Von Donnerstag, 31. Mai, bis Sonntag, 3. Juni 2018 findet zum 18. Mal der Internationale Comic-Salon Erlangen statt. Wie bereits 2012 und 2016 hat sich Festivalleiter Bodo Birk den Fragen von Comicgate-Autor Marc-Oliver Frisch gestellt. Thema des Gesprächs waren unter anderem die Jury des Max-und-Moritz-Preises, die Konkurrenz durch die in den letzten Jahren entstandenen Comic-Cons im deutschsprachigen Raum und die Komplikationen, die sich 2018 aus der Sperrung der Erlanger Kongresshalle ergeben.
MARC-OLIVER FRISCH: Dass der Comic-Salon 2018 in Zelthallen stattfindet, hat bei den Ausstellern teilweise zu Sorgen über die räumliche Aufteilung geführt: Kleinere Aussteller befürchten Einbußen, wenn sie abseits der Großverlage platziert werden. Wie gehen Sie damit um?
BODO BIRK: Wir nehmen diese Sorge natürlich ernst. Es ist in diesem Jahr aber leider nun einmal so, dass wir ohne Kongresszentrum auskommen müssen. Und einen Platz in der Innenstadt, der groß genug wäre, die gesamte Messe in einer Zelthalle unterzubringen, gibt es in Erlangen leider nicht. Aber selbst innerhalb des Kongresszentrums wurde ja immer wieder von besseren und schlechteren Bereichen gesprochen. Eigentlich unglaublich bei der Übersichtlichkeit des Geländes. Oberste Priorität hatte es für uns in diesem Jahr, dass die Messezelthallen in der Innenstadt und nicht auf einem Festplatz-Gelände oder einem Großparkplatz außerhalb stehen, weil wir davon überzeugt sind, dass die fußläufigen Entfernungen in der Stadt den Reiz des Festivals ausmachen. Es wäre für uns organisatorisch und für die Stadt finanziell viel einfacher gewesen, die Innenstadt zu verlassen.
Nun sind es also drei Messezelthallen geworden, eine große auf dem Schlossplatz, zwei kleinere auf dem Hugenottenplatz und im Schlossgarten. Die Zelte sind jeweils nur zwei Minuten voneinander entfernt und man hat Sichtkontakt. Im großen Zelt auf dem Schlossplatz (Halle A) mussten wir aus logistischen Gründen die großen Verlage unterbringen. Insgesamt ist hier aber eine Mischung aus Publikumsverlagen und kleineren Ausstellern untergebracht, genauso wie im kleineren aber auf dem Hugenottenplatz fast noch zentraler liegenden Zelt (Halle B). Im Schloss-Foyer und im Schlossgarten-Zelt (Halle C), das man nicht mit Fahrzeugen beliefern kann, haben wir die Hochschulen, die Einzelkünstler und Selbstverleger und die Comic Solidarity untergebracht. Ich bin sicher, dass sich dieses Zelt auch großer Beliebtheit erfreuen wird. Zum einen, weil die Hochschulstände immer sehr attraktiv sind, zum anderen weil die Location mitten im Garten natürlich einzigartig ist. Außerdem wird dieses Zelt eine Bühne haben, die von der Comic Solidarity bespielt wird. So hat jede der drei Messezelthallen ihren eigenen Reiz. Wir haben uns immer wieder intensiv darüber Gedanken gemacht, wie es am besten für alle werden kann. Und die Stadt stellt wirklich eine richtig hohe Summe zur Verfügung, um das in diesem Jahr alles möglich zu machen. Ob unsere Planungen aufgehen, werden wir dann in vier Wochen sehen …
FRISCH: Wie verhält sich die Zahl der Aussteller im Vergleich zum Vorjahr? Mussten Sie aus Platzgründen reduzieren? Gab es von Seiten der Aussteller weniger Anmeldungen?
