Sarah Burrini startete im Mai 2009 ihren Webcomic Das Leben ist kein Ponyhof, den sie am 22. Juni 2020 offiziell beendete. Einen Prototypen konnte man ein paar Jahre vorher sogar auf der alten Website unseres Magazins lesen. 2018 gewann der Webcomic den Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comicstrip. Mit dem vierten Band, der auf Kickstarter finanziert wurde, liegt die Serie auch vollständig in gedruckter Form vor. Wir haben uns aus diesem Anlass noch einmal komplett durch alle Ausgaben gelesen.
Die Prämisse von Das Leben ist kein Ponyhof ist simpel und schräg zugleich: eine fiktive Version Burrinis erzählt in kurzen Episoden über Begebenheiten aus ihrem Alltag in Köln. Jeder Strip ist in vier Panels aufgeteilt und arbeitet auf eine Pointe hin. Das ist der simple Teil des Webcomics. Schräg wird es bei Sarahs Mitbewohnern, derer es drei sind. Der sprechende Fliegenpilz El Pilzo, der brummige Elefant Ngumbe und das Pony Butterblume sorgen für reichlich Chaos in ihrem Alltag, aber dann kommen noch Sarahs nebenberufliche Tätigkeit als Superheldin, ein fremdenfeindlicher Vogel und diverse Twists am Ende dazu und der Übergang zwischen Realität und Fiktion wird immer fließender.
In humorvollen Storylines erlebt die Wohngemeinschaft um Sarah viele spannende und absurde Abenteuer. Mal ist Sarahs neue Frisur beliebter als sie und entwickelt ein Eigenleben, mal muss Ngumbe aus dem Kölner Zoo befreit werden und plötzlich stellt Sarah fest, dass ihr ganzes Leben zuvor doch nur ein Traum war. Oder doch nicht?
Auch das Dasein als Nerd, Arbeitsstress und das politische Tagesgeschehen werden auf überspitzte Art in den kürzeren Strips kommentiert. Manchmal wird der Comic sogar etwas ernster und erinnert Leser*innen daran, wie engstirnig und gehässig die Menschen sein können.
Das am häufigsten wiederkehrende Thema bleibt aber der Sinn und Unsinn von Eskapismus. Sehr oft diskutieren die Figuren darüber, wie hilfreich es sein kann, sich durch Fiktion aus der echten Welt zurückzuziehen und es sich einfach mal gutgehen zu lassen. Während andere Comics die Flucht als eine Niederlage bezeichnen würden, zeigt Das Leben ist kein Ponyhof, dass es okay ist, sich hier und da mal zurückzuziehen und etwas Spaß zu haben. Die Welt ist schließlich ernst genug und der Webcomic ist schließlich auch nur eine aufregendere und fiktive Variante des Alltags, in dem die Hauptfigur lebt.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich auch der Humor der Serie. Sind die die Strips am Anfang noch sehr albern und zielen auf einfache Pointen ab, werden die Witze mit der Zeit immer scharfzüngiger. Das sieht man vor allem bei Gesprächen zwischen Ngumbe und dem Vogel Herrn Piepenbrock, deren Dialoge sich immer um Politik drehen. Ngumbe ist hierbei der entnervte Zuhörer, der sich das bestenfalls bigotte Gerede Piepenbrocks anhören muss, dessen Gefieder erstaunlich braun ist. Die Pointe zielt immer darauf ab, Piepenbrock als jemanden darzustellen, der nur die Grenzen des eigenes Nestes kennt und durch seine Ignoranz eine grausame Welt erschafft, in der er nur durch viel Glück überlebt. Zumindest bis die großen Raubvögel der Gesellschaft zu ihm kommen. Diese Strips gehören mit zu den besten, die Burrini je geschrieben hat, und zeigen zudem, wie gut sie inzwischen auch ihre Texte beherrscht. Der Ponyhof wurde zwar mit der Zeit feinsinniger, vielleicht sarkastischer, aber ein gewisses Augenzwinkern blieb immer. Humor hilft schließlich gerade auch dann, wenn die Welt noch unheimlicher als sonst ist.
