Die illustrierte Biografie porträtiert Albert Einstein von einer sehr persönlichen Seite als ebenso genialen wie leidenschaftlichen Wissenschaftler mit allen seinen Ecken und Kanten. Damit haben Corinne Maier und Anne Simon eine der prominentesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zum Leben erweckt. Zuvor lieferte dieses Autorinnenduo bereits Biografien zu Freud und zu Marx ab, deshalb mag sich der Verdacht einer allzu formelhaften Bearbeitung aufdrängen, die einem so komplexen Stoff weniger gerecht wird. Doch Hand aufs Herz, was wissen wir eigentlich über Einstein?
Spätestens durch das allgegenwärtige Foto, das den Physiker mit krausem Haar und herausgestreckter Zunge zeigt, ist Einstein zur Medienikone aufgestiegen, die sich längst im globalen Bildgedächtnis festgeschrieben hat. Ein ähnliches Bild zeichnen die beiden Autorinnen, wenn sie uns einen Pfeife rauchenden Einstein schon auf der ersten Seite als etwas verlotterten aber sympathischen Wissenschaftler mit zerzausten Haaren, Hosenträgern und Sandalen vorstellen. Wie kein Zweiter ist Einstein zum Stereotyp des schrulligen Genies geworden, mit dem Nachteil, dass Detailkenntnisse der Person dahinter offenbar verblasst und teilweise verzerrt sind, sodass Menschen zu Polarisierungen verleitet werden: Wegbereiter der Atombombe, Pazifist, Kommunist, Zionist, Vorläufer der Hippies etc. Zwar haben wir alle schon einmal von Einsteins revolutionärer Relativitätstheorie gehört oder sogar die Formel E=mc2 auf die Schultische unserer Jugend gekritzelt. Abseits davon ist Einstein jedoch eine Figur geworden, die allzu gerne als Projektionsfläche für phrasenhafte Anspielungen herhalten muss und der verschiedenste Zitate in den Mund gelegt werden. Kein gut sortierter Museumsshop, in dem nicht mindestens eine Postkarte mit dem strubbeligen Konterfeit und einer ausgewählten Sentenz zu finden ist. Im Internet wird dies gerne mit den Zeilen entlarvt: „Das Dumme an Zitaten aus dem Internet ist, dass man nie weiß, ob sie wahr sind – Albert Einstein“. Maier und Simon haben es sich dann auch nicht nehmen lassen, hier und da Zitate von Einstein spielerisch in einen neuen Kontext zu stellen, etwa wenn der grantelnde Wissenschaftler über die unendliche Dummheit der Menschen schimpft. Schließlich schmeicheln solche Anspielungen auf allgemein Bekanntes immer auch der Leserschaft.
Eine illustrierte Biografie zu Einstein kommt jedenfalls gerade richtig, um die Kluft zwischen dem Bekanntheitsgrad der Medienikone Einstein und dem Wissen um seinen Lebensweg zu überbrücken. Fernsehmacher haben sein Potenzial als Figur bereits in der 1970er-Jahren erkannt, ein großes Biopic aus Hollywood suchen wir bisher allerdings vergeblich, was durchaus aufmerken lässt. Vielleicht lässt sich Einsteins Lebenslauf weniger gut auf einen zentralen Konflikt zuspitzen und für die große Leinwand in Szene setzen, wie es das Kinopublikum verlangt. Im Film A Beautiful Mind über den Mathematiker John Nash arbeitet Regisseur Ron Howard einen einfachen Gegensatz besonders effektvoll heraus, nicht umsonst lautet der deutsche Untertitel Genie und Wahnsinn. Im Zentrum von The Imitation Game wiederum steht der Wettlauf um die Entschlüsselung des Enigma-Codes durch den britischen Krypto-Analytiker Alan Turing, der aufgrund seiner Homosexualität außerdem von einem inneren Zwiespalt erschüttert ist. Vielleicht liegt der Schwerpunkt bei Einstein deshalb auf einer humorvollen Adaption seiner Biografie. Der Comic ist dadurch problemlos in einem Zug durchzulesen und angesichts der anspruchsvollen Thematik doch leicht verdaulich.
Die 64 Seiten von Einstein können zweifelsohne keine lückenlose Biografie liefern, doch es ist gut, dass der Comic weit mehr als ein bebilderter Lebenslauf geworden ist. So nähern sich die Autorinnen der Persönlichkeit Einsteins aus einem neuen Blickwinkel und stellen den Alltag des Wissenschaftlers in den Kontext seiner privaten Verhältnisse und vor den Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse. Die gestalterische Umsetzung ist dabei lebhaft, humorvoll und cartoonesk überzeichnet. Der Einstein von Maier und Simon ist unangepasst und kokettiert geradezu mit seiner politisch unkorrekten Art. Der Anschaulichkeit halber sind überspitzte Episoden hinzugedichtet worden und einige Anspielungen richten sich ausdrücklich an eine zeitgenössische Leserschaft – etwa, wenn Einstein einen Burnout auskuriert und deshalb streng das Bett hüten muss. Die direkte Ansprache durch Einstein wirkt zunächst befremdlich, lässt dadurch aber andererseits künstlerische Freiheiten schnell verzeihen. Bei aller Leichtfüßigkeit ist die Darstellung von Einsteins Macken schonungslos. Letztendlich lassen ihn diese umso menschlicher und damit auch authentischer und sympathischer erscheinen.
