Asterix kämpft gegen gesunde Ernährung und Achtsamkeit und für vergammelte Fische und Massenschlägereien. Kein Witz.
Die römische Armee hat ein Motivationsproblem, und das sattsam bekannte Patt mit dem kleinen gallischen Dorf verschlingt Ressourcen. Also lässt sich der oberste römische Militärarzt Visusversus nach Babaorum versetzen, um mit den gleichen Methoden von Fleischverzicht und ganzheitlichem Denken und Fühlen a) die römischen Soldaten zu motivieren und b) die Gallier mental zu schwächen (denn Cäsar hatte schon mal bessere Taktiker an Bord – und Asterix bessere Texter).
Das Wellness-Coaching von Visusversus (er nennt sein Programm „Weiße Iris“) führt bald dazu, dass die Römer freundlich und höflich werden, die Gallier dagegen nett, empathisch und produktiv. Selbst Fischhändler Verleihnix geht jeden Morgen Angeln, anstatt seinen Mitmenschen halbverdorbene Ware um die Ohren zu hauen.
Das sind natürlich kniffelige Probleme (und nahe am Leben sind sie noch dazu). Selbst ein Konzert von Troubadix führt nicht zu der von Asterix erhofften Massenschlägerei, also beschwört der seine Freunde, sie sollten saufen und raufen und ganze Kerle sein, anstatt zu verweichlichen, und haut den furchtbar verständnisvollen Verleihnix ohne Vorwarnung aus den Schuhen (als ganzer Mann macht er so etwas heutzutage häufiger). Dann gibt er noch Visusversus freche Widerworte, und der zeigt sein erschreckendes wahres Gesicht: Er verzieht sich schmollend.
Die Geschichte ist vorbei, doch wir sind erst auf Seite 22. Darum will Visusversus nun die Gallierin Gutemine Cäsar als seine Eroberung präsentieren, was ihm Anerkennung zu garantieren scheint. Also umgarnt der gemeine Guru die Häuptlingsfrau (so ähnlich wie einst der „Seher“, nur nicht so plausibel und lustig) und lockt sie nach Lutetia, wo sie das feine Großstadtleben genießt (so ähnlich wie in den „Lorbeeren“, nur nicht so lustig – und nicht so plausibel), während ihr unglücklicher Mann Majestix, von Asterix und Obelix begleitet, ihr durch Gallien hinterherreist (beinahe so wie im „Avernerschild“, nur mit weniger Plausibilität und Lustigkeit). Und am Ende gibt es Prügeleien (ja, auch mit Fischen) und danach Wildschweinbraten. Gute Güte.
Das Problem an Ernährungshype, Psychotalk und Sinnsprüchen ist, dass sie optimal funktionieren und zu Liebe, Frieden und Entfaltung führen? Und wir sollen bang mitfiebern, dass der Belagerungskrieg zwischen Römern und Gallien (der in der Sekundärliteratur als Bewältigungsversuch von Gedanken über den Holocaust gehandelt wird) auch ordentlich aggressiv bleibt? Auf welcher bewusstseinserweiternden Diät hat der neue Texter Fabcaro dieses Szenario geschrieben? Und wieso lobt das sonst gerne überkorrekte deutsche Feuilleton ausgerechnet diese wirre Wutbürgerpolemik in knuffiger Verpackung?
Zunächst zu den Zeichnungen: Didier Conrad hat schon mehr als häufig genug bewiesen, dass er große und wilde Comicseiten gestalten kann. In seinen vorangegangenen Asterix-Bänden hat er sich zudem als Meister der fantastisch angehauchten überreichen Abenteuerszenen präsentiert (und er hat das Dorf im Schnee gezeichnet)! Die über die sattsam bekannten (schneelosen) Dorfwege flanierenden und diskutierenden Gallier im vorliegenden Band sehen dagegen aus wie Uderzo-Zeichnungen nach einer Retusche. Das Grelle, Knubbelige und Dynamische, die Karikaturen und die expressiven Gesichtsausdrücke werden, genau wie die ausufernden Tableaus des späten Uderzo, durch eine gewisse ziellose Eleganz ersetzt. Die Bilder sind voll von Details, aber die sind meist rein illustrativ und haben wenig Auswirkungen auf Witz und emotionale Wirkung.
Grafische Höhepunkte sind sicher das nächtliche Konzert von Troubadix und die Straßen vor Lutetia, einfach, weil wir diese atmosphärischen Bilder noch nie genau so in einem vorangegangenen Album gesehen haben (nur sehr ähnliche). Ja, Conrad kann zeichnen, und wie, aber stand das je zur Debatte? Und war es wirklich eine gute Idee, die für die Serie früher typischen knalligen Farben (vor allem als einfarbiger Hintergrund für eskalierende Dialoge) nach und nach durch pastelligere Töne zu ersetzen (auch in den Nachdrucken, was die alten Comics deutlich anders wirken lässt)?