BIRK: Insgesamt werden in diesem Jahr mit rund 200 Ausstellern sogar ein paar mehr vertreten sein als beim letzten Salon. Allerdings sind die Zahlen differenziert zu betrachten: Die Zahl der klassischen Messeaussteller ist etwas zurückgegangen, wir sprechen da von etwa zehn Ausstellern weniger. Ein paar Aussteller gibt es einfach nicht mehr, einige Verlage – wie beispielsweise Tokyopop – befinden sich in einer Phase der Neu-Orientierung. Aufgrund unserer begrenzten räumlichen Möglichkeiten haben wir in diesem Jahr auch etwas weniger intensiv nachakquiriert. Wir sind schließlich zu 100 Prozent ausgelastet. Allerdings im Bereich Manga sind wir in diesem Jahr nicht so gut aufgestellt, wie wir uns das eigentlich wünschen. Da werden wir in zwei Jahren wieder verstärkt nachhaken. Der Bereich der Kleinaussteller, also die im vergangenen Jahr neu eingeführten Tische für Einzelkünstler und Kleinstverlage, ist dafür spürbar gewachsen. Da haben wir in diesem Jahr 85 Aussteller angenommen, vor zwei Jahren waren es nur etwas über 50. Und hier sind auch einige Aussteller aus der Independent-Manga-Szene dabei. Zwei oder drei kleinere Verlage haben sich dafür entschieden, ihren klassischen Messestand gegen einen Kleinaussteller-Tisch zu tauschen. Zusammenfassend: Wir haben aus Kapazitätsgründen in diesem Jahr also etwas weniger hartnäckig akquiriert und sind auch nicht unglücklich darüber, dass der eine oder andere Stand etwas kleiner ausfällt. Einen Trend kann man daraus aber beim besten – oder schlechtesten – Willen nicht ableiten.
FRISCH: In den letzten Jahren gab es immer eine Reihe arrivierter internationaler Gäste aus verschiedenen Bereichen des Comics, 2018 sticht Jeff Lemire als bei weitem prominentester Name heraus. Wurden keine anderen internationalen Gäste mit ähnlichem Renommee eingeladen, oder wollten die nicht kommen?
BIRK: Nun ja, Jeff Lemire, Marc-Antoine Mathieu, Charles Berberian, Jean-Claude Mézières, Miguelanxo Prado, Riad Sattouf, Yoann, Manuele Fior, Enrico Marini, Jesus Merino, Mike Perkins … die letzten drei von Panini angekündigt, aber noch nicht auf unsere Website eingetragen … von allen deutschsprachigen Stars einmal abgesehen, gar keine so schlechte Liste. Aber grundsätzlich funktioniert das beim Internationalen Comic-Salon ja sowieso eher wie bei den Buchmessen als bei anderen Comic-Festivals: Wir laden keine Künstler ein, sondern die Verlage. Einzige Ausnahme: wenn wir Ausstellungen machen mit Künstlerinnen oder Künstlern, die nicht ohnehin von einem Verlag eingeladen wurden, oder beim Max-und-Moritz-Lebenswerk-Preis.
Von den Verlagen wissen wir aber, dass es in den letzten zehn Jahren nicht leichter geworden ist, internationale Stars nach Deutschland einzuladen. Die Reisefreudigkeit der prominenten Künstlerinnen und Künstler ist nicht mehr so groß. Man teilt sich seine Zeit ein, räumt seinem eigentlichen Beruf und seinen Deadlines größere Priorität ein, hat teilweise Familie usw. Viele Künstlerinnen und Künstler finden es nicht mehr so reizvoll wie früher, jedes zweite Wochenende unterwegs zu sein. Dazu kommt, dass der deutsche Markt für die internationalen Stars bekanntlich nicht unbedingt der lukrativste ist. Und natürlich haben wir in Erlangen auch einen Standortnachteil. Für internationale Stars wäre eine Reise nach Berlin, oder auch nach München mit Besuch von Schloss Neuschwanstein und Hofbräuhaus dann doch etwas attraktiver als das unspektakuläre Mittelfranken. Die Schauer, die einem beim Besuch der Überreste der Nazivergangenheit Nürnbergs über den Rücken laufen, sind auch nicht für jeden etwas …
Umso erfreulicher, dass für alle deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstler Erlangen einen so guten Ruf besitzt, dass sie beinahe vollzählig kommen. Das war auch nicht immer so und ist uns fast noch wichtiger als internationales Namedropping.
