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Der Bildhauer

Mit seinen Standardwerken Comics richtig lesen, Comics neu erfinden und Comics machen hat sich der US-Amerikaner Scott McCloud in der Vergangenheit als Theoretiker wie auch als Künstler hervorgetan. Sein dreiteiliges Werk setzte sich auf kluge und anschauliche Weise intensiv mit dem Medium Comic auseinander und war dabei selbst in Form eines Comics verfasst. Jetzt ist sein neues Buch Der Bildhauer fertiggestellt, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat und dessen Grundidee ihm schon über 20 Jahre im Kopf herumspukte. Da längere Geschichten von McCloud rar gesät sind, waren Erwartung und Aufmerksamkeit entsprechend groß. Die CG-Redakteure Benjamin Vogt und Cristian Straub (der die englischsprachige Fassung gelesen hat) beschäftigen sich mit dem viel beachteten Comic, für dessen Verfilmung sich Sony bereits die Rechte gesichert hat, und bewerten ihn in Form einer Dialog-Rezension.

Achtung: Die Rezensenten behandeln auch das Ende des Comics. Wer das als Spoiler ansieht, liest lieber zuerst den Comic und dann diesen Text.

© Carlsen Comics

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Benjamin: Der verkannte Bildhauer David Smith strebt nach dem großen Ruhm. Einmal im Leben als großer Star der Kunstszene gelten, ein Vermächtnis hinterlassen, an das sich nachfolgende Generationen erinnern. Doch zu seinem Leidwesen war er immer nur ein kleines Licht, ein zwar talentierter Künstler, dem der Durchbruch jedoch verwehrt blieb. Immer nur der „andere David Smith“, der sein Dasein im Schatten des berühmten, 1965 verstorbenen Bildhauers David Smith fristet. An dieser Stelle kommt ein verhängnisvoller Pakt ins Spiel. McCloud lässt seinen Protagonisten eine verhängnisvolle Entscheidung treffen: 200 Tage lang die Fähigkeit zu besitzen, jedes beliebige Material wie Butter mit den Händen formen zu können, dafür jedoch nach Ablauf dieser Frist den Tod zu erwarten. Smith willigt schließlich ein, zerfressen vom Streben nach Anerkennung.

Nach der Lektüre von Der Bildhauer bin ich etwas unschlüssig, wie ich den Plot nun bewerten soll. Die Ausgangslage ist recht simpel darzulegen, aber im weiteren Verlauf wird das philosophisch angehauchte Grunddilemma zugunsten einer breit ausgewalzten Liebesgeschichte beiseite geschoben. Ich hatte mitunter das Gefühl, dass McCloud den roten Faden nicht konsequent genug verfolgt hat bzw. dass er zu viele Themen hineinpacken wollte, aber trotz des stolzen Umfangs des Bandes nicht damit auskam. Vielleicht wäre etwas weniger mehr gewesen, nicht nur was die Seitenzahl angeht, sondern auch die einzelnen Plotelemente. Wie war dein Eindruck von der Story an sich?

Cristian: Die Story, eine moderne Version des faustischen Teufelpakts, ist in Ordnung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Gegensatz zu einem Michail Bulgakow, dessen ebenfalls von Faust inspiriertes Meisterwerk Meister und Margarita McCloud im rasanten Finale zitiert, fehlt es dem „Bildhauer“ aber sowohl an Eigensinn als auch an Nuancen. Dabei hat der Comic viele Momente, die authentisch wirken und einen mitnehmen und berühren. Die Welt der Kunst, mitsamt all der Galeristen, Sammler, Kritiker und dem schier undurchdringlichen Amalgam aus Beziehungen, Meinungen und Zufällen wird ebenso auf die Schippe genommen wie auch der Protagonist selbst, ein junger Möchtegern-Bildhauer, dem seine Unerfahrenheit aber vielleicht auch seine künstlerische Schlichtheit im Weg steht auf dem Weg zum Ruhm. In der Beschreibung des nach Bestätigung dürstenden Kleinkünstlers David Smith gelingen McCloud einige tolle Szenen. Sie dienen möglicherweise auch als Spiegel zum Biedermeier-Begriff der Künstlers im Comicbereich: Nur weil Jim Lee Muskeln zeichnen kann und Neil Gaiman schöne Fantasyprosa schreibt, handelt es sich dabei nicht unbedingt um Kunst. Den Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk in einem Comic intelligent behandelt zu sehen, vor allem von einem eher „kunsthandwerklich“ angehauchten Artist wie McCloud, das machte mir große Hoffnung.

