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Androiden 11 & 12 – Marlowe

Das Strukturprinzip der Androiden-Serie ist einfach: Jedes der bislang bei Splitter veröffentlichten Alben enthält eine abgeschlossene Geschichte mit eigener Storyworld rund um das weitläufige Thema „Künstliche Intelligenz“. Band 11 und 12 brechen mit dem Prinzip.

Alle Abbildungen © Splitter Verlag

Nachdem die Soldatin Marlowe vor längerer Zeit freigestellt wurde, um mit den Konsequenzen einer militärischen Entscheidung leben zu lernen, die strategisch richtig, moralisch aber fraglich war, reist sie in einer unbestimmten Zukunft (es scheint das späte 21. Jh. zu sein) nach Griechenland, das inzwischen zu einer abgeschotteten Heimstatt für Geflüchtete aller Länder geworden ist. In dieser Zone soll sie einen Auftrag erfüllen: Sie soll den verschwundenen Soldaten Lieutenant Raskova finden und einen in der Zone vermissten Androiden deaktivieren. Soweit so gut, aber wer traut schon solchen finster dreinblickenden Alphakerlen mit militärischem Schnickschnack an der Brust.

Marlowe macht sich auf den Weg in diese verruchte und technologisch autarke Zone und lernt dort rasch Menschen kennen, denen sie vertraut. Sie durchquert die gefährlichen Kristallwälder, deren Durchquerung halluzinogene Wirkung auf Organismen hervorruft, und trifft auf internetsüchtige Cybermönche, hilfsbereite Cyborgs im Armenviertel und ruchlose Drogenhändler mit eindrucksvollen Beschreibungen ihrer Tötungspraktiken. Am Ende des zweiten Bandes wird sie sowohl Raskova als auch den vermissten Androiden finden, aber natürlich entdeckt sie noch viel mehr, aber diesen Twist muss jede*r Leser*in selbst erleben.

Der Kristallwald ist zum einen wunderschön anzusehen, zum anderen aber auch voller Gefahren. Wer genau hinsieht, wird den Androidenkörper im Baum auf der linken Seite baumeln sehen (Androiden 12 – Marlowe 2).

Jean-Pierre Pécau (Tag X, Wonderball) ist wenig subtil darin, den Leser*innen allgemeine Information über diese Welt zu vermitteln. Ein Vorgesetzter erklärt der nichtsahnenden Marlowe einfach alles, was wir wissen müssen – und während wir staunen, dass Marlowe erstaunlicherweise nicht einmal über grundlegendes Wissen über ihr Einsatzgebiet verfügt („In letzter Zeit erinnere ich mich an kaum etwas.“), wird uns das Setting nahegebracht. Das ist etwa, als würde man einem europäischen Diplomaten vor einem Termin noch einmal mitteilen, dass Russland derzeit einen Krieg gegen die Ukraine führe. Wenig plausibel, aber immerhin effizient.

Kein geschicktes Worldbuilding: Im Oberlehrermodus erklärt Colonel Raps die Welt – er spricht zwar mit Marlowe, aber die Informationen sind offensichtlich eher für die Leser*innen notwendig (Androiden 11 – Marlowe 1)

Solche logisch-fragwürdigen Szenen häufen sich im Laufe der Lektüre. Als Marlowe von misstrauischen Drogenhändlern gefangengenommen wird, wittern die „Narcos“ gleich, dass es sich bei Marlowe nicht um eine herumstreunernde Vigilantin handelt, sondern erahnen ihren militärischen Hintergrund. Warum aber gewährt einer der Drogenbarone ihr dann freimütig einen Rundgang über das Gelände und eine ausführliche Einweisung in ihre Technologie? Weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick erscheint das sinnvoll …

Die Narcos trauen ihrer Gefangenen zwar nicht über den Weg, verraten ihr aber trotzdem alles, was sie wissen möchte (Androiden 12 – Marlowe 2)

Unglücklich ist auch das Schwelgen in Abkürzungen: LRRP und IPK, GNE und FIS und FDA, die NGO und vor allem EADA. Was ganz verdächtig nach den Fantastischen Vier (nein, nicht nach den Comic-Held*innen) klingt, ist die Abkürzungssprache, die in dieser Welt gesprochen wird. Ob man sich die Bezeichnungen merkt oder nicht, ist aber auch gar nicht so wichtig.

