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Robert Crumb: Mr. Natural

Und es begab sich, dass Mr. Natural sein Dasein als Guru ein für allemal zuviel wurde. Da tauchte er unter und verwandelte sich zwei Mal: erst in einen schwarzbärtigen Hipster, dann in den alten, geilen Knacker Mr. Snatcheral. Im Deutschen aber wars der Herr Natürlich, der wurde zum geilen Bock Vaführmich. Später hieß er auch im Deutschen Mr. Natural und verwandelte sich zum Mr. Muschiral, und weil der Reim doch gar so grausig war, wurde er zuletzt zum Mr. Grapscheral. Geht doch.

Mr. Natural-Strip von 1968, Zap-Comics. Alle Abbildungen © Reprodukt

Zeit ist es ja geworden, dass es mit den todschicken Robert-Crumb-Alben bei Reprodukt weiter geht. Ganz sicher konnte man da nicht sein, denn Crumb ist in diversen Kreisen der Comicszene nicht mehr so wohlgelitten, vor allem wegen seines „Bleibt die Erinnerung doch!“ von 1989 hält man ihn für eine Art Till Lindemann, weil sein Comic-Avatar – also des Comiczeichners lyrisches Ich – eine Frau (besser vielleicht: weibliche Comicfigur) erst betrunken macht und dann Sex mit ihr hat. „Bleibt die Erinnerung doch“ stammt aus einer Zeit, als es unter den Undergrounds en vogue war, sich so unglamourös und getrieben wie möglich in Szene zu setzen. Es ist unappetitlich.

Die frühesten Mr.-Natural-Comics gestaltete Robert Crumb um 1967/68 herum, also in der gleichen Schaffensphase wie Fritz the Cat. Crumb war hier noch kein filigran schraffierendes Illustrationsgenie – seine Sachen sahen, je nach Laune, mal grob-krakelig aus, mal wie bei Walt Kelly niedlich-rundköpfig und mit viel Schwung. Im Gegensatz zu Fritz, dem Kater, der sich das Messer im Rücken in seiner letzten Story ehrlich verdient hat, ist Mr. Natural vergleichsweise sympathisch und gar kein so großer Mistkerl. Als echter Guru, der schon mal auf einer Wolke im Schneidersitz durch die Gegend fliegt, rennen ihm die Menschen die Türe ein, auf dass er ihnen Antwort gebe auf die Fragen des Lebens, worauf Mr. Natural wie ein echter Coach die Fragen zurückgibt und wie Jesus in kryptischen Gleichnissen spricht.

Natch trifft den Teufel. Strip aus der Village Voice, 1977.

Überhaupt verbindet ihn mit Jesus das Berserkerhafte und das Cholerische, immer Recht hat er außerdem, außer in der letzten und besten Story, die Crumb 1977 für die Village Voice gestaltet hatte. In dieser Langgeschichte, die über mehr als 40 Seiten geht, hat Natural unter anderem eine Begegnung mit dem Teufel, macht sich dann als nackter Guru daran, eine Kommune zu gründen, und wird schließlich von seinem alten Follower Flakey Foont und dessen neuer Freundin in die Klapse eingewiesen. Das war nicht nur 1977 grafisches Erzählen auf der Höhe der Zeit, sondern wirkt auch heute noch frisch und gar nicht abgegriffen.

Eine weitere interessante Geschichte ist „Mr. Naturals 719. Meditation“. Hier nimmt er die Idee seines meisterhaften „Eine kurze Geschichte Amerikas, Epilog“, in dem die Entwicklung einer primitiven Siedlung in eine Metropole nachgezeichnet ist, um 18 Jahre vorweg, denn während Crumb meditiert, entsteht um ihn herum eine komplette Zivilisation und zerfällt wieder. Wird hier das Innere zum Äußeren und das Äußere zum Inneren? Und sind wir am Ende vielleicht alle nur Geschöpfe in Mr. Naturals großem Geist?