FRISCH: Was japanische Comics in Erlangen angeht, herrscht seit Jahren Konstanz: Auf Nachfrage erklären der Salon und die Verlage ihren Willen, künftig stärker zusammenarbeiten und in dieser Richtung aktiver werden zu wollen, feststellbare Ergebnisse bleiben dann aber aus. Müssen wir uns realistischerweise von der Hoffnung verabschieden, dass Erlangen auch für das Manga-Publikum eine größere Bedeutung einnehmen könnte?
BIRK: Die Analyse ist vollkommen richtig. Auch in diesem Jahr ist Manga eine Schwachstelle unseres Programms. Auch wenn die Verlagsvertreterinnen und -vertreter am Ende eines Salons immer in Aussicht stellen, mit uns gemeinsam die Bemühungen in diese Richtung verstärken zu wollen, ist es im Vorfeld des nächsten Salons dann doch so, dass wir erklärt bekommen, es gäbe ausreichend andere Manga-Events und man sieht Erlangen eher als Veranstaltung für klassische Comics und Graphic Novels. Und das kann ich durchaus nachvollziehen. In diesem
Jahr haben wir tatsächlich so viele andere Probleme zu lösen – Stichwort Sanierung Kongresszentrum – dass wir unsere Manga-Bemühungen nicht in den Mittelpunkt gestellt haben. Auch wenn uns bewusst ist, dass wir in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht wahnsinnig an Bedeutung für das Manga-Publikum zulegen werden, werden wir unsere Anstrengungen, den einen oder anderen großen Japaner nach Erlangen zu holen, in den nächsten Jahren wieder forcieren. Ganz vergessen will ich aber nicht, dass ich mich auf die Ausstellung von David Füleki bei Ultra Comix sehr freue und dass wir gemeinsam mit unserer Beraterin Martina Peters ein paar interessante Veranstaltungen im Podiums-Programm zusammengestellt haben.
FRISCH: Vor zwei Jahren erlebte mein Comicgate-Kollege Björn Wederhake statt einer angekündigten Runde über deutsche Abenteuercomics eine, wie er damals schrieb, „Pseudo-Werbeveranstaltung“ eines einzelnen Verlags, bei der zunächst 20 Minuten lang Reklameclips abgespielt wurden. Ist das im Sinne des Salons, und wird es so etwas dieses Jahr wieder geben?
BIRK: Erst einmal grundsätzlich: Nein, das ist so nicht im Sinne des Salons gewesen. Die Beantwortung ist aber etwas komplizierter. Als Kulturveranstalter sind wir es gewohnt, unsere Programme selbst zu kuratieren, unabhängig von wirtschaftlichen Interessen, Wünschen von Verlagen, Agenturen usw. Deshalb haben wir früher Vorschläge von Verlagen, die ausschließlich eigene Programminteressen verfolgt haben, immer abgelehnt. Das wurde uns allerdings als arrogant und unnahbar ausgelegt. Und es ist auch legitim von den Verlagen, die für ihre Stände in Erlangen ja eine Menge Geld ausgeben, sich mit Künstlereinladungen engagieren usw., von uns zu erwarten, dass sie in Erlangen auch eine Präsentationsplattform erhalten. Auf Messen ist das ja sonst auch absolut üblich.
Deshalb haben wir uns schon vor einigen Jahren dafür entschieden, neben den Ausstellungen, die wir selbst programmieren, mit dem Zusatz „XY präsentiert“ auch Ausstellungen in unser Programm aufzunehmen, die von Verlagen beigesteuert werden. Wir mischen uns da dann inhaltlich nicht ein, stellen aber Räume zur Verfügung, bereiten diese für die Ausstellung vor, unterstützen personell und infrastrukturell und kommunizieren diese Ausstellungen mit unserem Programm. Analog dazu haben wir seit ein paar Jahren ebenfalls begonnen, nicht alle Präsentationswünsche der Verlage für das Podiums-Programm abzulehnen, sondern auch hier eine Plattform zu bieten. Es wird also auch in diesem Jahr Verlagsveranstaltungen geben. Wir werden uns aber bemühen, diese deutlicher zu kennzeichnen, damit es nicht zu Missverständnissen wie offenbar vor zwei Jahren kommt.
FRISCH: In den vergangenen Jahren sind im deutschsprachigen Raum eine ganze Reihe von Comicmessen nach amerikanischem Vorbild entstanden. Spüren Sie dadurch in Erlangen mehr Konkurrenzdruck, was internationale Gäste, Ansprüche von Verlagen und Ausstellern oder auch terminliche Erwägungen anbelangt?