Auch zeichnerisch ist über die Jahre der Veröffentlichung eine Entwicklung zu beobachten. Zu Beginn ist der Stil noch sehr einfach, aber im Laufe der Jahre gewinnen die Figuren an Details und ihre Mimik wird immer lebendiger. Die Figuren sind nicht realistisch, aber ihre Gesichter und Posen sind sehr ausdrucksstark. Immer wieder gibt es spannende Experimente, wie man zum Beispiel bei einer Storyline sieht, in der sich Sarah und Mitbewohner zum Kampf gegen bösen Pilzbefall aus dem Kühlschrank wappnen müssen. Der Stil passt sich dabei den epischen Superheldencomics an, es gibt also viel Action mit einer Prise cthuluoiden Horrors und so vielen Schwarzflächen, dass es einen Mike Mignola stolz machen würde. Clever ist hierbei, dass sich die Panels um die Schwärze aufbauen, also das Gefühl vermitteln, dass die Bilder aus der Dunkelheit heraus entstehen. Gleichzeitig geben sie der Geschichte auch eine düstere Note, obwohl der Ton weiterhin lustig und albern ist. Gerade weil aber die Qualität der Zeichnungen so sehr steigt, sehen die ersten Strips von 2009 aus heutiger Sicht bei weitem nicht so gut aus wie die jüngeren. Aber das ist bei einer so langen Serie zu erwarten. Ab dem vierten Band wird Burrini übrigens von ihrer Kollegin Ines Korth unterstützt, die bei der Kolorierung des Comics half. Die meisten Strips funktionieren auch im Print, aber einigen sieht man an, dass sie fürs Internet gemacht wurden. So zum Beispiel ein Strip über die Zeichnercommunity in Portland, der als „infinite canvas“ zum Runterscrollen gestaltet ist, oder eine kleine Animation, die natürlich nur auf dem Bildschirm funktioniert. Für Letzteres wurden im Kickstarter-Band zumindest Links zur Verfügung gestellt, die man einscannen kann.
Im Abschlussband „Das Internet schlägt zurück“ ist außerdem noch ein letzter Abschiedsstrip hinzugefügt worden, der mit einem Twist endet, der berührend und verwirrend zugleich ist. Ich habe viele Fragen, vor allem ob das so geplant war. Der Strip ist aber schön und mit Herz erzählt, so wie eigentlich alle Geschichten im Ponyhof. Er zeigt erneut, dass Realitätsflucht etwas Schönes und Heilsames sein kann, aber auch, dass sich jeder am Ende der Realität stellen muss.
Der erste gedruckte Sammelband erschien 2011 bei Zwerchfell und später noch einmal bei Panini, wo auch die Bände 2 und 3 veröffentlicht wurden. Teil 4 ging zuerst an die Crowdfunding-Unterstützer*innen, ist voraussichtlich ab Oktober im Handel erhältlich und lässt sich bereits im Kwimbi-Shop vorbestellen. Bis auf den Abschiedsstrip sind alle Comics auch weiterhin auf Sarahs Website verfügbar.
Eine unterhaltsame Realitätsflucht, die endlich vollständig vorliegt und auch 11 Jahre nach dem Start noch Spaß macht.
Text und Zeichnungen: Sarah Burrini
Bände 1-3: je 96 Seiten, Farbe, Hardcover
Panini Comics, 2014- 2016
Preis: je 12,99 Euro
Band 4: Das Internet schlägt zurück
Farbe, Hardcover, 144 Seiten
Edition Kwimbi, 2020
ISBN: 9783947698141
Preis: 18.- Euro
Disclosure/Offenlegung: Teile der Comicgate-Redaktion sind mit Sarah Burrini persönlich bekannt oder befreundet.
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