Der Jas basiert auf einer alten Sage aus Luxemburg. Die Geschichte dreht sich um den unehelichen Sohn eines Adeligen, der nach einem Pakt mit dem Teufel das Land heimsuchte und seine Umgebung ins Unglück stürzte. Autor Jean-Louis Schlesser und Zeichner Marc Angel nutzen die Idee dahinter als Vorlage für ihren Comic, der durchaus Potential besessen hätte.
Im Zentrum des Comics steht der Jas, ein finsteres Monster, das sich wie ein Vampir durch die Nacht bewegt und über die Leute herfällt. Ein Mörder, der sich an der Welt für erlittenes Unrecht rächen möchte und dafür immer brutaler wird. Das ist immer guter Stoff, aber leider kann mich das Gesamtergebnis nicht überzeugen.
Das beginnt schon mit dem Protagonisten. Das ist der Junge Mathis, der ebenfalls als Bastard eines Adeligen geboren wird und nur von seiner Mutter und seiner Schwester Zuneigung erfährt. Dann passiert eine Tragödie, seine Mutter stirbt und er muss sich alleine durchschlagen. Mathis wird ein Knecht, verliebt sich, wird verraten und verwandelt sich anschließend in den Jas. Oder besser gesagt eine zweite Version des bösen Monsters, da die Handlung des Comics nach den Geschehnissen der Sage zu spielen scheint. Das merkt man aber auch nur, wenn man sich die Sage am Anfang durchgelesen hat und sich daran erinnert, dass dort eine handlungsrelevante Nebenfigur erwähnt wurde. Die Legende um den Jas wird nicht weiter aufgebaut, man wüsste also nicht einmal, warum Mathis sich plötzlich in eine vampirische Bestie verwandelt. Da es aber wichtig ist, dass Mathis nicht der Jas aus der Sage ist, sondern nur eine Art Wirtskörper, wäre hier wesentlich mehr Exposition nötig gewesen, die auch die dramatische Ironie hinter den wiederholten Ereignissen noch einmal verdeutlicht.
Die ersten 61 Seiten bauen Mathis und seine Hintergrundgeschichte recht kompetent auf, aber leider springt die Handlung danach von einem Handlungspunkt zum nächsten. Im Grunde schlägt Mathis eine blutige Schneise durch alle Leute, die ihn je demütigten. Abgesehen von Mathis bekommen nur seine Geliebte und der Mönch Bruder Bernhard eine größere Rolle in der Handlung zugesprochen. Bernhard hat schon Erfahrungen mit der Bekämpfung des Jas gemacht. Er ersinnt auch eine Lösung, um das Monster zu besiegen, aber das wirkt genauso hastig erzählt wie der Rest der zweiten Hälfte des Bandes. Der Mönch fasst dann auch noch einmal die Themen des Bandes zusammen, damit wirklich alle wissen, worum er sich wirklich gedreht hat. Denn Schlesser und Angel möchten nicht nur eine düstere Horrorgeschichte erzählen, sondern auch ein nihilistisches Werk über Rache und Ungerechtigkeit, also eine Geschichte mit Tiefe. Ohne den Monolog des Mönches hätte ich das aber nie rauslesen können.
Da die Figuren oberflächlich dargestellt werden, bauen Leser*innen auch keine emotionale Bindung zu ihnen auf, man lernt sie nicht einmal lange genug kennen, um sie zu hassen. Teilweise habe ich schon vergessen, wer diese Figuren waren, und wurde dann nur vom begleitenden Text daran erinnert, um wen es sich bei den Ermordeten handelt. Hier muss also der Text liefern, wozu die Bilder wegen ihres mangelhaften erzählerischen Aufbaus nicht in der Lage sind.
Das ist sehr schade, da die schwarzweißen Zeichnungen Marc Angels insgesamt sehr atmosphärisch sind. Sie vermitteln sehr gut den Horror, der von der Kreatur Jas ausgeht und erlauben auch einige interessante Spielereien. Gleich zu Beginn versuchen drei Knechte während einer stürmischen Nacht einen Fluss zu überqueren und werden von Mathis attackiert, der überlebensgroß aus dem Wasser springt und die Reisenden zu überragen scheint. Er trägt dabei die Robe, die an den mittelalterlichen Schnitter erinnert, sein Gesicht ist geisterhaft verzerrt. Das nächste Panel konzentriert sich dann auf die erschrockenen Gesichter der Reisenden, die die Augen weit aufgerissen haben und seinen Namen schreien. Dieser wird durch besonders große Buchstaben hervorgehoben, das betont noch einmal, wie unwirklich das Monster Jas eigentlich ist. Eine weitere sehr clevere Szene zeigt die Ermordung eines Mannes, der Mathis in seiner Jugend quälte und von ihm überfahren wird. Im letzten Panel wird sein jetziges Gesicht mit dem aus seiner Jugend gezeigt, so dass Leser*innen sich daran erinnern können, wer diese Figur war, ohne dass eine Exposition es erklären müsste. Das sind Bilder, die zeigen, dass Der Jas: 1. Rache wirklich das Potential für einen guten Horrorcomic gehabt hätte, wenn man einfach noch mehr Zeit und Arbeit in seine Entwicklung gesteckt hätte.
Als erster Band einer neuen Serie eignet sich „Rache“ nicht. Die Handlung zerfällt ab der Hälfte in brutale Episoden, die Figuren bleiben oberflächlich und es wird nicht recht klar, nach welchen Regeln das Monster Jas handelt und sich damit auch in Zukunft weiterer Menschen bedienen kann. Daher macht mich der Plot-Hook zum Schluss auch nicht neugierig, obwohl die letzte Szene recht gut funktioniert.
Der Band ist 117 Seiten lang, also gut doppelt so lang wie ein frankobelgischer Albencomic. Viele Autoren hätten mit weniger Seiten wesentlich mehr erzählen können. Papier und Bindung sind hervorragend, aber den Preis empfinde ich wegen der erzählerischen Mängel als zu hoch.
Man merkt Der Jas: 1 Rache an, dass er mit viel Liebe und Hingabe gemacht wurde. Aber Liebe hat in diesem Fall nicht ausgereicht.
Gut gezeichnet, mangelhaft erzählt, viel zu teuer.
WEEERD im Verlag der Ideen, 2019
Text: Jean-Louis Schlesser
Zeichnungen: Marc Angel
117 Seiten, Hardcover, schwarz-weiß
Preis: 24,90 Euro
ISBN: 978-3-942006-40-8
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