BIRK: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht so richtig, inwieweit sich die Gründung der ganzen neuen Comic-Cons auf uns und den Internationalen Comic-Salon Erlangen auswirken wird. Erst einmal würde ich sagen, handelt es sich um unterschiedliche Veranstaltungsformate mit sich unterscheidenden Zielgruppen. Aber Schnittmengen wird es natürlich geben. Und wir wollen uns in Erlangen ja nicht auf ein Hochkultur-Publikum konzentrieren, wie das beispielsweise das Fumetto in Luzern hervorragend macht, sondern breite Zielgruppen ansprechen. Hinsichtlich eines weniger kunst- und ausstellungsaffinen Publikums konkurrieren wir dann wahrscheinlich doch mit den Cons. Tatsache ist auch, dass die Verlage nur begrenzte Budgets für Messeauftritte haben. Die Cons sind, was ich so höre, sehr professionell organisiert und gut besucht. Natürlich müssen wir uns da anstrengen, Schritt zu halten. Nicht zuletzt deshalb unternehmen wir ja in diesem Jahr allergrößte Anstrengungen, auch in den Zelthallen professionelle Messebedingungen herzustellen. Grundsätzlich infrage gestellt sehen wir den Internationalen Comic-Salon Erlangen durch die Comic-Cons aber nicht. Als Kulturamt einer Stadt haben wir bei allem, was wir machen, so etwas wie einen Bildungsauftrag. Und daher unterscheiden sich die Programme des Erlanger Salons und die der Comic-Cons am Ende doch deutlich. Das muss auch so sein, schließlich geben wir – im Gegensatz zu den Cons – Steuergelder aus. Und nicht zu knapp …
FRISCH: Vor vier Jahren gab es eine Podiumsdiskussion über Comic-Kritik, die – so schien mir als Teilnehmer – auch beim Publikum auf reges Interesse stieß. Auch 2016 war der Diskussionsbedarf über Berichterstattung und Kritik auf dem Salon spürbar, es gab aber keine Veranstaltung dazu. Werden Sie wieder an das Thema anknüpfen?
BIRK: Ich finde auch, dass das ein wichtiges Thema ist. Und die wichtigen Themen bleiben über Jahre bestehen. Trotzdem können wir natürlich nicht jedes Mal die gleichen Themen bearbeiten, auch wenn sie nachhaltig interessant sind. Diesmal haben wir keine Veranstaltung über Comic-Kritik geplant. Dafür gibt es mehrere Veranstaltungen zum Themenkomplex Comic-Journalismus. Aber wir können uns das gerne für das nächste Mal wieder vornehmen.
FRISCH: Beim Max-und-Moritz-Preis hat sich in den letzten Jahren einiges getan: Die Jury ist etwas jünger und etwas weiblicher geworden, die von ihr nominierten Titel wurden stilistisch und inhaltlich etwas vielfältiger. Dennoch fällt auf, dass in Deutschland eine recht homogene und miteinander gut bekannte Gruppe besonders oft im Zusammenhang mit Comic-Jurys auftritt: Christian Gasser, Andreas Knigge, Lars von Törne, Brigitte Helbling und Andreas Platthaus – oder auch Sie selbst – üben seit vielen Jahren in vielen Positionen einen beträchtlichen Einfluss auf Preisvergabe und Themenschwerpunkte aus. Kann das auf Dauer gut sein für den deutschen Comic?
