In 47 Ronin wird japanische Geschichte lebendig: 47 Samurai dienen ihrem Herrn auch nach dessen Tod mit größtmöglicher Treue.
Die Legende der 47 Ronin basiert auf einen Vorfall zur Zeit des Tokugawa-Shogunats der Edo-Periode. Im März 1701 wird der ‚Daimyo‘ (jap. für einen feudalen Fürsten, der über Land herrschte und Samurais als Berufskrieger anstellte) Asano Takumi Naganori an den Hof des Shoguns berufen, um dort vorbestimmten Pflichten nachzugehen. Ihm wird ein Lehrer, der Zeremonienmeister Kira, zugewiesen, der für seinen Unterricht Bestechungsgelder von seinen Schützlingen verlangt. Asano lehnt ab, und so entsteht zwischen beiden eine tiefe Feindschaft, die mit einem Angriff Asanos auf Kira endet.
Durch eine der Intrige des mit Kira verwandten Clans Uyésugis wird alle Schuld auf Asano geschoben, dessen Familie aufgelöst wird und der selbst ehrenhaften Selbstmord begehen muss. Asanos treuster Samurai, Oishi Yoshio, schwört jedoch Rache und plant, zusammen mit 46 weiteren Ronin (d.h. herrenlosen Samurais), durch die Ermordung Kiras die Ehre des Hauses wiederherzustellen.
Obwohl die Erzählung auf realen Tatsachen basiert, hat sie längst die Züge einer Legende angenommen. Dem Autor Mike Richardson zufolge waren viele Leute, darunter der amtierende Shogun, von der Loyalität der Ronin so bewegt, dass ihnen ritueller Selbstmord gestattet wurde, um ihre Ehre zu behalten. Diese Mischung aus gnadenloser Verachtung für den eigenen Tod und bedingungsloser Ergebenheit muss einen Nerv getroffen haben, da die Geschichte mehrere Opern und Filme nach sich zog. Als Richardson 2012 das erste von fünf Heften bei Dark Horse veröffentlichte, konnte er auf viele Bearbeitungen zurückgreifen und diesen seine eigene Interpretation hinzufügen. Historische Beratung erhielt er vom Manga-Autor Kazuo Koike (Lone Wolf and Cub), die Zeichnungen übernahm Stan Sakai (Usagi Yojimbo).
Der Comic hält sich an die historischen Fakten und erzählt seine Geschichte geradlinig. Die Figuren bleiben Archetypen: Oishi ist ein ehrenhafter und treuer Samurai, Kira ein hinterhältiger Feigling mit fiesem Ziegenbart. Die Macher lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sich die Ronin im Recht befinden, allerdings unterschlagen sie auch nicht die Brutalität, mit der sie am Ende vorgehen. Die Ronin töten zwar keine Zivilisten, scheuen sich aber auch nicht, Fliehende in den Rücken zu schießen oder einem Feind den Kopf abzuschlagen, wenn es dem Ziel ihrer Sache dient.
Indem sich Richardson und Sakai sehr dicht an diesen Ehrbegriff halten, gewinnt 47 Ronin an Tiefe, denn so zeigen sie die Werte dieser Kriegerkaste auf, eine Kultur der Todesverachtung, in der das einzelne Leben nichts wert und alles einem größeren Ideal untergeordnet ist. Über Leichen zu gehen, ist völlig in Ordnung, und den eigenen Tod kann man in Kauf nehmen, wenn dadurch die Ehre des Herrscherhauses gewahrt wird.
Denn auch wenn die Ronin Selbstjustiz betreiben, haben sie die höhere Ordnung vollzogen und ergeben sich den Autoritäten. Ihr Akt der Gewalt ist also keine Kritik an der Regierung, die nicht in Frage gestellt wird, sondern Teil derselben Kultur der Gewalt.
Indem der Comic diese Ideen nicht infrage stellt, zeigt er das Bild einer strikten und brutalen Feudalgesellschaft auf, in der letztendlich demjenigen Recht gegeben wird, der bereit ist, Gewalt auszuüben und sie auch aktiv zu vollstrecken.
Die cartoonhaften Zeichnungen von Stan Sakai lenken von der Brutalität der Geschichte nicht ab. Zwar sind seine Charaktere alle abstrakt und überzeichnet, aber die Kleidung und Architektur wurde so korrekt wie möglich nachempfunden. Wenn es dann zum Kampf kommt, verdeutlichen die überzeichneten Figuren die Brutalität der Gewalt sogar noch mehr, als es ein realistischerer Stil vielleicht möglich gemacht hätte.
Mein einziger wirklicher Kritikpunkt ist eine Gedankenblase Kiras, die noch einmal unnötig verdeutlicht, was für ein Wiesel er doch ist. Nachdem er einen teuren Leibwächter anheuerte, fügt er in Gedanken überdeutlich hinzu, dass es das Geld des Schwiegervaters seines Sohnes ist, das da ausgegeben wird. Das ist nur redundant, denn Kira zeigt an genug anderen Stellen, wie hinterhältig er ist, wenn er zum Beispiel nach dem am Boden knienden Asano tritt oder Spitzel kümmerlich bezahlt. Es stört die Harmonie zwischen Text und Bildern, wo es die Macher ansonsten verstehen, die Geschichte auch mit stillen Panels oder mehrdeutigen Dialogzeilen zu erzählen, die nicht offen alles aussprechen.
Die deutsche Hardcoverausgabe enthält alle Boni des englischen Originals, unter anderem ein Interview mit Stan Sakai und einen Artikel über den Künstler Ogata Gekko, dessen Bilder als Inspiration für die Adaption dienten. Das Format der deutschen Ausgabe ist größer und bringt die Bilder mehr zur Geltung. Die Übersetzung ist ebenfalls gelungen, auch wenn manche Sachen nicht ganz so elegant übersetzt wurden, wie ich es mir gewünscht hätte. Trotzdem ist sie eine wunderschöne Ausgabe, die auch weitaus besser gebunden ist als das amerikanische Original.
Ausgezeichnete Ausgabe einer sehr guten Adaption
Dantes Verlag, 2020
Text und Zeichnungen: Mike Richardson und Stan Sakai
Übersetzung: Jens R. Nielsen
152 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3946952688
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