Himbeereis, Modigliani und ein Furz im Yoga-Studio. Zep lässt in Der ferne schöne Klang Welten aufeinanderprallen.
William lebt seit mehr als 25 Jahren als Mönch in der schweizer Kartause La Valsainte: „Einsamkeit, Armut, Gehorsam, Keuschheit … Stille.“ Der entbehrliche Alltag in der Abgeschiedenheit ist für ihn längst zum Lebensstil geworden, aber immer wieder macht der Erzähler deutlich, nicht voll und ganz zufrieden zu sein: „Als wenn unser Leben schon vorgeschrieben wäre von einem Gott ohne Fantasie.“ Und auch auf der Bildebene hinterlassen die Einsamkeit und die kargen Lebensumstände, ganz buchstäblich „hinter Gittern“, nicht den Eindruck eines erfüllten Lebens. Als er sich in jungen Jahren für dieses Leben entschied, stieß er in seiner Familie auf Widerstand. Vor allem seine Tante, Elise Turnelle, begegnete dem Entschluss mit Skepsis: „Du läufst doch nur weg! Du rennst davon vor dieser Welt, die dir Angst macht, William.“
Als er längst nicht mehr William, sondern seit vielen Jahren Bruder Marcus ist, erhält er die Nachricht vom Tod seiner Tante. In ihrem Testament hat die wohlhabende Frau überraschenderweise auch ihren Neffen William bedacht, der nun zur Vollstreckung nach Paris reisen muss. Das Vermächtnis der Tante besteht vordergründig in einem wertvollen Akt-Gemälde von Amedeo Modigliani, Angelica, und sie kommentiert es noch zynisch aus dem Grab heraus: „So kriegt er wenigstens noch mal eine Frau.“
Die kriegt er aber auch so. Schon auf der Zugfahrt begegnet er Mery, deren Verhalten ihn dazu zwingt, sein Schweigegelübde zu brechen: „Ich glaube, Ihre Füße sind auf meinem Platz.“ Die beiden kommen ins Gespräch, in dessen Verlauf Mery erzählt, dass sie nur noch wenige Monate zu leben habe. Die beiden lernen einander kennen und Marcus wird wieder zu William. Er badet in der Seine, sie machen gemeinsame Selfies und essen gemeinsam Eis: „25 Jahre lang habe ich Gott in der Abstinenz gesucht, und jetzt finde ich ihn in einem Himbeersorbet.“ Bei diesem Himbeereis küssen sie sich, und damit hat Williams sich in kurzer Zeit über all seine selbst auferlegten Entbehrungen erhoben, so dass sich fast eine Konversion zum Lebemenschen abzeichnet. „Einsamkeit, Armut, Gehorsam, Keuschheit … Stille.“ Das sind plötzlich Werte von gestern, aber damit ist der Konflikt keineswegs gelöst.
Dass der Schweizer Comic-Zeichner und -Autor Zep (Philippe Chappuis) an dieser Stelle eine kitschige Bekehrungsgeschichte vermeidet, ist eine Stärke des Comics. Von Anfang an wird das mönchische Leben weder glorifiziert noch belächelt – Marcus ist hin- und hergerissen: „Wenn ich keine Zweifel hätte, bräuchte ich nicht zu glauben.“ Klingt ein wenig nach Online-Aphorismen-Poesie. Umso erfreulicher ist es, wenn es Zep mit seinem Humor gelingt, den Ernst zu brechen: „Die Stille ist ein Wesen.“ – „Das Gefühl hatte ich auch manchmal im Yoga-Kurs. Bloß dann hustete oder pupste plötzlich jemand und der Moment war futsch.“
Die Zeichnungen entstanden nach Fotografien, die Zep mit befreundeten Statisten in Paris herstellte. Und wie schon in The End hat er die Strichzeichnungen passagenweise unterschiedlich eingefärbt, so dass der Eindruck von Erzählabschnitten oder Kapiteln entsteht. In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger über The End sagte er dazu: „Ich habe die Farben so verwendet, wie man es von der Filmmusik kennt, um eine spezielle Stimmung zu erzeugen. Das hat mir geholfen, Passagen zwischen den Szenen zu schaffen, ohne explizit ‚am nächsten Tag‘ oder ‚zur selben Zeit im Naturreservat‘ hinschreiben zu müssen. Mit den Farbwechseln weiss man intuitiv, dass man woanders ist. “
Nachdem mir Zeps The End nicht sonderlich gut gefallen hatte und mich auch die Science-Fiction-Story Paris 2119 (gezeichnet von Dominique Bertail) nicht begeistern konnte, hat Der ferne, schöne Klang mich mehr überzeugt. Trotz mancher am Kitsch entlangschrammenden Dialoge ist ihm ein lesenswerter Balanceakt gelungen.
Dass Zeps realistische Zeichnungen, orientiert an den Fotovorlagen, wenig Symbolisches zu dem Konflikt zwischen dem geistlichen Marcus und dem weltlichen William beizutragen haben, ist aber schade, und überhaupt ist der Comic über lange Strecken geradezu redselig für eine Geschichte über einen Mönch mit Schweigegelübde. Dennoch ist eine bedächtige Geschichte entstanden, die den Trubel der modernen Welt mit der Stille einer als unzeitgemäß erscheinenden Lebensweise, geprägt von Verzicht und Mangel, darstellt.
Eine Handlungsanweisung, Mönch werden oder Mensch werden, hinterlässt Zep glücklicherweise nicht. Ob Yoga, Himbeereis oder der Rückzug in eine Kartause der richtige Weg für jede*n ist, muss weiterhin jede*r für sich entscheiden. Und Pupsen ist ja manchmal auch ein schöner Klang.
Plötzlich pupste jemand …
Schreiber & Leser, 2021
Text und Zeichnungen: Zep
Übersetzung: Claudia Sandberg
80 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,80 Euro
ISBN: 978-3965820609
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