meist niedlichen, mitunter vielleicht auch mal zu naiven Zeichnungen erneut anzusehen – gerade für Menschen, die erst mal wegen des Themas Autismus zu einem Comic greifen und sich davon eben auch bunte Bilder erhoffen, könnte es etwas ernüchternd sein, dass nur der Anfang der Geschichte farbig ist. Als Stilmittel wäre es im übrigen sinnvoller, das Ende farbig zu gestalten, denn nach den Phasen von Frust, Einsamkeit und Depression wartet zum Schluss schließlich ein Happy End.

Sollte es bei weiteren Büchern noch stärker in die Richtung von drolligen Alltagssituationen mit Bezügen zur Popkultur gehen, droht durchaus die Gefahr, dass Schreiters Geschichten etwas zu süßlich und belanglos werden könnten. Für meinen Geschmack spricht die Comicfigur Daniela im neuen Buch bereits etwas zu oft mit ihrem Sidekick, dem kleinen Fuchs, und hält sich teils zu sehr mit niedlich-knuffigen Bildern auf, was wie ein Test wirkt, in welche Richtung die Reise bei den Comicgeschichten gehen soll.

Eine Fortsetzung, die noch stärker die Gemeinsamkeiten zwischen Autisten und Nicht-Autisten betont, wäre keine schlechte Idee. Noch besser, weil eine konsequente Weiterentwicklung, wäre ein Comic über Schreiters Steckenpferde wie Naturwissenschaften und Videospiele, ohne speziell auf Autismus einzugehen, denn das ist eine der zentralen Botschaften von Schattenspringer²: Autisten sind keine gefühllosen, völlig anders gestrickten Menschen, sondern nur in manchen Eigenarten von der Norm abweichend. Das lässt sich nicht mit dem namensgebenden Sprung über den eigenen Schatten beheben, aber mit Empathie und Toleranz bewältigen. Die Daniela von heute mit der Daniela als Kind und dem schlauen Fuchs haben das Zeug zu ihrer eigenen Serie, hier wäre ähnliches denkbar wie beim Reporterhund Ferdinand von Ralph Ruthe und Flix.

Charmante und ermutigende Fortsetzung, die stellenweise etwas arg niedlich geraten ist

Schattenspringer ² – Per Anhalter durch die Pubertät
Panini Comics, 2015
Text und Zeichnungen: Daniela Schreiter
160 Seiten, schwarz-weiß/farbig, Hardcover
Preis: 19,99 Euro
Extras: Vorwort von Denise Linke, Vorwort von Daniela Schreiter, Nachbetrachtung von Marlies Hübner
ISBN: 978-3-95798-308-4
Leseprobe

3 Kommentare

  1. Kunstpause sagt:

    Das man in Band 2 nicht mehr großartig Neues über Autismus lernt halte ich für völlig unwichtig. Das Buch ist ja nun nicht nur als reine Erklärbär-Hilfe für nicht Autisten da sondern ist ganz dringend nötige Repräsentation für uns.
    Einen Comic lesen, mit dem ich mich identifizieren kann war für Jahrzehnte etwas, dass gar nicht existierte. Mangelnde Neuerkenntnisse für Neurotypische stößt mir da als Kritikpunkt eher sauer auf.

    1. Stefan sagt:

      Verstehe. Hat etwas von einer Vorführung, etwas von Zoo oder Zirkus,  oder? Es war aber nicht die Intention zu bemängeln, dass eine positives Vorbild Hauptfigur des Comics ist. Denn das ist selbstverständlich ein Verdienst und Grund genug die Geschichte zu mögen. 

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