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Der Zahn

Vampire sind auch nur eine Minderheit, die verstanden werden wollen. Aber sollten Vampire nicht gruselig sein?

Alle Abbildungen © Kibitz-Verlag.

Ein bisschen sucht Ayşe Klinge in ihrem Kindercomic Der Zahn ja schon das Spiel mit der Angstlust, wenn die Schülergruppe am Anfang der Story eine Exkursion ins Gruselkabinett unternimmt. Allzu schnell aber stellt sich raus, dass Angst nicht gut ist und dass Angst ein prima Werkzeug ist, andere zu unterdrücken. Da wäre die kleine Mila, die ängstlicher ist als alle anderen und die deswegen immer wieder von ihren Mitschüler*innnen bloßgestellt und vorgeführt wird.

Aber wie im echten Leben gibt es graduelle Unterschiede im Mobbing, und während die Kinder in der Gruppe richtig gemein sein können, sind sie, wenn sie alleine auftreten, viel umgänglicher. So wie Kaya beispielsweise, die erkennt, dass sie mit Mila doch die Freude am Zeichnen verbindet. Vor allem aber hat auch Kaya eigentlich Angst, irgendwann ausgegrenzt zu werden: Sie ist nämlich in Wirklichkeit eine kleine Vampirin, und soeben ist ihr erster Fangzahn durchgebrochen. Aus dieser Situation heraus entstehen einige wechselnde Allianzen. Kaya freundet sich vorsichtig mit Mila an, die hat aber bereits Niklas zum Freund, der wiederum Vampire fürchtet und sie jagen möchte.

Allzu gruselig geht es also nicht zu in dieser kleinen Vampirmär, stattdessen wird das Vampirsein als recht vielseitig einsetzbare Chiffre für das Fremde genutzt, ohne dass die Erzählerin sich dabei in die Untiefen realer Phänomene begeben muss. In die Vampire können die „Angstmacher“ unserer Zeit hineinprojiziert werden: Zugereiste, Flüchtlinge, Migranten, Queere, Juden, Araber, arme Menschen, religiöse Minderheiten, Behinderte, Punks, Obdachlose, Fahrendes Volk; alles, was „anders“ ist und Opfer übler Nachrede oder Hetze sein kann. Leider passt gerade das vermeintlich arglose Bild des Vampirs eigentlich zu gut zum Anliegen, denn mit der Erzählung vom Fremden, der sich von Blut ernährt, wurde in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet. Gerade Horrorklischees transportieren fremdenfeindliche Stereotypen besonders hartnäckig – aber sie laden eben auch zum spielerischen Umgang ein. Manche Widersprüche sind nur sehr schwer zu lösen. Aber wir sollten diesen Kindercomic auch nicht mit Bedeutung überfrachten.

Pflock ins Herz: Wovor man Angst hat, das möchte man Töten.

Ayşe Klinges Der Zahn ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Penelope Bagieus Hexen hexen nach einer Vorlage von Roald Dahl. Denn in Hexen hexen werden Kinderängste genussvoll bestätigt (und – nebenbei erwähnt – leider auch eine ganze Menge antisemitischer Klischees bedient). Ayşe Klinge dagegen ist jede Angstlust suspekt, ebenso meidet sie Ironie, die erfahrungsgemäß leicht als Testfeld für schlechtes Benehmen missbraucht werden kann, man kann sich allzu leicht hinter der Behauptung verstecken, alles sei „nur Spaß“. Ayşe Klinge überzeugt mit kompromissloser Nettigkeit. Das mag wenig sein angesichts der überwältigenden Probleme unserer Zeit, aber wo, wenn nicht im Kleinen soll man denn sonst beginnen? Die freundlichen Zeichnungen tun ihr Übriges, dass Ayşes Anliegen direkt ins Herz geht.

Die Ernährungsgewohnheiten von Vampirfamilie Karnstein sollte man besser nicht überinterpretieren. Ein Problem sehen da nur „die Erwachsenen“.

Freundlicher Comic für Vielfalt und Offenheit

7von10Der Zahn
Kibitz, 2025
Text und Zeichnungen: Ayşe Klinge
216 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 26 Euro
ISBN: 978-3948690366
Leseprobe

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