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Red Scare – Die rote Angst, oder: Wie Peggy fliegen lernte

Spione aus Russland sind nicht nur ein Thema für Maximilian Krah, sondern auch für Kinder und Jugendliche. Oder? Red Scare stellt die amerikanische UFO-Manie und Kommunistenangst in den Fokus.

Alle Abbildungen © toonfish

Die Handlung spielt im Herbst 1953 im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin. In der fiktiven Stadt Clinkers Corner wird in einem Hotelzimmer ein (vermeintlicher) kommunistischer Spion tot aufgefunden. Der Leichnam wird von der an Polio (Kinderlähmung) erkrankten Peggy entdeckt, weil sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter in dem Hotel aufgehalten und den „Spion“ sogar gesehen hat.

Wer sonst als das FBI sollte die Jagd auf die Kommunisten anführen? Noch kann der Trenchcoatträger fliehen, aber im Hotel wird sein Weg zuende sein.

Im Jahr 1952 kam es in den USA zu einer Polio-Epidemie mit mehr als 50.000 Todesopfern. Kurz darauf wurde ein Wirkstoff entwickelt, der die Krankheit weitgehend ausrottete. Peggy ist aufgrund der krankheitstypischen Lähmungserscheinungen auf Gehhilfen angewiesen, die ihre Mitschüler:innen zum Anlass für anhaltenden Spott nehmen. Mobbing würden wir das heute nennen.

In ihrer Gehhilfe entdeckt sie einen rotglühenden Gegenstand, den der kommunistische Spion dort versteckt haben muss. Dier soll nicht in die Hände der amerikanischen Regierung gelangen, aber die Agenten haben schon längst die Fährte aufgenommen und beäugen Peggy sehr skeptisch. Und als ausgerechnet die fußlahme Peggy plötzlich auf magische Weise zu fliegen scheint, fühlen die Behörden sich bestätigt: Dieses Mädchen hat etwas zu verbergen.

Offenbar verleiht der rotglühende Stab seinem Besitzer unwahrscheinliche Fähigkeiten. Peggy und ihre neue Freundin und Nachbarin Jess erleben kurz die Leichtigkeit eines Lebens, das nicht von jugendlichen Sorgen und politischen Schreckensbildern geprägt ist. Als aber herauskommt, dass die Nachbarsfamilie umziehen musste, weil der Vater in seiner Jugend Kommunist war, hat die Sorglosigkeit ein Ende.

Neben dem Agentenplot entwickelt sich also ein zweiter Handlungsstrang, in dem es Ausgrenzung geht: Peggys Stigmatisierung als „Krüppel“ und die Herabwürdigung von Jess‘ Vater wegen seiner politischen Vergangenheit. Erst als Peggys Vater, ein frustrierter und lethargischer Kriegsveteran, der im Koreakrieg seine Beine verlor, eingreift und seinen in seiner Versehrtheit verkörperten Nationalstolz gegen die antikommunistischen Fackelträger vor dem Nachbarshaus ausspielt, löst sich die gewaltbereite Situation auf: „Wenn wir Amerika vor den Kommunisten retten, aber ein Mann seinen Nachbarn nicht mehr trauen kann, was genau haben wir dann gerettet?“

Und der Agentenplot? Natürlich kommt es zum Showdown, bei dem es am Ende kaum eine Rolle spielt, dass die vermeintlichen Kommunisten eigentlich Besucher aus dem Weltall sind – Roswell und der Ufowahn der 1950er lassen grüßen. Am Ende lernt Peggy, mit ihren Sorgen nicht allein zu sein, und sogar die Menschen, denen sie anfangs sehr fern gewesen sind, zeigen sich endlich auch bereit, sich für sie einzusetzen.

In bester Agentenaction-Tradition kommt es zum Showdown zwischen den behördlichen Verfolgern des FBI und Peggy. Ziel der allgemeinen Begierde ist der (ausgerechnet rot leuchtende) Stab.

Der in der Schweiz lebende, amerikanische Cartoonist Liam Francis Walsh (Fish; Make a Wish, Henry Bear) hat in seinem Comic die Zeit der amerikanischen Kommunistenangst und der Ufo-Paranoia gemeinsam dargestellt. Red Scare erschien 2022 bei Graphix und richtet sich an Kinder zwischen 8 und 12 Jahren. Ist das ein geeigneter Stoff für Kinder und Jugendliche, die von dem Splitter-Imprint toonfish erreicht werden sollen? Sind Kommunismus, Spionage und behördliche politische Verfolgung nicht zu harter Stoff für Heranwachsende? Natürlich nicht, denn Kinder vertragen durchaus etwas. Und ein wenig Geschichtsbildung schadet ja nun auch nicht.

Walsh hat keinen didaktischen Ansatz gewählt und verliert sich nicht um Dokumentieren der McCarthy-Ära, sondern kombiniert historische Fakten mit einer Geschichte, die Spannung, Melodrama und ein wenig Science-Fiction kombiniert. Der Sinn der Außerirdischen liegt nicht auf der Hand, immerhin bekommt er nicht die Kurve, das Phänomen der Ausgrenzung einfach von einer Ebene auf die nächste zu transponieren, wie das etwa Brian K. Vaughan, Marcos Martin und Muntsa Vicente in Barrier getan haben. Und auch ist nicht ganz plausibel, warum das als Spion verdächtigte Alien den machtvollen Stab ausgerechnet in Peggys Gehhilfe versteckt. Aber man darf ja auch mit Zufällen rechnen.

Walshs Zeichnungen im Stil von Hergés ligné claire wissen zu gefallen, ohne zu begeistern. Die Figuren sind trotz des kohärenten Stils sehr charakteristisch, und die Darstellungen werden durch eindringliche Mimik und Gestik unterstützt. Während die Figuren mit wenig Mitteln zum Leben erweckt werden, sind die Hintergründe oft nur angedeutet. Formale Experimente wird man vergebens suchen, aber Walsh führt mit seinem Stil insgesamt geschickt durch die Story.

Die Hintergründe sind nicht immer sehr detailfreudig, aber es gibt auch andere Beispiele als diese Panelfolge, in der Peggy ihren Zwillingsbruder zu verteidigen versucht.

Die Geschichte bietet ein nicht allzu komplexes Weltbild mit einer Pointe, die für Erwachsene noch nicht zu trivial und für Kinder nicht zu komplex ist: Am besten gäbe es keine magischen Gegenstände, um die es sich zu streiten lohnen würde. Nur wissen die Erwachsenen, dass der Streit auch dann ausbricht, wenn alle Magie verschwunden ist. Oder gerade dann. 

Kommunistenhatz für Kinder

8von10Red Scare – Die Rote Angst, oder: Wie Peggy fliegen lernte
Splitter Verlag, 2023
Text und Zeichnungen: Liam Francis Walsh
Übersetzung: Katrin Aust
240 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 39,95 Euro
ISBN: 978-3-98721-152-2
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