In den späten 1960ern, auf dem ersten Zenit seiner Popularität, war Asterix so etwas wie die Simpsons in den 1990ern (für Jüngere: so etwas wie alle halbwegs satirischen aktuellen Memes auf einmal, aus einer Hand und mit Handlung). Szenarist und Texter Goscinny war als Chefredakteur des kritischen Comicmagazins Pilote täglich in die tobenden Kulturkämpfe verwickelt und bekam hautnah die weltanschaulichen Trends von Paris mit. Wie wir aus den Erinnerungen an die heftigen Diskussionen in und um Pilote und aus den (zum Teil sicher problematischen) satirischen Isnogud-One-Pagern wissen, scheute der für das Paris um ’68 konservative Goscinny kaum eine Auseinandersetzung und war sich auch für Sticheleien nicht zu schade.
Trotzdem fehlen in den Asterix-Abenteuern jener Zeit ausgebreitete Witze über Hippies, Esoterik, Ökologie, Feminismus und Psychologie. Es gibt kurze, eher freundliche Gags am Rande über moderne Kunst oder Basisdemokratie, es gibt Grautvornix und hier und da mal eine Sprechblase mit einem Seitenhieb. Das war’s. War sich Goscinny zu schade für das Aufspießen zeitgebundener Trends? Ganz und gar nicht, einer der besten Bände, „Die Trabantenstadt“, handelt von zeitgenössischer Stadtplanung (und, angeblich!, stecken in den Originaltexten haufenweise Anspielungen auf für uns hier und heute völlig unbekannte französische Besonderheiten).
Der diabolische Intrigant aus dem „Streit“ und der dämonische Hochstapler im „Seher“ sind vom Zeitgeist ins Überlebensgroße abgeleitete allgemeingültige Typen ohne direkte Anspielungen bspw. auf K-Gruppen und Meditationskurse. Umgekehrt hat der nun wirklich nicht als links geltende Goscinny mit „Obelix GmbH und Co. KG“ der Kapitalismuskritik einen ganzen, unbequemen Band gewidmet, und die französische Kollaboration im Zweiten Weltkrieg hat er zum fiesen running gag „Aleschia“ verjuxt. Warum also so wenig Witze über Vegetarismus und das Innere Kind, auch wenn die bereits zu seiner Zeit anstanden? Vielleicht, weil sie als Handlung nicht tragen und zum Feindbild erst einmal wenig taugen? Vielleicht, weil der von jungen Wilden als Reaktionär und Schlimmeres beschimpfte Goscinny eben doch unzweifelhaft ein Mensch der Moderne war und zumindest der von ihm geschriebene Asterix moderne Populärkultur, die alte Grenzen sprengte und Geschichte und Tradition ausdrücklich parodieren wollte (und ihr erst in zweiter Linie süßsauren Respekt zollte)?
Die deutschen Journalist*innen müssen wirklich fürchterlich unter dem Ernährungs- und Selbstfindungsgeplapper in ihren und unseren Kreisen leiden, wenn sie die bloße Thematisierung abfeiern, und sei sie noch so altbacken und beliebig, sobald sie in einem erlaubten Rahmen stattfindet.
Eine eigenartig berührende Szene zwischen Majestix und Gutemine deutet an, dass die Stärke dieses Teams jenseits aller Satireversuche vielleicht darin liegen könnte, den Galliern ein bisschen ernsthaftes Drama zu verpassen.
Die amüsantesten Witze in „Weiße Iris“ handeln u.a. von Andy Warhol und der Nouvelle Cuisine, mit einem schlappen halben Jahrhundert Verspätung, von Hochgeschwindigkeitszügen und Rollern, diesem futuristischen Teufelszeug, und sogar auch von Basquiat, obwohl der erst vor 35 Jahren angesagt war und damit etwas aus dem Rahmen fällt. Und kein einziger Gag über fleischloses Essen, gewaltlose Kommunikation oder positives Denken hätte nicht genau so bereits zu Goscinnys Zeiten formuliert werden können, auch wenn unsere Gegenwart sich wirklich größte Mühe gibt, gerade in diesen Diskursen immer bizarrer zu werden.
Was Uderzo nicht geschafft hat, trotz „Maestria“ und „Gallien in Gefahr“, gelingt Fabcaro aus dem Stand: Asterix ist zu einem in jeder Hinsicht alten Comic geworden.
Asterix gegen positives Denken. Denken wir positiv: Die Zeichnungen sind hübsch und die Kritiken so gut wie seit Jahrzehnten nicht.
Egmont/Ehapa Media, 2023
Text: Fabcaro
Zeichnungen: Didier Conrad
Farben: Thierry Mébarki
Übersetzung: Klaus Jöken
Textbearbeitung: Fabian Gross, Markus Iking, Wolf Stegmaier, Annica Strehlow
48 Seiten, Farbe, Softcover und Hardcover
Preis: 7,99 Euro Softcover, 13,50 Euro Hardcover
ISBN: 978-3-7704-2440-5 (Hardcover)