Ein Moor ist kein Sumpf, wissen Kieler Tatort-Fans. Und eine Grube ist mehr als ein Loch. Der Niederländer Erik Kriek hat seinen neuesten Horrorcomic einer Grube im Wald gewidmet.
Der Comic ist im April 2023 unter dem Titel De Kuil bei dem Amsterdamer Verlag Scratchbooks erschienen. Die Geschichte handelt von dem Ehepaar Hubert und Sarah Gruber, das aus der Stadt in ein altes Haus im Wald umzieht – das Wortspiel mit Familiennamen und dem Titel ist aus dem Original sinngetreu übernommen, dort heißen die beiden Huub und Sara Kuylder. Nomen est omen.
Und wären die Grubers gute Zeichenleser, hättet sie wahrscheinlich schnell das Weite gesucht. Als sie das Haus in Augenschein nehmen (eine renovierungsbedürftige Immobilie – für „handwerklich begabte Individualisten“, würde man heute schreiben), entdecken sie auch das riesige Grundstück, das von einem dichten Wald eingenommen wird, einem „Urwald“, wie sie es nennen. Um im Wald wohnen bei Schiller die Räuber, bei Axel Scheffler der Grüffelo und bei Kriek eben die Geister. Ein Baum ist im Sturm entwurzelt worden und in eine Wassergrube gestürzt. Seltsame runenartige Symbole säumen die umliegenden Baumstämme. Ist da etwa Magie im Spiel.
Noch rätselhafter wird es, als das Ehepaar auf dem Dachboden (wo sonst?) den Nachlass von Huberts Onkel und dessen Ehefrau Sigrun entdeckt und darin die mal als Skizzen-, mal als Tagebücher bezeichneten Dokumente Sigruns, die ebenjene Runen wieder zeigen.
Die Kunstmalerin und der Architekt leiden unter dem Verlust ihres gemeinsamen Sohnes Ruben, der während einer Vernissage seiner Mutter sechs Jahre zuvor in Folge eines Verkehrsunfalls ums Leben kam. „Mama muss sich noch unterhalten. Geh draussen Fußball spielen. Aber nicht auf der Strasse, ja?“ Das ging schief, und danach liefen auch Sarahs Karriere und Ehe nicht wie geplant. Ihre Kreativität wie auch ihre Leidenschaft sind fortan gezügelt, sicher auch durch die Medikamente.
Der Umzug sollte ein Neuanfang sein, aber die Legenden, Symbole und der Besuch einer geistig verwirrten Nachbarin deuten nichts Gutes an. Sarah setzt schließlich ihre Medikamente ab, und dann geht alles ganz schnell abwärts. Seltsame Unfälle im Wald, nur für Auserwählte sichtbare Wiedergänger, Schlafwandeln.
Kriek ist zunächst mit seiner Serie Gutsman aufgefallen, wobei diese Superheldenparodie, an der Kriek zwischen 1994 und 2010 arbeitete, hierzulande quasi unbekannt geblieben ist. Bei Top Shelf ist 2005 eine Auswahl erschienen. In Deutschland bekannt wurde Kriek mit seiner Adaption von Lovecraft-Kurzgeschichten Vom Jenseits (avant-Verlag 2013, zuerst 2012), seinen True-Crime-Stories In the Pines (avant-Verlag 2018, zuerst 2016) und seinem Langcomic über einen isländischen Wikinger, Der Verbannte (avant-Verlag 2019).
Kriek hat seit einigen Jahren Horror als sein Prestigegenre entdeckt. Der internationale Erfolg seiner vergangenen Langcomics (darunter ein Rudolph-Dirks-Award 2016 für In The Pines), sichtbar auch anhand der zahlreichen Übersetzungen, lässt es plausibel erscheinen, sich auf das Erfolgsrezept zu verlassen. Und visuell knüpft Kriek mit seinem, auch in der Symbolik bisweilen, an Charles Burns erinnernden Stil an seine vorigen Comics an. Im Gegensatz zu Vom Jenseits und In the Pines aber kann Kriek sich nicht auf der Grundlage einer schon bestehenden Story graphisch austoben, sondern muss selbst ran. Und das ist der Haken.
Sämtliche Motive wirken wie aus der Mottenkiste der Horrorgeschichte: ein altes Haus, ein dunkler Wald, ein toter Sohn, eine weißhaarige Verrückte mit Vorahnungen, seltsame Symbole und sich im Wald verlaufende Männer ohne Mobilnetz. Daran ist nichts neu, und auch in der Kombination ergibt sich daraus keine spannende Geschichte mit Überraschungen. Aber auch für eine Hommage an das Genre genügt das nicht, auch wenn immerhin der Wackelfilmklassiker Blair Witch Project erwähnt wird. Auch das Ende erinnert an die beliebten EC-Pointen, aber dadurch stellt sich noch nicht das Gefühl ein, eine Zitatcollage à la Black Hammer vor sich zu haben. Zwar erinnern manche Elemente wie das Cover an Charles Burns‘ Daidalos, aber das Verstörende seiner Symbolwelten geht Kriek in diesem Comic völlig ab.
In dem Kieler Tatort „Borowksi und das Mädchen im Moor“ (2008) wird geschickt mit dem Motivrepertoire aus Horror- und Märchenwelten gespielt. Einsame Wölfe müssen als unheilvolle Boten der Welt der Toten herhalten, und wenn am Ende ein Auto aus einem Moor aufsteigt wie einst in Hitchcocks Psycho (1960), erklärt Borowski freundlicherweise, dass es in Nordeuropa keine Sümpfe gebe. Sondern nur Moore. Das ist anspielungsreich, lehrreich und unterhaltsam. Im Gegensatz zu Krieks Grube.
Mehr Loch als Moor
avant-Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Erik Kriek
Übersetzung: Katrin Herzberg
132 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 26,00 Euro
ISBN: 978-3-96445-106-4
Leseprobe