Während das überwiegend in zarten Pastelltönen gehaltene Farbschema einen historisierenden Eindruck vermittelt und eine nostalgische Seite anschlägt, kommen die illustrierten Theorien in ihrer die Panelgrenzen sprengenden Form expressiv und geradezu rauschartig daher. Darin ähnelt Einstein, sobald es um die Schilderung seiner wissenschaftlichen Arbeit geht, einem Little Nemo, der sich allnächtlich auf eine Abenteuerreise ins Slumberland begibt. So ist offensichtlich, dass es den Autorinnen nicht um eine möglichst genaue und lückenlose Schilderung der Lebensereignisse geht; stattdessen wecken sie Interesse an Einstein und machen uns damit erst richtig neugierig. Die grafische Umsetzung ist deshalb gelungen, weil sie viel mehr leistet, als die bloße Biografie eines Wissenschaftlers zu illustrieren. Auch geht es nicht nur um Anekdoten aus seinem Leben, wenngleich sie helfen, sich der Persönlichkeit zu nähern. Wenn Einstein etwa auf einem Surfbrett steht und auf Lichtwellen reitet, kommt er lässig wie ein Big Lebowski der Physik daher. Der comispezifische Beitrag ist die Visualisierung der Einstein’schen Gedankengänge.
Überhaupt ist die kreative Vorstellungskraft für Einstein ein wichtiger Aspekt seiner wissenschaftlichen Arbeit, wie ein anderes Zitat nahelegt, das in den unendlichen Weiten des Internets herumgeistert: „Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt, Phantasie aber umfasst die ganze Welt.“ Vielleicht lassen sich Einsteins Bauchgefühl und seine große Improvisierfreude auf sein Geigenspiel zurückführen. Seiner wissenschaftlichen Arbeit hat seine Offenheit für künstlerische Prinzipien jedenfalls nicht geschadet. Schließlich sei das Geheimnis der Relativität laut Comic-Einstein ein kompletter Perspektivwechsel. Es gehe darum, sich zu fragen, um wie viel Uhr die Stadt Zürich an diesem Zug halte. Gibt es ein geeigneteres Medium als den Comic, um solche Gedankenexperimente aufs Papier zu bannen? Das große Potenzial haben zuvor bereits Ottaviani und Myrick eindrucksvoll in der Biografie des Physikers Richard P. Feynman bewiesen. Vom ernsthafteren Grundton her stellt jene Arbeit den genauen Gegenentwurf dar.
Am Ende hat Einstein einen flüchtigen aber unterhaltsamen Blick auf die historische Figur geworfen, der wichtige Stationen in seinem Privatleben ebenso abdeckt wie wissenschaftliche Höhepunkte. Vor allem ergibt sich daraus die Kontur seiner Persönlichkeit. Der interessierte Laie hat dem mit Sicherheit einige neue Aspekte abgewinnen können, wie zum Beispiel die politische Seite Einsteins vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Während das Medium Comic eine anschauliche und zugleich motivierende Grundlage bietet, sich Einsteins Theorien weiter zu nähern, wird die insgesamt amüsante Herangehensweise den ernsteren Seiten leider nicht immer gerecht. Zu einer Parodie fehlte es Einstein an Witz, für eine seriöse Biografie ist der Comic wiederum zu lustig. Allzu lapidar und verkürzt beschrieben laufen bestimmte Aussagen leicht Gefahr, missverstanden zu werden. Zu vermeiden wäre dies gerade in Bezug auf die Wissenschaft, wenn Einstein etwa diese Wort in den Mund gelegt werden: „Von diesem Tag an wurden meine Theorien nicht mehr durch neue Experimente infrage gestellt.“ Was Einstein hier als verdienten Erfolg genießen soll, ist viel zu allgemein gehalten und untergräbt letztendlich wissenschaftliche Prinzipien. An anderer Stelle werden leider auch die Grundfragen der Philosophie nach Immanuel Kant etwas holprig wiedergegeben. Weil Einstein selbst über die große Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Menschheit lamentiert, wird hier eine Chance vergeben.
Die illustrierte Biografie eines facettenreichen Wissenschaftlers, die so sanft heruntergleitet wie ein Smoothie.
Knesebeck, 2015
Text: Corinne Maier und Anne Simon
Zeichnungen: Anne Simon
Übersetzung aus dem Französischen: Anja Kootz
64 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-86873-809-4
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