In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche sonst noch so zu Gemüte geführt hat.
Benjamin: Die vom Kanadier Jeff Lemire verfassten Superhelden-Comics wie Animal Man oder Green Arrow sind durchaus empfehlenswert; besonders interessant wird es aber dann, wenn Lemire sich persönlich ans Zeichenbrett setzt und neue Welten erschafft. Das hat er nicht zuletzt mit Serien wie Essex County oder Sweet Tooth bewiesen. Auch seine achtteilige Vertigo-Reihe Trillium ist ein brillantes Meisterstück. Auf der großen Science-Fiction-Bühne wird darin die Liebesbeziehung zweier Menschen umschlungen dargestellt. Die Story pendelt zwischen den Jahren 1921 und 3797. Wie Lemire mit grafischen Mitteln hier mit der Dualität aller Dinge spielt, ist wirklich bemerkenswert. Ein weiterer Fingerzeig, dass man bei Arbeiten dieses Künstlers fast immer bedenkenlos zugreifen sollte.
Thomas: Ich war im Urlaub. Da nehme ich fast nie Comics mit, weil das Verhältnis von Platzbedarf und Gewicht zur Lesezeit einfach ungünstig ist. Zum Glück hat Comiczeichner und Humorgenie Fil (Didi & Stulle) vor ein paar Monaten seinen ersten Roman Pullern im Stehn bei Rowohlt veröffentlicht. Zu großen Teilen ist die hier erzählte „Geschichte meiner Jugend“ (so der Untertitel) vom Aufwachsen im Märkischen Viertel Berlins in den 1980er Jahren autobiografisch, wenngleich der Autor im Nachwort betont: „Dies ist kein wahrheitsgetreuer Bericht, Freunde, es war nicht wirklich so.“ Fil erzählt von Punks und Poppern, von unfähigen Lehrern, vom ersten Sex, vom Saufen, Schuleschwänzen und Von-Zuhause-Abhauen, von seiner Zeit auf einem Schiff für pädagogische Problemfälle – und hat dabei keinerlei Scheu vor Peinlichkeiten. Das ist natürlich oft sehr komisch, aber keineswegs eine Nonstop-Gagparade, sondern hat auch viel Platz für ernstere Elemente. Was sich durch das Buch zieht, ist der Ton eines erwachsenen Erzählers, der im Rückblick darauf schaut, wie bescheuert und ahnungslos er als Teenager oft gehandelt hat und wie viel Glück er letztlich hatte. Pullern im Stehn ist dabei angenehmerweise niemals selbstmitleidig oder sentimental. Kommt hoffentlich nie als Graphic-Novel-Literaturadaption.
Stefan: Ich war letzte Woche an den Thermopylen und wurde dadurch animiert, den Film 300 -Rise of an Empire nach Frank Millers Comic Xerxes zu bestellen, damit lasse ich dann daheim meine acht Tage Griechenland ausklingen. Habe hier nichts von angeblich nicht mehr funktionierenden Geldautomaten mitbekommen. Sehr freundliche Menschen, ein wunderschönes Land. Volle Punktzahl für den Urlaub, und die Fortsetzung von 300 bewerte ich später, aber nicht zwingend öffentlich.
Christian: Nachdem in Amerika viele Jahre keine Disney-Comics mehr erhältlich waren, rollt jetzt eine wahre Disney-Welle: Fantagraphics bringen ja schon seit einiger Zeit die gesammelten Werke von Carl Barks, Don Rosa und Floyd Gottfredson in gelungenen Buchausgaben, jetzt wird gerade von IDW der Kiosk wiederentdeckt. Das erste Donald Duck-Heft macht schon einmal Vorfreude auf Kommendes: Gut ausgesuchte Geschichten, modern und ansprechend koloriert, schön gelettert – und da es sich um europäisches Material handelt, auch noch gut ins Englische übersetzt. Als Titelstory dient eine Duck-Geschichte von Romana Scarpa, die hierzulande bereits im LTB 36 als „Donald und die Krebse in Burgunder“ erschienen ist. Interessanterweise veröffentlichen die Amerikaner die Geschichte sogar, wie ursprünglich intendiert, gesplittet und lassen die erste Episode mit einem Cliffhanger enden. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Unser Donald-Duck-Sonderheft hat vor vielen Jahren mal versucht, Cavazzanos hervorragende „Drachenritter-Saga“ über mehrere Hefte hinweg zu erzählen, aber die deutschen Gralshüter der reinen Lehre haben den Herausgebern damals deutlich gezeigt, dass sie für solche Experimente nicht zu haben sind. Damals durfte Ehapa erfahren, dass ein echter deutscher Nerd auch eine echte Spaßbremse sein kann (siehe auch Links der Woche 25/15).
