Das altert nicht so schnell: die Judge-Dredd-America-Stories. Gelesen hat sie für uns Jan-Niklas Bersenkowitsch.
Niklas: Dieses Jahr habe ich viele Judge-Dredd-Geschichten von John Wagner, einem der Schöpfer der Figur, gelesen. Wagner ist es innerhalb von fast fünfzig Jahren Laufzeit immer wieder gelungen, aus der überdrehten Parodie eines Faschisten eine komplexe, widersprüchliche Figur zu machen, die man respektieren und gleichzeitig verachten kann. Denn Wagner vergisst nie klarzustellen, dass der Polizist mit dem gewaltigen Kinn kein guter Mensch ist.
Das zeigt sich vor allem in der Storyline um die Bewegung Democracy Now, die ich dieses Mal im Sammelband America der Reihe Essential Judge Dredd gelesen habe. Im Verlaufe mehrerer Geschichten erleben wir hier, wie Dredd dazu beiträgt, eine idealistischen Bewegung für mehr Menschenrechte in eine terroristische Organisation zu verwandeln – indem er erpresst, unterdrückt und hundert andere schmutzige Tricks einsetzt, bis nichts mehr übrig bleibt. Später ist es ausgerechnet er, der eine Wahl für mehr Demokratisierung der Gesellschaft einberufen lässt, weil er glaubt, dass die Bewohner Mega-City Ones die Führung der Judges zu schätzen wissen. Das ist für einen zynischen Mann erstaunlich idealistisch, vor allem da er in den Episoden davor anderen noch unterstellte, dass Demokratie nur ein Ideal ist und deswegen nicht funktioniert.
Dieser Wechsel zwischen einem brutalen Unterdrücker und aufrichtigen Streiter für das Gesetz macht Judge Dredd letztendlich zu einem glaubhafteren Charakter. Und durch diese Glaubhaftigkeit tut es umso mehr weh zu sehen, wie aus den friedlichen Demonstranten rachsüchtige Bombenleger, Attentäter und Mörder werden. Durch die Gewalt der Judges, glauben sie nur mit noch mehr Gewalt antworten zu können, um diese bessere Welt zu schaffen, von der sie träumen. Vielen ist sogar das inzwischen egal. Die Judges haben ihnen Leid zugefügt und jetzt schlagen sie mit allem zurück was sie haben. Hauptsache, die anderen leiden genauso viel – besser mehr.
Für eine Serie, die für überzogene Gewaltdarstellungen bekannt ist, ist Essential Judge Dredd: America eine ausgezeichnete Studie über die Sinnlosigkeit von Unterdrückung und Gewalt. Am Ende nutzt sie nur machtgeilen Intriganten und selbst diese werden eines Tages im Strudel von Hass und Zerstörung untergehen, wie sich im Verlauf des Judge Dredd Comicstrips immer wieder zeigt. Es ist eine gute, nein, eine hervorragende Sammlung von Comics, die mit der Titel gebenden Geschichte America einen der besten antifaschistischen und einen meiner liebsten Comics überhaupt enthält. Einzig die letzte Geschichte der Sammlung, Twilight’s Last Gleaming von Garth Ennis, ist ein Blindgänger. Ich würde sogar sagen, dass sie ein Haufen flammender Exkremente ist, in der ein jüngerer Ennis scheinbar eine faschistoneugierige Phase hatte. Um es kurz zu fassen, diese Episode bringt die lange Storyline um mehr Demokratie in Mega-City One zu einem angemessen zynischen Ende, während sie dabei unentwegt Joe Dredds phallisches Kinn küsst und den Leser*innen immer wieder klarzumachen versucht, was für ein toller Typ er doch ist.
Ennis schien dabei eine Sache vergessen zu haben: Judge Dredd kann nur das kleinere Übel bleiben, solange alle anderen Monster sind. Sollte sich jemals daran etwas ändern – und Dredd arbeitet ja daran – würde er nicht nur seine Existenzberechtigung verlieren, sondern wahrscheinlich selbst im Knast landen.[1]
[1]Fairerweise hat Ennis selbst zuzugeben, dass seine Arbeit für Judge Dredd unterirdisch war.