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Kleiner Auszug aus der wilden Ökologie

Macron, Blaumeisen und Wasserfarben – Alessandro Pignocchi zeigt, dass Aquarelle auch knallhart sein können.

© Golden Press

Während seines Studiums an der der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris, wo Alessandro Pignocchi 2009 seine Dissertation abschloss, kam er mit den Forschungen des französischen Ethnologen Philippe Descola in Kontakt. Seine Arbeiten über die südamerikanischen Jivaro-Indianer (Leben und Sterben in Amazonien, dt. 2011) haben Pignocchi zu seinem Projekt der „Wilden Ökologie“ veranlasst. Für seinen Comic Anent – Nouvelles des indiens jivaros (2016) hat Descola das Vorwort verfasst, und darüber hinaus haben sie gemeinsam ein Buch (Ethnographies des mondes à venir) geschrieben. Hierin suchen die beiden Autoren eine politische Alternative, um dem Menschen und der Natur eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Descolas Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kultur und Natur ist zentral für die Wilde Ökologie.

In Anent geht es um die Jivaro-Indianer, die in der Wilden Ökologie auch immer wieder erwähnt werden. © éditions Steinkis 

Zwischen 2017 und 2020 veröffentlichte Pignocchi im französischen Verlag éditions Steinkis seine dreibändige Comic-Serie unter dem Gesamttitel Petit traité d’écologie sauvage. Er stellt die Welt ein wenig auf den Kopf, lässt Blaumeisen sich über Molotow-Cocktails unterhalten und Donald Trump mit hochgegkrempelten Hosen nach Aalen jagen.

Der nun auf Deutsch veröffentlichte Kleine Auszug aus der Wilden Ökologie umfasst 14 kurze Szenen mit westlichen Politikern und Blaumeisen. Vor allem Emmanuel Macron, Angela Merkel und Donald Trump haben es Pignocchi angetan, vermutlich stehen die drei stellvertretend für Gesellschaften, deren Wohlstand auf ökologischem Raubbau und ständigem Wachstum beruht.

Die Aquarellzeichnungen stellen einen starken Kontrast zu den bissigen Texten dar, in denen die Politiker und Medien schonungslos ihr Fett wegkriegen. In „Heirat“ sehen wir (einen etwas sehr jung geratenen) Vladimir Putin, der in einer Fernsehansprache verkündet, dass Hochzeiten zwischen Menschen und Papayas ab sofort möglich seien. Nachdem er die Vorwürfe, er tue dies aus rein persönlichen Motiven, abgeschmettert hat, verkündet er: „Ich bin stolz, der erste russische Bürger zu sein, der sich mit einer Papaya verheiraten wird.“ Der Vorwurf, dass Politiker nicht die Wahrheit aussprechen, ist nun wirklich nichts Besonderes, wohingegen die Vorstellung, dass Putin und seine Papaya heiraten würden, wiederum arg überdreht ist. Die Idee geht wiederum auf Descolas Problematisierung der Grenze zwischen Kultur und Natur zurück. Aber worauf zielt die Szene ab? Erschöpft sich die Pointe in der Politikerschelte oder steckt ein Funken Hoffnung in dem friedvollen Gedanken, dass Putin nun Papayas liebt?

In der Wilden Ökologie sind Politiker*innen sich ihrer Unzulänglichkeit voll und ganz bewusst, Pignocchi lässt Merkel etwa den Vorschlag machen „Wir müssten so schlecht sein, dass sie uns absetzen“, aber offenbar ist das Volk nicht schlauer als seine politische Führungselite und wählt sie dennoch. Das ergibt kein konsistentes Bild: Sind „die Politiker“ nun manipulativ, resigniert oder redlich bemüht? Ist die Bevölkerung nun faul, desinteressiert oder neugierig? Gegen wen und was richtet sich der Spott eigentlich oder ist es nur eine Farce?

Dankenswerterweise sprechen die Figuren sich oft mit Namen an, so dass man diesen Politiker als Macron erkennen kann. Merkel gelingt ihm am besten, Trump wiederum ist so markant, dass es ein Leichtes ist, ihn treffend darzustellen.

Einige der Szenen sind amüsant, aber besonders tiefgehend sind sie nicht geraten. Zudem sind die Bildfolgen eher ökonomisch als wild geraten: „Heirat“ etwa besteht aus dem zehnfachen Abdruck des gleichen Panels mit verschiedenen beigefügten Texten, und dieses Prinzip ist leider das vorherrschende, so dass man eher von illustrierten Dialogen als von Comics sprechen mag.

In dem beißenden, an bestimmte Personen gerichteten Spott geht das Thema, das Verhältnis von Natur und Kultur aus dem Fokus. Am Ende hat Pignocchi sich für den leichteren Weg entschieden – wenig Zeichnungen, wenig Tiefsinn.

Wer neugierig geworden ist, findet auf dem Blog von Alessandro Pignocchi sind weitere zu finden. Der Band erschien im Zusammenhang mit der Ausstellung „Ich würde auch so gerne an der Entstehung all dieser neuen Mythen mitwirken“ mit einer Installation von Maje Mellin und den Aquarellen von Pignocchi, organisiert vom Kunstverein Langenhagen.

Beißender Spott, aber als Comic gescheitert

5von10Kleiner Auszug aus der Wilden Ökologie
Golden Press, 2023
Text und Zeichnungen: Alessandro Pignocchi
Übersetzung: Sebastian Stein
112 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 16,00 Euro
ISBN: 978-3-98539-005-2
Leseprobe

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