Zur Mitte des Bandes hielt ich es noch für durchaus möglich, es mit einem herausragenden Comic zu tun zu haben. Aber, wie du schon richtig angemerkt hast, verabschiedet sich McCloud zunehmend von der Künstlerbiographie und wendet sich der „alternativen Option“ Liebe zu. Dabei umarmt er in der Beschreibung der Beziehung zwischen dem Protagonisten und seiner Erwählten ein Klischee nach dem anderen. Wie oft müssen junge, künstlerisch begabte Männer (nicht gerade selten: Comic Artists) denn noch von manisch-zauberhaften Mädchen errettet werden, bevor man ein eigenes Genre dafür erfindet? Ist der „young comic artists fails at love“-Topos nur mir ein Dorn im Auge? Störst du Dich nicht auch an der extrem zweifelhaften „Emo-Engel“-Rolle, in die Frauen in männlichen Autobio-Comics regelmäßig reingedrängt werden?

© Carlsen Comics

© Scott McCloud/Carlsen Comics

Benjamin: So pauschal möchte ich McCloud gar nicht vorwerfen, sich altbekannter Junge-verliebt-sich-in-Mädchen-Schemata bedient zu haben. Denn zumindest gelingt ihm ein gewisser Twist, indem er offen lässt, ob hier wirklich das hübsche Mädchen die verzweifelte Hauptfigur retten soll (obgleich es ja im wahrsten Sinne des Wortes als Engel die Bühne betritt), oder ob es nicht vielleicht sogar Meg ist, die von Seiten David Smiths Rettung benötigt. Das macht die Beziehung der beiden an und für sich recht interessant. Nur hätte es der Erzählung gut getan, wenn man dieser nicht eine derart dominante Rolle zugewiesen hätte. Und hat sich eine Lovestory über so vielen Seiten hinweg erst mal in den Vordergrund gespielt, bleibt für andere Themen oft wenig Platz. Mehr berührt hat mich eigentlich Davids tragische Familiengeschichte, die für meine Begriffe viel zu kurz behandelt wird, oder auch das offenkundige Hadern mit seinem Allerweltsnamen. Das sind teilweise starke Szenen, aus denen man herauslesen kann, warum David überhaupt bereit ist, den Pakt einzugehen. Alles darüber hinaus ist eigentlich nur der Versuch McClouds, David seine Entscheidung durch die neue Liebe in Zweifel ziehen bzw. bedauern zu lassen.

Zwei Punkte werden in dem Comic ja immer wieder explizit hervorgehoben, die für David von enormer Bedeutung zu sein scheinen: Prinzipien und Versprechen. Es macht bisweilen fast den Eindruck, als wolle McCloud ihm eine sklavisch einzuhaltende, innere Werteordnung andichten, die zum einen in seiner Vergangenheit begründet ist, zum anderen sein gegenwärtiges und zukünftiges Handeln leitet. Am Ende war ich dann aber enttäuscht, weil der Autor des Comics entweder a) auf gar nichts Besonderes damit hinauswollte oder b) schlichtweg vergessen hat, der Thematik nochmal einen runden Abschluss zu geben. Hast du zwischen der ausgiebigen Romanze, der Frage nach dem Kunstbegriff, der Faust-Tragödie und der Künstlerbiografie auch ein paar Puzzlestücke im Psychoprofil Davids vermisst? Oder allgemeiner gefragt: Mussten bei all diesen thematischen Ansätzen nicht zwangsläufig einer oder mehrere zurückstecken?

Cristian: Guter Punkt: Was war das eigentliche Thema? Welcher Wert oder welche wichtige Fragestellung wurde hier verhandelt? Es gibt einmal Davids etwas infantile Prinzipien- und Versprechenreiterei, die ich etwas unschlüssig und, wie du richtig angemerkt hast, zum Ende hin kaum mehr präsent fand. Und dann gab es die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen künstlerischem Antrieb und dem Leben – im Laufe des Bandes immer mehr Liebesleben – des Künstlers. Diese Frage drängt sich auf, je mehr McCloud die Liebesgeschichte in den Vordergrund rückt. Aber er versäumt es auch, darauf eine Antwort zu geben jenseits von: irgendwie beides, aber das eine ein bisschen mehr. Und da muss ich doch noch einmal einhaken. Dass seine Freundin nicht nur die Funktion des Engels sondern auch die des Opfers einnimmt, tröstet mich wenig. Wesentlich ist ja, dass sie funktional bleibt, scheinbar keinen eigenen Antrieb hat und nur im Wechselspiel mit David existiert. Was sind ihre Ziele, außer zu retten und/oder errettet zu werden? Sorry, aber das klingt für mich nach pubertärer Fantasie.

