Gerade noch mit dem Leben davongekommen, erwacht Gaspard Sarini mit gebrochenem Arm und einer Kopfverletzung in einem Londoner Krankenhaus. Nachdem es dem Rennfahrer im ersten Band gelang, die Polizistin Jade Antoine von seiner Unschuld am Mord seiner Eltern zu überzeugen, ermittelt sie weiterhin in Brüssel und zweifelt zunehmend an ihrem Chef Raoul de Groot, der tief in den Fall verstrickt zu sein scheint, während der junge Rennfahrer in London das Geheimnis um die Ermordung seiner Eltern zu lüften versucht. Doch die Zeit drängt, denn auch der Protagonist wäre beinahe Opfer des unbekannten Mörders geworden, dessen Freunde womöglich einflussreicher sein könnten, als bisher angenommen.
„Into this house we’re born / Into this world we’re thrown […] There’s a killer on the road” – die Zeilen aus Riders on the Storm, Jim Morrisons Schwanengesang, kurz vor seinem Ableben im Juni 1971 in Frankreich verfasst und aufgenommen, liest sich wie eine Zusammenfassung der Geschichte um den Motorradrennfahrer Gaspard Sarini und es verwundert, dass die drei noch lebenden Mitglieder von The Doors, Ray Manzarek, John Densmore und Robby Krieger – im Gegensatz zu Pink Floyd und Deep Purple – dem Protagonisten bisher weder in „Brüssel“ (so der Titel des ersten Bands) noch in „London“ über den Weg liefen.
Musik und Motorräder, aber auch Malerei sind drei von Géro immer wieder referenzierte Themen, die den Geist der 1970er Jahre einfangen. Wie bereits im ersten Band ist das Album gespickt mit Verweisen auf die Musikgruppen der Zeit. So sind in „Brüssel“ etwa einige Plattencover zu sehen, von denen Led Zeppelins anachronistisches Mothership dem musikkundigen Leser besonders in Erinnerung bleibt, denn die Kompilation erschien (auch auf Vinyl) erst im neuen Jahrtausend. In „London“ steht nun das Knebworth Festival von 1975 im Fokus, was Pink Floyd – insbesondere David Gilmour – und der Steve Miller Band einen Kurzauftritt verschafft.
Anders als bei Jim, dessen Eine Nacht in Rom Musik nur als Referenzpunkt erwähnt, um die Stimmung der Geschichte einzufangen, wird sie bei Geró zum tragenden Handlungselement. Während Gilmour Have a Cigar singt, ermittelt der Protagonist in einem Schwulenclub am Piccadilly Circus, was zu einer interessanten Verwendung von Bild und Musik führt: Zwischen den Panels finden sich die Textzeilen des knapp fünfminütigen Songs, die so einen zeitlichen Rahmen bestimmen und den Lesefluss einer festgelegten Temporalität unterwerfen. Géro und Deville begehen den Fehler, die Panels so anzuordnen, dass der Eindruck entsteht, Have a Cigar würde das Set der Band eröffnen und Sarini folglich innerhalb weniger Minuten von Knebworth nach London fahren. Jedoch wurde der Song erst nach 52 Minuten gespielt, die Fahrt von Knebworth zum Piccadilly Circus wäre in dieser Zeit auf der Kawasaki 900 Z1 durchaus zu bewältigen.
Die Detailtreue der visuellen Seite des Comics überrascht immer wieder: Ob reproduzierte Bandfotografien des Knebworth Festivals, Straßenzüge oder Vehikel (besonders die Motorräder wurden sehr detailliert umgesetzt) – die Ligne Claire unterstreicht in vielen Panels den realistischen Tenor der Geschichte. Die Qualität des ersten Bandes wird jedoch auf zeichnerischer Seite nicht erreicht. Gesichter – besonders in der Nachtclub-Szene – erinnern mitunter an Airbrush oder Photoshopkolorierungen, immer wieder drängt sich der Eindruck einer etwas zu starken digitalen Nachbearbeitung auf (sprich: Glanzeffekte und Verwischungen), die den eigentlichen Sinn der Ligne Claire konterkarieren. Anders als bei Tolxdorfs Benno Bonnet-Reihe, die sich ebenfalls der klaren Linie bedient, oder Andrea Grosso Cipontes Sandmann (der zudem komplett digital entstand und die Möglichkeiten dieser Produktionsweise äußerst gelungen präsentiert) fällt diese Art der Koloration negativ auf. Ebenfalls als störend erweisen sich einige Beschriftungen. Der Lesefluss des Letterings, der weitestgehend auch Plakate und Beschriftungen abdeckt, wird in manchen Panels unterbrochen, was sich z. B. am Banner der Lenin-Ausstellung verdeutlicht, denn die verwendete Schriftart hebt sich zu sehr von der restlichen Bildgestaltung ab und erzeugt einen Stilbruch, wirkt wie ein Fremdkörper. Ähnliche Probleme bereiteten im ersten Band bereits die zu realistischen, an übermalte Fotografien erinnernden Plattencover, die den Realismusgrad der Ligne Claire brechen. Panels, die in den besten Momenten an Michel Vaillant erinnern, befinden sich hier in einem Spannungsverhältnis zweier Zeichenstile, die den Gesamteindruck trüben.
Géro hingegen setzt seine Geschichte solide fort. Es stehen weniger die Motorräder, Motorradrennen und (in den Kombinationen der Panels erneut geschmackvoll arrangierten) Actionszenen im Vordergrund, als die Ermittlungsarbeit des Protagonisten. Das Geheimnis um seine Eltern lichtet sich langsam und Sarini erfährt schier ungeheuerliches. Es mehren sich die Hinweise auf eine Geheimgesellschaft, deren Wurzeln im Zweiten Weltkrieg liegen und ihren Schatten weit in die 1970er Jahre werfen. Zuletzt muss sich der Protagonist auch mit sich selbst und seiner Identität auseinandersetzen.
Wie in vielen Comics bei Salleck Publications liegt der Fokus auf motorbetriebenen Vehikeln aller Art und so erfreut sich der Motorradfan über eine zusätzliche Infoseite zu einem der hier gefahrenen Feuerstühle. Die grafischen Schwächen, die insbesondere im Vergleich zum ersten Band deutlich hervortreten und die den teils äußerst schönen Stadtansichten und Detailzeichnungen gegenüber stehen, werden durch Géroa Storytelling abgefedert. Im dritten Band wird Sarinis Weg dann nach Italien führen. Dass die Gefahr für ihn indes gebannt sei, wie im letzten Panel stilsicher angedeutet, darf aber bezweifelt werden.
Solides Storytelling mit Musik und Motorrädern
Salleck Publications, 2017
Text: Geró
Zeichnungen & Kolorierung: Baudouin Deville
Übersetzung: Marcus Schweizer
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 12,90 Euro
ISBN: 976-3-89908-617-1
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