Mr. Naturals 719. Meditation (1970)

Aber auch wenn Natch die meiste Zeit ein recht besonnener Träumer ist, manchmal träumt er schon auch einen großen Scheiß zusammen. In dem Zweiteiler „Auf der Walz“ („On the bum“) von 1970/71 wird Natural ein Risenbaby untergeschoben, das definitiv geschlechtsreif und hoffentlich auch schon 18 ist und nur aus Fetischgründen seine Windeln trägt und immer nur „Guu“ sagt. Wegen Unzucht in der Öffentlichkeit werden Natural und das Riesenbaby zu Zuchthaus zum Steineklopfen verurteilt, worauf die Story dank einiger Mithäftlinge auch noch zur Minstrel-Show mutiert. Darauf gibt es 2023 die Rassismus-Alarmstufe rot!

Rußgeschminkte Afroamerikaner mit roten Lippen waren in der Hillbilly- und Delta-Blues-Ära, die Crumb besonders fasziniert, noch ein integraler Bestandteil eines Showlebens, wie es sich nur in der rassistisch geprägten amerikanischen Gesellschaft entwickeln konnte. Was im zweiten Teil von „Auf der Walz“ passiert, ist wohl nur für Fans der Stummfilm-Reihe „Väter der Klamotte“ und „Männer ohne Nerven“, beides Stummfilm-Compilations des ZDF aus den 1970er und 80er Jahren, Comedy-Gold, wenn die Polizisten einem Riesenbaby und zwei Häftlingen hinterherjagen, während diese mit dem Kinderwagen durch die Gegend heizen. Ich empfehle dazu, auf Youtube die klassischen Vorspänne zu „Väter der Klamotte“ und „„Männer ohne Nerven“ anzusehen, um nachvollziehen zu können, wo solche Bilder ihren Ursprung haben – bei „Väter der Klamotte“ gibt es sogar einen erwachsenen Mann im Kinderwagen zu sehen.

Männer ohne Nerven. Aus „Mr. Natural on the bum“, 1971

Das war es, was Crumb im Sinn hatte: enthemmte Chaos-Comedy im Stil des frühen Anarcho-Kinos. Trotzdem ist die Kritik an den Minstrels eine ernstzunehmende Sache, und wer wissen möchte, wie diese Kultur auch heute noch in Ameika nachwirkt, dem sei vor allem Spike Lees Film Bamboozled von 2001 ans Herz gelegt – wer auf Youtube die Montage der Blackface-Szenen aus Bamboozled aufsucht, wird mit einer äußerst unangenehmen, aber auch erhellenden Zusammenstellung konfrontiert, die keinen kalt lassen kann.

Es ist schon belastend: einerseits versteht man den Wunsch, dieses alte Zeugs zu zensieren, andererseits ist es historisch wichtig. Am liebsten möchte man diese Ära überwinden und hinter sich lassen, aber wie kann man dann daran erinnern, wo die Narben der Vergangenheit herkommen? Crumbs Comics waren 1970 bereits ein fernes Echo dieser Ära, nachdem sie schon längst nicht mehr en vogue war, gleichzeitig aber auch lange bevor Comics kulturell so ernst genommen wurden, dass man sich über die Fragestellung der Repräsentation ernste Gedanken machen musste. Nun ist „Auf der Walz“ ist kein besonders guter Comic, er gewinnt aber, wenn man sich die Prägung, aus der heraus er motiviert wurde, ins Gedächtnis ruft. Sehr lobenswert, dass man bei Reprodukt auch vor den problematischeren Arbeiten Crumbs nicht zurückschreckt.

Robert Crumb sollte man als Chronist Amerikas nicht unterschätzen

9von10Robert Crumb: Mr. Natural
Reprodukt, 2023
Text und Zeichnungen: Robert Crumb
Übersetzung: Andreas C. Knigge, Harry Rowohlt
176 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 39 Euro
ISBN: 978-3956403378
Leseprobe

 

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