[Ergänzung 27.06.2015: Zu „Kiosk-Versionen in den USA“ schrieb Jano in den Kommentaren eine Anmerkung; bitte beachten.]
Benjamin: Im September ist es so weit: Tony Hawk’s Pro Skater 5 wird Realität. 13 Jahre nach dem vierten Teil und etlichen mehr oder weniger gelungenen Nachfolgern des Kult-Games (Underground, American Wasteland, Project 8, Ride, Shred) gehts für die namensgebende Skaterlegende und Producer Activison zurück zu den Wurzeln. Die Fans dürfen sich endlich wieder auf das gute alte Spielgefühl freuen. Der jetzt veröffentlichte Trailer weckt schon mal gehörig die Vorfreude.
Frauke: Der letztjährige Überraschungserfolg True Detective startete vergangenen Sonntag in seine zweite Staffel (in den USA bei HBO, in Deutschland bei Sky). Diesmal sind unter anderem Colin Farrell, Vince Vaughn und Taylor Kitsch sowie als weibliche Hauptdarstellerin Rachel McAdams dabei. Die erste Folge hinterlässt wieder dieses dreckige, grimmige Gefühl, das schon die erste Staffel mit Matthew McConaughey und Woody Harrelson auszeichnete. Spiegel Online stellt die Serie vor und spricht von einem „popkulturellen Meilenstein“.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
Jetzt wo du’s sagst … Damals bei meinem einzigen Amerikaaufenthalt in Washinton D.C. musste ich auch lange suchen, bis ich überhaupt einen Comicladen gefunden habe. Das ist da schon ein recht randständiges Medium.
Christian scheint nicht so ganz zu wissen, wie der US-Markt funktioniert. ;) So was wie „Donald Duck am Kiosk“ gibt es da nicht, genauso wie es generell fast keine Comics an US-Kiosken (also Zeitschriftenständen und kleinen Läden gibt). Nur weil’s Hefte sind, heißt das nicht automatisch, dass die landesweit überall bequem an jeder Ecke erhältlich sind wie in Deutschland, weil die nicht in einem „Pressevertrieb“ o. Ä. laufen. Die US-Hefte sind nahezu ausschließlich in Comicläden erhältlich und werden auch nur in mehr oder weniger genau der Auflage produziert, die von diesen Comicläden vorbestellt wurde. Das ist das große Dilemma des US-Markts, denn das Risiko hält sich dadurch natürlich für Verlage in Grenzen, man zwingt sich somit aber auch selbst in eine Nische, aus der man nie wieder rauskommt. Eine Verbreitung von Comics an jeder Ecke gibt es in den USA schon seit den späten 70ern/frühen 80ern nicht mehr. Hefte sind einfach die Standardveröffentlichungsplattform monatlicher Titel, später werden dann immer noch mal vier oder fünf dieser Hefte zu einem Paperback-Sammelband zusammengefasst, der dann auch im Buch- und nicht nur im Comichandel erhältlich ist. Mit europäischen „Heften“ sind US-Hefte jedenfalls nicht zu vergleichen, denn Comics sind da schon seit zig Jahren kein Massenmedium mehr, sondern nur noch ein Kulthobby für Leute, die in Comicläden gehen, weswegen man auch ständig diese ganzen Variantcovers etc. machen muss.