Der Twist am Ende (der bei näherer Betrachtung auch nicht sonderlich überzeugt) führt zu der Frage, ob Menschen, die sich voll und ganz in Befehlsstrukturen aufgeben, letztlich nicht ihre Menschlichkeit einbüßen. Die Verhandlung solcher Fragen ist eine Stärke der Androiden-Serie, allerdings klappt das im vorliegenden Fall leider nicht. Grundsätzliche Fragen von Freiheit, Verantwortung, technologischer Abhängigkeit oder dem Wesen des Menschen werden nur ganz oberflächlich berührt und sind der Action deutlich untergeordnet.

Die Zeichnungen das französischen Zeichner Dim D begeistern auf Anhieb vor allem durch seine Fähigkeit, Licht und Schatten eindrucksvoll in Szene zu setzen. Dies ist ein Auszeichnungsmerkmal vieler seiner Fantasyarbeiten und historischen Umsetzungen (hier auf seiner Website zu sehen) – dieses Gestaltungselement prägt insbesondere die Eingangsszene des ersten „Marlowe“-Bandes.

Dim. D gelingen wundervolle Lichteffekte, und auch dunkle Szenen gestaltet er so kontrastreich, dass die Details nicht im tiefen Schwarz versinken (Androiden 11 – Marlowe 1)

Und eine Besonderheit am Rande: Mit Sprechblasen und dem Dorn, der die Sprechblase einer Figur zuordnet, ist es wie mit Schiedsrichtern im Sport: Sie funktionieren am besten, wenn sie nicht besonders auffallen. Bei „Marlowe“ hingegen springen einem die ungleichmäßigen und auffälligen Dornen direkt ins Auge – welcher Comic kann das schon von sich sagen.

Ich finde die Dornen krakelig und auffällig hässlich (Androiden 11 – Marlowe 1)

Die Künstler lassen den Comic auf der griechischen Halbinsel Peloponnes spielen und nehmen das zum Anlass für Rückgriffe auf die griechische Mythologie, wie es schon vorige Bände (s. „Glücklich wie Odysseus“) getan haben. In diesem Fall erstrecken sich die Zitate von wörtlichen Anspielungen auf die zwölf Aufgaben des Herakles bis hin zur visuellen Inszenierung griechischer Tempel. Wer nun aber glaubt, dass Marlowe nun auch zwölf ähnliche Aufgaben erfüllen müsse, liegt leider falsch, denn abgesehen von einem riesigen Wildschwein, das an den erymanthischen Eber erinnern mag, gibt es keine direkten (offensichtlichen) Entsprechungen. Und als der aufgefundene Android Marlowe den Rat erteilt, „nach Ithaka zurückzukehren und sich an den Freiern zu rächen“, ist das ein schiefer Vergleich, weil Odysseus nicht heimkehrt, um sich an den Freiern seiner Frau zu rächen, sondern um zu seiner Familie heimzukehren und seinen Königsthron wieder einzunehmen. Die Tötung der Freier ist, naja, Kollateralschaden. Wer sich für die Mythologie interessiert, ist mit Homers Odyssee (die Heimkehr nach Ithaka, 20. Gesang) oder den Comics der Reihe Mythen der Antike besser bedient.

Fazit: Bei manchen der sehr ansprechenden Bände der Androiden-Serie hätte man sich wünschen können, dass die Künstler*innen mehr Platz hätten, ihre Welt zu entfalten. Die Highlights der vielseitigen und mit diesem zwölften Band vorerst abgeschlossenen Serie sind die Alben von Peru und Geyser (Bd. 2: Glücklich wie Odysseus), Gaudin und Viska (Bd. 4: Kielkos Tränen) sowie Morvan und Bonetti (Bd. 7: Der letzte Engel). Es ist schade, dass der Schlusspunkt der schönen Serie damit nicht mithalten kann.

Schlusspunkt einer schönen Serie, aber kein Höhepunkt

5von10Androiden 11 & 12 – Marlowe (Kapitel 1 & 2)
Splitter Verlag, 2022 & 2023
Text und Zeichnungen: Jean-Pierre Pécau & Dim. D
Übersetzung: Swantje Baumgart
je 56 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: je 16,00 Euro
ISBN: 978-3-96792-230-1 bzw. 978-3-96792-231-8
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