Willkommen in der Zone des Wahnsinns: 2025 bringt DC-Comics Shade the changing Man als dicke Omnibus-Ausgabe zurück. Auch wenn DC-USA das Vertigo-Imprint vor einigen Jahren leider eingestellt haben, die alte Backlist wird momentan wirklich gut verwaltet und präsent gehalten.
Zur Story: Die junge Kathy George will ihren Eltern in Louisiana ihren neuen Freund Roger vorstellen. Roger ist Afroamerikaner und Louisiana liegt in den Südstaaten, aber wir befinden uns schließlich im aufgeklärten, modernen 20. Jahrhundert – was soll schon schiefgehen? Als sie an der Tür klingeln und eintreten wollen, erleben die beiden, wie just zu diesem Moment ein Serienkiller die Eltern abschlachtet. Roger gelingt es, den Killer zu Boden zu ringen, da kommt die Polizei und erschießt – den Afroamerikaner! Es ist halt doch immer noch der alte Süden. Soweit der erste Teil der Origin-Story.
Der zweite Teil der Origin-Story erklärt uns Kathys Umgang mit der Katastrophe. Selbstvorwürfe, dass sie Roger überhaupt in den Süden gebracht hat und dass die beiden noch auf einer Wiese gevögelt haben und nicht schon eher – vor der Katastrophe – bei den Eltern waren. Eben noch war Kathy dabei, ihr Leben endlich auf die Reihe zu kriegen, aber jetzt zerfällt das bisschen Halt, den sie im Leben hatte, vor ihren Augen. Dazu gesellt sich ein bedenklicher Hang zum Alkohol. Vielleicht verhilft ihr die Hinrichtung von Troy Grenzer, das ist der Serienkiller, zu einer Art Abschluss und Neuanfang?
Aber jetzt beginnt Teil 3 der Origin-Story: jetzt kommt Shade ins Spiel, ein Alien vom Planeten Meta, der sich aus der „Area of Madness“ heraus direkt in Troy Grenzers Körper manifestiert, als der Hebel des elektrischen Stuhls umgelegt wird. Ein verrückter Strudel des Wahnsinns bricht aus, der elektrische Stuhl wird lebendig und läuft durch die Gegend, dann steht plötzlich Troy vor Kathy, aber es ist nicht mehr Troy sondern Shade, und dann sitzen sie plötzlich gemeinsam in einem Auto.
Aber warum wählt Shade gerade Troy Grenzer aus? Und warum gerade zu diesem Zeitpunkt? Antworten gibt der Comic keine, womit Peter Milligan immerhin vermeidet, konstruierte Szenarien zu entwerfen. Auch Zombie-Geschichten sind bisher nur selten besser geworden, wenn man im Nachhinein eine Begründung für das Zombie-Virus nachgereicht hat (Giftgas, Seuche, Komet etc.). Das sind doch alles Scheinerklärungen und das Leben ist trotzdem verrückt und das Unerwartete passiert ja deswegen trotzdem. Die besten Erklärungen sind doch immer diejenigen, die sich Leser und Leserin selbst zusammenreimen müssen. Shade, der Mann aus der Zone des Wahnsinns, findet in der Konstellation Kathy und Troy ganz offensichtlich exzellente Bedingungen, um existieren zu können:
Kathy entgleiten gerade die letzten Bezugspunkte der Realität, beste Gelegenheit also für Shade, im Körper von Troy Grenzer den Kontakt zu Kathy zu suchen und sie davon zu überzeugen, dass er nicht mehr Troy ist, sondern ein Alien vom Planet Meta, dessen M-Jacke noch in der Area hängt und für das ganze Chaos verantwortlich ist. Eine völlig paranoide, irrationale Erklärung, und natürlich ist jedes Wort davon wahr. Die Tür zum Irrationalen steht von nun an weit offen und Kathy entwickelt entgegen aller Vernunft Gefühle gegenüber Shade, dem einzigen, der ihr noch Halt im Leben gibt. Das ist alles völlig verrücktes Zeug, aber psychologisch nicht nur verwegen, sondern plausibel und dabei nur der fesselnde Auftakt zur verrücktesten Comicserie aller Zeiten. Dagegen ist Grant Morrisons Doom Patrol fast schon Mainstream.
Es wäre unangemessen, die Künstler der Reihe unerwähnt zu lassen, denn sie tragen ihres dazu bei, den Wahnsinn effektiv galoppieren zu lassen. Jedes zweite Panel von Chris Bachalo könnte ohne Veränderung als Cover einer Sonic Youth-LP dienen. Und die Poster-Art von Coverzeichner Brendan McCarthy ist psychedelische Kunst par excellence. Später wird McCarthy noch ganze Hefte gestalten. Diese sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.