Vor fast 50 Jahren wurde im französischen Original der erste Band von Adeles ungewöhnliche Abenteuer veröffentlicht. Seinen Ausgang nimmt die Reihe am Ende der Belle Époque. Es werden historische Ereignisse wie der berühmte Unfall vom Bahnhof Montparnasse eingewoben, die noch sehr gewöhnlich sind. Fliegende Dinosaurier und vitale Mumien hingegen bestätigen die Richtigkeit der Einstufung der Abenteuer als ungewöhnlich. Um kein Wort verlegen, gerät Autorin Adele von einem Abenteuer in das nächste. Nun scheint Tardi die Reihe mit dem elften Band zu beenden. Es ist ein Ende mit einem Augenzwinkern und bringt die Reihe nicht zwangsläufig zum finalen Abschluss.
Dass Tardi seinen Zyklus beendet hat, um die Geschichte nun weitergeben zu können, ist eine Möglichkeit. Bei dieser Lesart kommt es erheblich auf die persönliche Interpretation der letzten Seite an. Der elfte Band knüpft glatt an den Vorgängerband an. So hat dieses Abenteuer keine Geschichte im eigentlichen Sinne, sondern es ist eine lose Weitererzählung. Vielmehr flaniert Tardi mit diesem Band durch die vergangenen Abenteuer von Adele. Alte Figuren und Plätze bekommen ein Wiedersehen. Allein die Dichte an Verweisen auf die vorangegangenen Bände ist erstaunlich. Daher ist dieser Band sehr viel verständlicher, wenn einem die vorherigen Bände noch präsent sind. Die kürzlich erschienene Gesamtausgabe ebenfalls bei Schreiber und Leser veröffentlicht enthält im dritten Band auch das elfte Album und ist somit für alle, die erst jetzt Interesse an diesem Klassiker gefunden haben, eine dankbare Möglichkeit, sich die Reihe in einem zuzulegen. Neben dieser selbsterklärenden Referenz an Adeles frühere Abenteuer zitiert Tardi indirekt noch weitere seiner Werke wie Die Macht des Volkes oder Elender Krieg. Tardis urlinke Ansichten blitzen hier noch einmal deutlicher hervor als in den meisten seiner Werke ohnehin. Als Jean Zwardi gibt sich Jacques Tardi einen verklausulierten Cameoauftritt; die Namensähnlichkeit und die Sprachmelodie machen es wenigstens wahrscheinlich. Zwardi ist genauso für die Umstände des Geschehens in diesem Band verantwortlich wie Tardi für Adeles Abenteuer. Damit wird noch einmal deutlich, wie sehr sich dieser Band auf einer Metaebene lesen lässt.
Das sagt jedoch alles noch nicht besonders viel über diesen Comic an sich aus, nur über die Selbstreferenzialität. Der Stil bleibt auch im gesetzteren Alter so unverkennbar wie unnachahmlich. Wo Tardi seine Fußspuren hinterlassen hat, sind diese tief. So orientieren sich Moynots Nestor-Burma Adaptionen überdeutlich an denen von Tardis, ohne dessen zeichnerischen Ausdruck zu erreichen. Doch wer übertrifft schon beim Kopieren eines Meisters den Meister? In diesem Band von Adele allerdings kann Tardi zeichnerisch nicht gänzlich an die Qualität seiner früheren Werke anknüpfen. Die Liebe zu den vielen Details kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Strich gröber und unkonzentrierter geworden ist. Erstmals ist es so, als würde Tardi die Unbedingtheit und Perfektion fehlen, die seinen Stil immer ausgezeichnet haben. Er verliert seinen Wiedererkennungswert nicht, doch vielen Panels scheint er nicht mehr die gleiche Mühe zu widmen wie einstmals.
Dafür ist der spielerisch leichte Humor, der die Reihe immer ausgezeichnet hat, weiter präsent. So umreißt ein Polizist im Flug jovial die drohende Strafe für ein zweibeiniges Rind, das ihn gerade über einen Zaun geworfen hat. Das ist zu eigenwillig, um den kuriosen Humor verneinen zu können. Der Humor in der Reihe erwies sich ohnehin nie als grell. Er führt eher zu einem langanhaltenden Schmunzeln statt eines kurzen heftigen Lachens. Das entspricht dem seriösen Erzählstil. In dem wird sich über das Geschehen und die Figuren nicht unbedingt lustig gemacht, aber das Wissen um die Absurdität des Erzählten gehört zum Bewusstsein von Adele selbst. Dieses Ineinandergreifen macht die Reihe in weiten Teilen aus. In dieser Hinsicht ist dieser Band homogen zu den vorherigen zehn Bänden. Problematischer hingegen ist sich zu erschließen, was erzählt wird. Als Autor hat es Tardi nicht allzu oft geschafft zu glänzen. Nachdem Adeles Abenteuer bereits im vierten Band wie beendet erschienen, brauchte Tardi mehrere Alben, um die Reihe qualitativ wieder auf Kurs zu bringen. Schon Der Dämon aus dem Eis von 1974 war vor allem ein zeichnerisches Glanzstück und kein erzählerisches. Seine stärksten Arbeiten sind meistens an starke Autoren gekoppelt, wobei Tardi ein exzellentes Gespür dafür hat, mit welchen Autoren er bleibende Werke schaffen kann. Das Erzählen einer Geschichte tritt hier deutlich zurück, da es mehr eine Rückschau als eine weitere Geschichte ist. Selbstreflexive Werke müssen einem grundsätzlich gefallen, um an diesem Band die gleiche Freude zu finden wie an einer herkömmlichen Geschichte oder anderen Werken Tardis. Killer stellen sich nicht vor, Die Brücke im Nebel oder Der Kakerlakenkiller sind für sich stehend zugänglicher als dieser Band.
Für sich genommen ist die Geschichte eine Enttäuschung, als Rundgang durch das Werk eines großen Comicschaffenden hingegen ist dieser Band fast wie ein Feuerwerk. Entscheidend für das Lesevergnügen und mit welchem Gefühl der Band nach der letzten Seite wieder abgelegt wird, ist wohl die eigene Erwartungshaltung.
Hinweis: Diese Geschichte ist neben dem hier besprochenen Einzelband auch in Adele Blanc-Sec Sammelband III bei Schreiber und Leser erhältlich.
Durchschweift die 47 Jahre der Reihe ohne Wehmut
Schreiber und Leser, 2023
Text und Zeichnungen: Jacques Tardi
Übersetzung: Martin Budde
64 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,80 Euro
ISBN: 978-3-96582-117-0
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