Aber kommen wir zum Ende. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass man der Versuchung widersteht, ins Phantastische abzugleiten (um nicht zu sagen: sich dahin zu flüchten), vor allem weil wir hier im Comic sind, dem Medium, in dem so etwas ständig passiert. Wo mir das Kino oder der Roman manchmal zu sehr im Sichtbaren und der Psychologie verhaftet sind, überbrückt man im Comic, und in diesem eben auch, den Konflikt im Alltag, indem der Held sich in eine Metasphäre verabschiedet, wo entweder a) alle Gesetze und Konflikte aufgehoben zu sein scheinen und deswegen alles möglich ist oder b) die bisherigen Konflikte piefig und klein erscheinen im Angesicht der monumentalen neuen Welt. Was sind schon Familientragödien und psychologische Dilemmata, wenn man mit seinen Händen eine ganze Stadt, wie in einer Legofantasie, auseinander nehmen kann um sie wieder nach eigenem Gusto bzw. „künstlerischem“ Verständnis neu zusammenzusetzen? Im Zweifel irrelevant, was für mich auch im Grunde das Fazit zum Bildhauer ist. Trotz seiner Verdienste im Kleinen und der sehr flüssigen Grafik, dem souveränen Rhythmus und seinem feinen, wenn auch manchmal etwas braven Strich — der Bildhauer bleibt unter seinen Möglichkeiten. Oder habe ich da was nicht mitbekommen? Sehe ich es falsch, dass McCloud mit dem Ende genau den Größen- und Fluchtfantasien seines Protagonisten erliegt? Wenn das Ganze in Wirklichkeit ein kritischer Metakommentar sein sollte, so habe ich ihn nicht herauslesen können (und ich habe mich redlich darum bemüht). Wie hast Du das Ende empfunden?

© Carlsen Comics

© Scott McCloud/Carlsen Comics

Benjamin: Ohne jetzt das furiose Finale spoilern zu wollen, muss ich gestehen, dass ich nicht wirklich verstanden habe, worauf McCloud damit hinaus wollte. Möglicherweise entging mir da ein letzter subtiler Twist, ein Aha-Effekt. Generell hat mir der Comic im letzten Drittel weniger zugesagt. An irgendeiner Stelle musste McCloud zwanghaft, da Davids Zeit ablief, einen dramatischen Showdown einleiten. Und plötzlich war das Ganze doch sehr hollywoodesk; ordentlich Action, inszenierte Tragödie, Überraschungen. Einen tiefschürfenden Metakommentar kann ich da auch nicht entdecken. Wobei ich Der Bildhauer gar nicht zu negativ bewerten möchte. Auch wenn das Ende zu gewollt erscheint oder man die Dominanz der Lovestory und die damit einhergehende Vernachlässigung anderer Themen kritisieren kann, bleibt unterm Strich trotzdem noch ein guter Comic übrig. Teilweise sogar ein sehr guter. McCloud versteht sein Handwerk. Und das nicht nur hinsichtlich seines pointierten Strichs oder der starken Perspektiven. Nein, er weiß mit seiner Story auch emotional zu berühren. Nur leider geschieht das auf fast 500 Seiten zu selten und man hat das Gefühl, dass der Autor und Zeichner seine Linie verloren hat. Das macht daraus keinen schlechten Comic, aber auch nicht unbedingt ein denkwürdiges Meisterstück. Vielleicht sind deine und meine Erwartungen an McClouds erste längere Comicerzählung auch einfach zu hoch gewesen, vielleicht ist es aber auch so, wie du es angedeutet hast: Sie bleibt unter ihren Möglichkeiten. Schade darum, aber Spaß gemacht hat die Lektüre in der Rückbetrachtung dennoch, oder?

Cristian: Auf jeden Fall ist das ein ordentlicher Comic und bestimmt haben wir mitunter etwas streng geurteilt. Andererseits ist es auch legitim, von einem etablierten Könner seines Fachs mehr zu erwarten als eine ambitionierte Coming-of-Age-Story. Aber nicht jeder, der die Grammatik eines Mediums von Grund auf verstanden hat, hat deswegen eine interessante Geschichte auf Lager. Und da kann man McCloud keinen Vorwurf machen. Man merkt regelrecht, wie sehr er sich um Tiefe bemüht hat und, da sind wir einer Meinung, das ist ihm in der ersten Hälfte auch ganz gut gelungen. Sein Können besteht aber vor allem darin, mit einem ungeheuer gut getimten Lesefluss zu unterhalten. Er hat das Element der Zeit vollkommen im Griff und kann nach Belieben hoch- und runterschalten, seine Panels fließen ineinander und die Seiten blättern sich quasi von selber um. Das grafische Storytelling ist es dann auch, das einen in die Zielgerade bringt und über manche inhaltliche Schwäche hinwegtröstet.

 

Der Bildhauer
Carlsen Comics, 2015
Text/Zeichnungen: Scott McCloud
Übersetzung: Jan-Frederik Bandel
496 Seiten, zweifarbig, Hardcover
Preis: 34,99 Euro
ISBN: 978-3-551-78840-5
Leseprobe
Benjamin: Cristian:

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