Ticka ist fünf Jahre alt und führt ein schönes Leben in Ungarn. Dann kommen die Nazis. Sie schlägt sich alleine durch, bis sie die Möglichkeit hat, auf dem Schiff Exodus 1947 nach Israel auszuwandern. Das ist allerdings sehr schwierig, wie die israelische Künstlerin Esther Shakine im Comic Exodus erzählt.
Shakine war nach Ende des Zweiten Weltkrieges ebenfalls noch ein Kind und reiste selbst auf der Exodus 1947 nach Israel aus. Tickas Geschichte basiert also auf ihren Erlebnissen und kann wohl als fiktionale Verarbeitung dieser verstanden werden. Als Geschichte dreht sich der Comic vor allem darum, dass man nicht aufgeben sollte, auch im Angesicht von Gefahren und Kräften, die mächtiger sind als man selbst.
Interessant ist auch, wie Exodus die politische Lage darstellt. Nach Ende des Krieges ist es vor allem Großbritannien, das im Comic die zukünftigen Israelis daran hindern möchte, in ihre Heimat einzuwandern. Ob das nun gewollt ist oder nicht, aber im Comic werden grafisch Parallelen zwischen den Nazis und den Briten gezeigt. Während die Deutschen aber vor allem versucht haben, die europäischen Juden aus ihrer Heimat zu reißen und zu töten, werden die Motive der Briten nicht weiter erläutert. Für Tickas Geschichte ist es auch nicht von Relevanz, da sie als Fünfjährige die Motive der Erwachsenen nicht versteht. Sie möchte einfach nur endlich ankommen, was man als Kind besser verstehen kann als die komplexe Politik vor der Entstehung Israels. Die Briten sind einfach nur ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel. Fairerweise werden sie aber auch nicht mit der Monstrosität der Nazis auf eine Stufe gestellt. Ticka als Erzählerin bleibt auch auf ihre kindliche Perspektive beschränkt, sie kann also nur das berichten, was sie gerade erlebt und sieht. Da sich der Comic auch an Kinder richtet und diesen die beschwerliche Reise verdeutlichen möchte, finde ich es in diesem Fall angemessen, die Geschichte in diesem Fall tatsächlich einfach zu halten.
Grafisch wird das Ganze auch recht kindgerecht aufgearbeitet, Shakine orientiert ihren Stil dabei an Zeichnungen von kleinen Kindern. Die Figuren sind also zweidimensional und besitzen keine komplexe Mimik. Natürlich sind sie immer noch professionell gezeichnet, aber die Stimmung passt, genau wie in den Tagebucheinträgen, die eine simple und direkte Sprache verwenden. Der Comic besitzt allerdings einige explizite Szenen, wie zum Beispiel Tickas misshandelter Vater, dem eine Platzwunde auf dem Kopf geschlagen wurde oder die Erschießung eines Jungen während der Schiffsreise. Auch entlassene Gefangene aus den Konzentrationslagern tauchen auf. Shakine zeigt diese Szenen offen und ohne Zurückhaltung, was einerseits verstörend für ein junges Publikum sein kann, andererseits auch die Gefahren von Tickas Reise verdeutlicht. Denn was der Fünfjährigen hier passiert, ist tatsächlich geschehen und sollte dem Publikum verdeutlicht werden. Da der Stil aber auch abstrakt bleibt, sollte die verstörende Wirkung immer noch abgeschwächt sein.
Exodus ist eingängig geschrieben und gezeichnet und macht ein schwieriges Thema kindgerecht zugänglich. Persönlich würde ich es als eine gute Startlektüre sehen, um Kinder schon früh für das Thema Holocaust und dessen Folgen für die europäischen Juden nach dem Zweiten Weltkrieg zu sensibilisieren.
Kindgerechte, aber nicht verniedlichte Geschichte eines jüdischen Mädchens auf der Suche nach einer neuen Heimat.
Klinkhardt & Biermann Verlag, 2020
Text und Zeichnungen: Esther Shakine
Übersetzung: Martine Passelaigue und Franz Dartmann
48 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 15,- Euro
ISBN: 978-3-943616-72-9
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