BIRK: Das sind natürlich schon ganz schön rhetorische Fragen, die Sie mir da stellen. Natürlich wäre es nicht gut, wenn eine kleine, homogene und miteinander gut bekannte Gruppe großen Einfluss auf Preisvergaben und Themensetzungen in der deutschen Comic-Landschaft insgesamt hätte. Ich bezweifele allerdings, dass das so ist. Sehen wir uns doch die Max-und-Moritz-Jury der letzten Jahre an: Andreas Platthaus hat sich schon länger daraus zurückgezogen, Brigitte Helbling hatte schon viele Jahre erheblich mehr mit Theater als mit Comics zu tun, als wir Sie in die Jury baten. Jetzt ist sie aber auch nicht mehr dabei. Von den heutigen Mitgliedern sind Andreas Knigge und Lars von Törne sicherlich öfter mal als Juroren unterwegs. Christian Gasser ist diesbezüglich sehr zurückhaltend, ich wüsste nicht, in welcher anderen Comic-Jury er derzeit noch tätig wäre, das gleiche gilt für Isabel Kreitz. Christine Vogt hat mit der Comic-Branche nur sehr punktuell durch ihre Ausstellungen (Anm. d. Red.: in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen) zu tun, und Katinka Kornacker ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei gewesen. Der Großteil der Jury hat sie bei der Jurysitzung zum ersten Mal kennengelernt. Überhaupt treffen sich die Juroren fast nur bei der Sitzung auf dem Salon. Nun ja, und meine Jury-Tätigkeiten konzentrieren sich ansonsten weitgehend auf den Theaterbereich. Mein Einfluss auf die deutsche Comic-Branche kann gar nicht gering genug eingeschätzt werden …
Ich freue mich, dass Sie die Bemühungen der Jury um eine inhaltliche und stilistische Vielfalt der Nominierungen wahrnehmen. Die diesjährige Jury bestand übrigens aus vier Männern und drei Frauen. Die Organisatorin des Max-und-Moritz-Preises ist Christine Auernheimer, eine weitere junge Frau. Das Geschlechterverhältnis in den Sitzungen ist also ausgeglichen und die Gefahr, dass der Max-und-Moritz-Preis – wie der Literaturnobelpreis – wegen Hinfälligkeit der Jury aussetzen muss, ist also noch nicht gegeben.
FRISCH: Nun ja. Andreas Platthaus war 2004 bis 2008 und 2012 in der Max-und-Moritz-Jury und ist seit 2014 Vorsitzender der Jury des jährlich mit 15.000 Euro dotierten Comicpreises der Leibinger-Stiftung. Brigitte Helbling war 2008 bis 2016 Jurorin des Max-und-Moritz-Preises und gehört seit 2016 der Jury der Leibinger-Stiftung an. Andreas Knigge war 1988 zum ersten Mal Max-und-Moritz-Juror und ist seit 2008 ständig dabei. Lars von Törne gehört seit 2014 sowohl der Max-und-Moritz- als auch der Leibinger-Jury an, vergibt seit 2017 als Juror die 35.000 Euro schweren Comicstipendien der Stadt Berlin mit und sitzt ganz nebenbei seit 2012 noch der „Comic des Jahres“-Jury des Tagesspiegel vor, dessen Comicsparte er betreut, und welcher bis 2014 wiederum auch Andreas Platthaus angehörte. Herrn Gassers Zurückhaltung hat ihn immerhin nicht davon abgehalten, seit 2010 der Max-und-Moritz-Jury anzugehören, und Sie selbst leiten dieses Gremium seit 2004. Bei aller Bescheidenheit denke ich schon, dass da ein bisschen was an Einflussmöglichkeiten und geschmacklicher Prägung zusammenkommt, finden Sie nicht? Wäre es denkbar, die Jurorentätigkeit in der Max-und-Moritz-Jury zeitlich zu begrenzen?
BIRK: Sie wollen mir also den idyllischen Büro-Sonntag verderben … Lieber Herr Frisch, Sie wollen ja eigentlich gar kein Interview, sondern ein Streitgespräch führen. Ihre Fragen sind in Fragen verpackte Meinungsäußerungen. Aber gut, ich bin dabei: Hinsichtlich der Zusammensetzung der Max-und-Moritz-Jury bestätigen Sie ja genau das, was ich in meiner letzten Antwort schon ausgeführt habe. Ja, Lars von Törne und Andreas Knigge wirken in mehreren Jurys mit, das habe ich ja selbst gesagt. Sie kennen sich aber halt auch super gut aus. Herr Platthaus aber war längst nicht mehr in der Max-und-Moritz-Jury, als er die von Ihnen angeführten Aufgaben übernommen hat, auch Brigitte Helbling gehört der Jury der Leibinger-Stiftung erst an, seitdem sie nicht mehr in der Erlanger Jury mitarbeitet. Und Christian Gasser werfen Sie ja ausschließlich vor, dass er schon fünf Mal in der Max-und-Moritz-Jury mitgewirkt hat. Zum Glück, kann ich da nur sagen, denn er ist ein sehr gewissenhaftes und kluges Jury-Mitglied mit wenig eigener Verstrickung in die Comic-Branche. Ich selbst habe die Jury übrigens noch nie geleitet, ich bin ein ganz normales Mitglied. Und dass der Veranstalter in der Jury vertreten ist, wird eigentlich erwartet. Nein, ich finde nicht, dass wir an der Art und Weise, wie die Max-und-Moritz-Jury gebildet wird, etwas ändern müssen. Wir können in den letzten Jahren auf eine gute Mischung aus Kontinuität und Erneuerung verweisen und die Ergebnisse der Jury-Arbeit erfreuen sich insgesamt durchaus positiver Anerkennung. Ich möchte den Juroren an dieser Stelle übrigens für ihre ehrenamtliche Arbeit sehr danken. Die Lektüre von rund 300 Neuerscheinungen artet durchaus in Arbeit aus, von den zwei Sitzungstagen in Erlangen ganz zu schweigen. Vielleicht sind Sie, lieber Herr Frisch, ja verärgert darüber, dass wir Sie noch nicht gefragt haben?
