Der französische Künstler Cyril Pedrosa hat durch die Arbeit an den Comics Drei Schatten und Portugal bereits unter Beweis gestellt, wie gekonnt er melancholische Erzählungen und lebhafte Zeichnungen zu verbinden weiß. Sein neues Werk, Jäger und Sammler, ist ein über 300 Seiten starker Abriss über das Menschsein und über dessen Vergänglichkeit.
Pedrosa erzählt eine fragmentierte Geschichte, die das Schicksal mehrerer Protagonisten über einen abgesteckten Zeitraum nachverfolgt. So zum Beispiel das des Kieferorthopäden Vincent, der nach seiner Scheidung und in einer Midlife-Crisis steckend dem Zynismus anheim gefallen ist und kaum mehr Emotionen zulässt. Das macht auch das Verhältnis zu seiner pubertierenden Teenagertochter nicht unbedingt einfacher. Vincents Lebenskrise ist einer von zwei gröberen Handlungssträngen in dem Buch. Der andere bezieht sich auf den Altlinken Louis, dessen Hochzeit als Gewerkschafter und Demonstrant lange vorbei zu sein scheint. Dennoch versuchen ihn Freunde zu einem Engagement gegen einen geplanten Flughafen zu überreden.
Über lange Zeit haben die Stories von Vincent und Louis nicht miteinander zu tun. Abwechselnd spinnt Pedrosa sie immer wieder fort und lässt dazwischen noch Raum für ganz viel anderes. Denn Jäger und Sammler ist schlussendlich weitaus mehr als nur eine Sammlung von Episoden, die sich an einem gewissen Punkt inhaltlich überkreuzen. Zwischentöne und Nebenplots sorgen für ein ganzes Kaleidoskop an Eindrücken, dem man sich als Leser ausgesetzt sieht. Allen voran taucht beständig eine Fotografin auf, die die Figuren in ihrem Alltag mit ihrer Kamera einfängt. Im wahrsten Worte sind dies Momentaufnahmen, die Pedrosa einerseits grafisch verdeutlicht, indem er das geschossene Foto zeigt und die er andererseits durch einen erzählerischen Bruch verdeutlicht. Immer dann nämlich, wenn die Fotografin den Auslöser drückt, stoppt der Comic und auf der bzw. den folgenden Seiten folgt eine längere Textpassage, die in die Gedankenwelt des jeweilig Fotografierten eintaucht.
Doch das bleibt nicht der einzige bemerkenswerte Kniff, dessen sich der Künstler hier bedient. Sofort fallen einem die kurzen Passagen auf, die zwischen den Kapiteln (aufgeteilt nach den vier Jahreszeiten) erscheinen und die mit abgesetzten Farben und mit klaren Formen eine wortlose, zeichentrickartige Erzählung über einen Jungen in der Steinzeit offenbaren. Wie diese Einschübe mit dem in der Gegenwart spielenden Geschehen zusammenhängen, klärt sich erst recht spät.
Vielleicht gelingt Cyril Pedrosa die Verknüpfung der an sich mehr als lesenswerten Handlungsfäden am Ende nicht völlig reibungslos. Und womöglich funktionieren die Einbindung der Fotografin und die etwas ermüdenden Textstellen in deren Windschatten nicht so perfekt, wie es hätte sein können. Was den Band trotzdem hervorhebt, ist die Vielfalt und Abwechslung, nicht nur, aber vor allen Dingen in grafischer Hinsicht. Das Artwork ist stets unvorhersehbar und ändert seine Charakteristik nicht nur zwischen den Plots, sondern auch innerhalb derselbigen. Setzt der Künstler zu Beginn noch auf sanfte Aquerellfarben, die er über zittrigen Tuschelinien platziert, so ändert sich die Bildsprache ab der zweiten Hälfte zum Teil deutlich: Zuerst benutzt Pedrosa Holzfarbstifte für die Kolorierung und lässt seine Figuren teils in Hintergründe entschwinden oder zeichnet sie als transparente Wesen, später wird die Darstellung mit einer dicken Linienfürung und monochromen, unkonventionellen Farben ein Stück weit abstrakt. Nimmt man jetzt noch die cartooneske, bilderbuchartige Steinzeit-Story mit in die Betrachtung, so bekommt man einen guten Eindruck davon, welche künstlerische Bandbreite der Franzose besitzt. Dass er diese einsetzt, um in dem vorliegenden Comic die Erzählung voranzutreiben, ist ein Glücksfall.
Menschliche Schicksale, angereichert mit grafischer Verspieltheit: Unterm Strich ist Jäger und Sammler ein schön zu lesendes Machwerk
Reprodukt, 2016
Text/Zeichnungen: Cyril Pedrosa
Übersetzung: Marion Herbert
336 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39 Euro
ISBN: 978-3-95640-044-5
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