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Polar 1 – Der aus der Kälte kam

Black Kaiser ist Agent und Auftragskiller im Ruhestand. In einer verschneiten Waldhütte verbringt er seinen Lebensabend, der allerding jäh durch einen koordinierten Attentatsversuch gleich mehrerer jüngerer Kollegen unterbrochen wird. Dahinter steckt die ominöse Organisation „Damokles“, deren neue Chefin die Verbindung zu ihrem ehemaligen Angestellten ausradieren will.

© Alle Abbildungen: Victor Santos, Popcom

© Alle Abbildungen: Victor Santos, Popcom

Die aus dieser Prämisse resultierende Story ist rasant, brutal, überbordend. Denn Black Kaiser ist mehr als nur ein guter Killer, er ist eine Legende. Sein Ein-Mann-Krieg, der mit vielen Leichen gepflastert ist, soll ihn schließlich bis an die Spitze von „Damokles“ führen. Was der spanische Künstler Victor Santos dem Leser hier auftischt, ist vom Plot her wenig originell. Allerdings muss man sich hierzu vor Augen führen, dass es Santos bei seinem Comicprojekt von Beginn an darum ging, die grafische Ebene in den Vordergrund rücken zu lassen. So kommt es, dass man sich beim Lesen durchaus in den effektvollen, ausdrucksstarken Bildern verlieren kann und die eigentliche Story ein Stück weit außer acht lässt.

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Polar ist thematisch eher simpel gestrickt und ist Rachemär, Spionagethriller und Actiongranate in einem. Außerdem erinnert das Motiv des pensionierten Profis, der aufgescheucht wird und allen beweist, wie gut er auch im hohen Alter noch ist, an Warren Ellis‘ Comic R.E.D. (der auch mit Bruce Willis verfilmt wurde). Beim Zeichenstil lassen sich Ähnlichkeiten zu Frank Miller kaum leugnen. Wie Miller setzt auch Santos auf eine extrem stilisierte Optik: Schwarz-weiße Kontraste werden gezielt eingesetzt, Perspektiven spielen eine große Rolle, Gewalt als Stilmittel, Rot als einziger Farbton, der bestimmte Aspekte der Seiten (Blut, Haare, Drinks) hervorhebt. All das kommt einem bekannt vor. So wirkt Polar, auch wenn man bei Santos‘ Comic desweiteren noch Anleihen an Jim Steranko, Alex Toth oder Darwyn Cooke erkennen kann, zuweilen wie ein Sin City-Klon. Das Überraschende: Es macht einem beim Lesen nur wenig bis gar nichts aus. Denn selbst wenn man die beiden Stories in diesem Band als Episoden von Sin City betrachten würde, so wären es in jedem Fall äußerst gute. Konsequenterweise bedient sich Polar selbst an Rollenklischees wie der verführerischen Femme fatale oder dem psychopathischen Milchbubi. Aber mehr als eine grafisch herausragende Referenz an seine Lieblingszeichner und -Filmemacher wollte Victor Santos wohl auch gar nicht erschaffen. Im Ergebnis steht er mit diesen in Wahrheit auf einer Stufe. In jedem Fall ist der Spanier, der jetzt zum ersten Mal überhaupt in Deutschland publiziert wurde, ein großartiger Künstler, dem man attestieren darf, dass er in seiner präzisen Art der Stilisierung und der experimentellen und variantenreichen Bildsprache vielleicht sogar ein Stück mehr Potenzial aufweist als jemand wie Miller.

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In einem wichtigen Punkt unterscheidet sich Polar jedoch von den Werken, die diesem offenbar als Vorlage dienten: In seiner Serie, die regelmäßig als Webcomic erscheint und es dabei bereits auf über 350 Seiten geschafft hat, verzichtete Santos ursprünglich komplett auf Worte. Das erklärt auch, warum er bei der Erstellung seiner im Querformat gezeichneten Bilder so oft Einstellungen und Panelgrößen variiert und einzelne Farbelemente gezielt als Stilmittel einsetzt. Wie bereits erwähnt, ist die Handlung von Polar nicht sonderlich komplex, dennoch ist es eine Herausforderung, eine wortlose Erzählung allein über die Bildsprache adäquat zu vermitteln. Santos gelingt es großartig, mit der textlichen, inhaltlichen und farblichen Reduktion zu arbeiten. In einer kurzen Bonusstory darf man dann gar eine piktografische Darstellung der Dialoge bewundern, auch das ist beim Lesen äußerst spannend. Da ist es fast schade, dass für die Buchversion des Webcomics – die im Original bei Dark Horse erschien – nachträglich Sprechblasen eingefügt wurden. Das funktioniert zwar verblüffend gut, ist aber eigentlich unnötig und lenkt nur von der ursprünglichen Intention des Künstlers ab, den Fokus einzig und allein auf die grafische Vermittlung zu legen.

Das herausragende Artwork in Kombination mit der eigentlich ohne Worte konzipierten Story beschert ein tolles Ergebnis

Polar 1 – Der aus der Kälte kam
Popcom, 2015
Text/Zeichnungen: Victor Santos
Übersetzung: Melanie Koster
168 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 16 Euro
ISBN: 978-3-8420-1336-0
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