FRISCH: Ich arbeite ja selbst als Übersetzer im Comicbereich, daher glaube ich nicht, dass ich die notwendige Unabhängigkeit für eine Jury mitbrächte. Es fällt mir allerdings auf, dass unabhängige Kritik vergleichsweise selten vertreten ist in deutschen Comicjurys. Traut man den Kollegen einen geringeren Sachverstand zu als den Funktionären, Comic-Händlern und Redakteuren, die stattdessen berufen werden, oder gibt es andere Gründe, sie nicht zu fragen? Und wenn der Veranstalter dabei sein soll, gäbe es in Ihrem eigenen Team inzwischen doch sicher auch andere Personen mit Comic-Sachverstand, oder?
BIRK: Ich weiß, dass Sie Comics übersetzen. Aber ich würde Ihnen durchaus zutrauen, in einer Jury Eigeninteressen zurückstellen zu können. So wie ich das von anderen Juroren gewohnt bin, wenn sie mit einem zu diskutierenden Buch selbst irgendetwas zu tun haben. Jetzt lassen Sie uns doch nicht so am Max-und-Moritz-Preis festbeißen. Er ist uns ja auch sehr wichtig, aber überbewerten wollen wir ihn nicht. Um trotzdem Ihre Fragen zu beantworten: Nein, es spricht überhaupt nichts gegen comicaffine und kompetente Kritiker bzw. Kritikerinnen in der Jury, die selbst gar nichts mit der Szene zu tun haben, in keiner anderen Jury mitwirken, keine Veranstaltungen moderieren und keinen Verleger und keine Verlegerin duzen. Ich bin für Vorschläge jederzeit offen. Und wie ich meine Rolle als Abteilungsleiter im Erlanger Kulturamt ausfülle, das werden Sie dann doch mir überlassen müssen. Vielleicht nur so viel: Wir arbeiten hier auf Augenhöhe. Ich verstehe mich nicht nur in der Jury als Sprecher meines Teams. Die Kolleginnen und Kollegen haben im Bereich Comic, Buchstabenliteratur und Theater ein hohes Beurteilungsvermögen und wir sprechen hier auch darüber, welche eingereichten Comics die Kolleginnen und Kollegen wichtig finden.
FRISCH: Wenn ich etwa an meine Kolleginnen beim Tagesspiegel denke, zum Beispiel Marie Schröer, Oliver Ristau, Ute Friederich oder Barbara Buchholz, oder an Timur Vermes, der für Spiegel Online regelmäßig Comics rezensiert und selbst aus Nürnberg stammt und in Erlangen studiert hat, fallen mir inzwischen schon einige Namen von Kritikerinnen und Kritikern ein, die nicht übermäßig in der Szene verstrickt scheinen. Dass Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen in Erlangen da kompetent sind, überrascht mich keineswegs, wie gesagt. Haben Sie mal daran gedacht, Ihre eigene Jury-Tätigkeit innerhalb des Teams weiterzugeben, oder stand das nie zur Debatte?
