Als Zeichnerin von Kinderbüchern ist Anke Kuhl bereits eine alte Häsin. Für ihre bisherigen Arbeiten wurde sie sogar mehrfach prämiert, u.a. gewann sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Mit Lehmriese lebt! legt die erfolgreiche Illustratorin nun ihr erstes Comicwerk vor, eine simplifizierte Abwandlung des Golem-Mythos. Und natürlich sind auch bei diesem neuen Buch Kinder die Adressaten.
Der Comic handelt von den beiden Kindern Olli und Ulla, die eines Tages am Fluss über eine beträchtliche Menge Lehm stolpern. Spielerisch modellieren die beiden daraus hurtig einen lustigen Giganten, nicht ahnend, dass dieser über Nacht zum Leben erwachen wird. Der Lehmmann ist stumm, sein Kopf schwebt über dem Rest des Körpers, sein Mund versteckt sich irgendwo dazwischen. Plump und unbedarft stapft der Riese durch den Wald und trifft als erstes auf einen Förster, der ihn unumwunden zum Unkrautzupfen anheuern möchte. Natürlich klappt das nicht, denn woher soll der gerade erst geborene Lehmmann schon wissen, was Unkraut ist und welches die guten Bäume sind, die stehen bleiben sollen. Und das soll nicht das einzige Missverständnis bleiben, durch das er sich den Unmut der örtlichen Menschen einhandelt. Auch der Eisverkäufer, der Frisör und die Supermarktangestellten sind nach kurzer Zeit nicht mehr gut zu sprechen auf den Neuankömmling, der drollig durchs Dorf schlendert. Schließlich wird er gar von der Polizei gejagt und verschanzt sich auf dem Rathausdach. Olli und Ulla ahnen, dass der Lehmriese nur dank ihnen existiert und versuchen, diesen zur Räson zu bringen.
Reprodukt hat den Comic von Anke Kuhl in sein Kinderprogramm aufgenommen, das neben einigen Lizenztiteln zum Teil auch Eigenproduktionen deutscher Künstler beinhaltet. Offiziell ist der Band für ein Publikum ab sechs Jahren, was insofern Sinn ergibt, als dass er zwar Texte zum Lesen enthält, diese jedoch relativ kurz und leicht verständlich sind. Die narrative Ebene wird ohnehin über Gestik und Mimik bedient. So stumm aber lebendig wie der zentrale Protagonist. Die auf dem folkloristischen Golem fußende Titelfigur wird spielerisch behandelt und nicht mit historischer Bedeutung belastet. Für interessierte Jungleser wurde am Ende des Bandes aber dennoch eine kurze Ausführung abgedruckt, in der erläutert wird, was ein Golem überhaupt ist.
Auch wenn sich der Titel sicherlich explizit an Kinder richtet, bereitete die Lektüre auch mir viel Spaß. Kuhl hat ein gutes Gespür für Dynamik und Perspektiven. Mit ihrer naiven Linienführung und der unscheinbaren Holzfarbstiftkolorierung gelingt ihr eine gesunde Mischung aus absurden Momenten und herzerweichenden Szenen. Und der Humor kommt natürlich auch nicht zu kurz: Es ist eine Freude, dem Lehmriesen dabei zuzusehen, wie er, selbst wie ein Kind, die Gegend erkundet. Wie er als Friseurlehrling mit einer Eistüte auf dem Haupt einer Kundin die Haare wäscht, bis sich seine Lehmhand im Wasser auflöst.
Ansonsten sind es auch die etwas schrägen Nebenfiguren wie die eisverkaufende Kuh (einige Personen in dem Comic sind antropomorphe Tiere) oder der nüchterne Inspektor, die die Erzählung zu so einer runden Sache machen. Garniert wird das Buch noch durch ganzseitige Einschübe, in denen beispielsweise Einkaufswaren oder Frisuren vorgestellt werden. All dies wird mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Anke Kuhls erste Comicerzählung, Lehmriese lebt!, ist somit durchaus ein Comic für die ganze Familie.
Ein starkes Comicdebüt, hauptsächlich für Kinder, aber auch für jung gebliebene Leser
Reprodukt, 2015
Text und Zeichnungen: Anke Kuhl
96 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 18 Euro
ISBN: 978-3-95640-037-7
Leseprobe
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