Porto-Erhöhungen, unklare Lieferzeiten, lange Schlangen vor den verbliebenen Filialen: Die Post ist ein idealer Schauplatz für Geschichten, die einem das Fürchten lehren. In der Horror-Serie Postal geht es um einen Postangestellten, aber weniger um Briefmarken, wattierte Umschläge oder Einschreiben.
In Eden (Wyoming), dem fiktiven Schauplatz der Serie, leben 2.198 Menschen. Das entspricht etwa dem rheinland-pfälzischen Lörzweiler (wer kennt es nicht …) oder dem hessischen Kloppenheim – man sollte also nicht zu viel erwarten. Eden hat es aber in sich, denn die Stadt hat ein ungewöhnliches Alleinstellungsmerkmal: Dort siedeln sich nämlich ausschließlich Verbrecher*innen an, die unter der strengen Ägide der Bürgermeisterin versuchen, ihre zweite (und letzte) Chance zu nutzen, ein gemeinschaftsdienliches Leben zu führen.
Die Bürgermeisterin Laura Shiffron hat die Kontrolle über alle Institutionen der Gemeinde und unterbindet jegliche kriminellen Aktivitäten durch abschreckende öffentliche Hinrichtungen. Durch solche Maßnahmen wie auch durch das Verbot von Mobiltelefonen und eine Überwachung der Stadt durch Videokameras möchte sie vermeiden, dass Eden die Aufmerksamkeit der Menschen außerhalb auf sich zieht. Eden ist nämlich eine Phantomgemeinde, die selbst via Google nicht zu finden ist. Die Stadt möchte nicht gefunden werden.
Lauras Sohn Mark ist bei der Post angestellt und erledigt seine Aufgaben mit größter Akribie. Er leidet unter dem Asperger-Syndrom und hat infolgedessen eine Kommunikationsschwäche. Es fällt ihm schwer, seine Gefühle seinen Mitmenschen zu vermitteln, aber zugleich hat er eine außerordentlich scharfe Wahrnehmung. Er empfindet starke Gefühle für die Diner-Servicekraft Maggie, die mit seiner exzentrischen Art umzugehen versteht und ihm die Pommes so auf dem Teller drapiert, wie Mark es benötigt. Die beiden sind ein seltsames Paar, ohne ein echtes Paar zu sein, und begehren gegen die Obrigkeit aus verschiedenen Motiven auf. Dass sie auf dem Cover des ersten Bandes so in Szene gesetzt werden, ist also kein Zufall.
Das Cover des ersten Bandes zeigt Maggie und Mark in einer markanten Pose, die sich unschwer als Pietà interpretieren und sogar auf ein bestimmtes Gemälde von William-Adolphe Bourguereau von 1876 zurückführen lässt.
Nun ist Maggie nicht die Gottesmutter, und Peter ist kein Christus. Allerdings hat er in der Stadt Eden, die keine Sünden zulässt, in der zugleich aber alle Menschen per definitionem Sünder sind, eine besondere Stellung. Seine psychische Verfassung macht ihn zu einer kindhaft-unschuldigen Figur, die keinerlei Böses im Sinn hat, aber durch seine Erziehung durch einen gewalttätigen Vater und eine korrupte Mutter erscheint er nicht als verlässliche politische Alternative in Eden.
Als eine Leiche in Eden aufgefunden wird, deren Identität nur Laura zu kennen scheint, deutet sich die Rückkehr von Marks Vater Isaac an. Dieser hatte Eden vor vielen Jahren gegründet und das brutale Gewaltregime etabliert, von dem Laura sich zusammen mit einem Großteil der Gemeinde zu befreien versuchte, indem sie Isaac umzubringen planten. Er entkam, und nun agieren verschiedene Akteure miteinander um die Macht in Eden. Paradiesisch klingt das nicht.
Der junge Schweizer Verlag Skinless Crow veröffentlicht seit Ende letzten Jahres fleißig Horror-Comics, darunter manche Highlights wie die fantastische Serie Nailbiter von Joshua Williamson und Mike Henderson (hier rezensiert für comic.de) oder – demnächst im Programm – Harrow County von Cullen Bunn und Tlyer Crook. Im Gegensatz zu dem Körperhorror von Ed Piskors Red Room kommt Postal mit wenig Blut und wenigen abgetrennten Körperteilen aus. Das Grauen entsteht vor allem im Kopf der Leser*innen, weniger zwischen den Panels.
Hervorzuheben ist die Situationskomik in Postal, die aus Marks Autismus resultiert, wenn er völlig unverblümt nach Tipps fragt, wie er Maggie beeindrucken könne, während sie direkt daneben steht.
Die ursprünglich von 2015 bis 2018 bei Top Cow in 25 Heften erschienene Serie Postal wurde 2019 mit Postal: Deliverance fortgesetzt. Die deutschsprachige Skinless-Crow-Ausgabe ist auf sieben Bände angelegt. Anspruchsvoll ist das Projekt schon deshalb, weil mit der Hardcoverausstattung und Limitierung auf 333 Exemplare auch ein relativ hoher Preis von 29,50 Euro einhergeht.
Die beiden ersten Bände von Postal umfassen die ersten acht Kapitel der Serie sowie den im November 2015 veröffentlichten One Shot Postal: Dossier, der vor allem Textdokumente zur Erläuterung der Hintergründe enthält. Während der erste Band das Setting sehr rasch etabliert, verliert der zweite Band sich ein wenig etwa in einer Nebenhandlung um einen einarmigen Boxer oder eine suizidale Drogenmischerin. Ob diese Mischung aus Politikthriller, Familiendrama und religiöser Symbolik funktioniert, werden die nächsten Bände zeigen.
Die starren, leblosen Zeichnungen von Isaac Goodhart tragen wenig zur Spannung bei. Oft wirken die Posen ungelenk und unnatürlich, die Gesichter seelenlos. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn die folgenden Bände dieser gar nicht uninteressanten Serie etwas gründlicher lektoriert werden würden. Der Fehlerteufel scheint sich in Eden wohlzufühlen.
Alptraum Poststation
Skinless Crow, 2022 / 2023
Text und Zeichnungen: Matt Hawkins, Bryan Hill, Isaac Goodhart, Betsy Gonia
Übersetzung: Katrin Aust
104 / 120 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: je 29,50 Euro
ISBN: 9783039630004 / 9783039630042
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