BIRK: Vielen Dank für die Vorschläge! Alles zweifellos überaus respektable Kandidaten. Und: Ja, wir haben hier schon über vieles nachgedacht …
FRISCH: Das Nominierungsverfahren zum Max-und-Moritz-Publikumspreis, insbesondere dessen Koppelung an das Comicforum, das Forum des Panini-Verlags und das Animexx-Forum, wird auch 2018 wieder kritisiert. Zumindest in den beiden erstgenannten Foren dürften vor allem Männer gehobenen Erwachsenenalters unterwegs sein, und die relevanten Debatten über Comics und verwandte Themen finden inzwischen in Social Media statt. Glauben Sie, dass diese Foren noch repräsentativ sind für die deutsche Comic-Leserschaft?
BIRK: Nein, das glauben wir natürlich nicht. Auch uns ist bewusst, dass die Foren derzeit nicht das Zentrum des Diskurses sind. Wir hatten gehofft, dass wir mit den Vorschlagsrunden zum Max-und-Moritz-Publikumspreis zu einer gewissen Belebung beitragen können. Das hat nicht so richtig geklappt. Wahrscheinlich müssen wir uns da 2020 etwas Neues einfallen lassen. Die sozialen Netzwerke sind für so offene Vorschlagsrunden natürlich etwas unübersichtlich und daher so einfach nicht geeignet. Vielleicht lassen wir die Vorschläge künftig wieder per Postkarte einschicken … Aber, um das noch einmal klarzustellen: Wir sprechen hier lediglich über die drei durch das Publikum nominierten Titel. Die anderen 22 Titel werden durch die Jury nominiert und das soll auch so bleiben.
FRISCH: Der Comic-Salon Erlangen hat 2016 erstmals eine Vertrauensperson für sexuelle Übergriffe benannt. Wird es diese Vertrauensperson auch 2018 wieder geben? Auf der Webseite des Salons kann ich aktuell keinen Hinweis dazu finden.
BIRK: Das ist mal eine einfach zu beantwortende Frage. Ja, wir haben das intern schon besprochen. Ansprechpartnerin wird wieder die Messeleiterin sein, weil sie an allen Funktionsorten und bei den Ausstellern am besten bekannt ist. Also in diesem Jahr Eva Hugo. Wir werden das einige Tage vor Veranstaltungsbeginn in allen sozialen Netzwerken und auf der Website bekannt geben. Ansonsten gerät es in Vergessenheit. Und dann hoffen wir, dass es wieder keinen Anlass gibt, Eva Hugo deshalb zu kontaktieren.
FRISCH: Was war der letzte gute original deutschsprachige Comic, den Sie gelesen haben?
BIRK: Im Zuge meiner Mitwirkung in der Max-und-Moritz-Jury habe ich natürlich eine ganze Menge sehr guter deutschsprachiger Comics gelesen. Die größte Überraschung war für mich vielleicht Das leere Gefäß von Magdalena Kaszuba. Sie hat es leider nicht auf die Nominierungsliste zum Max-und-Moritz-Preis geschafft. Eine sowohl grafisch herausragende als auch inhaltlich sehr bewegende Geschichte von einem jungen Mädchen in Polen, das sich – hin- und hergerissen zwischen modernem Leben und der tiefen Religiosität ihres Umfelds – von der katholischen Kirche befreit, von deren autoritärer Glaubensauslegung und Drohszenarien sie sich erniedrigt und eingeengt fühlt. Andererseits geht ihr mit dieser Emanzipation aber auch ein Stück ihrer Heimat und Identität verloren. Die Geschichte hat mich sehr überrascht. Wer kann sich denn bei uns vorstellen, dass Kirche und Religion noch so existenzielle Rollen im Leben einer jungen Frau in Mitteleuropa spielen können? Und, wie gesagt, fantastisch gezeichnet. Auch wenn die Feuchtenberger-Schule deutlich erkennbar ist. Gerne möchte ich aber auch noch German Calendar No December von Birgit Weyhe und Herbst in der Hose von Ralf König erwähnen.
Marc-Oliver Frisch ist freier Comic-Kritiker und -Übersetzer und promoviert über Comics an der Universität des Saarlandes. Man kann ihm bei Twitter folgen.
Es freut mich, dass bei solchen Gesprächen auf sehr kritisch nachgefragt wird. Es kann echt belastend sein, dass manche Comic-Journalisten immer alles gut und super und kreativ finden…