In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Niklas: Seit dem Release von Pillars of Eternity 2: Deadfire ist fast ein Monat vergangen. Ein Monat, in dem ich etwas über diesen charmanten Piraten-Simulator in einer komplexen Fantasywelt schreiben wollte. Ich werde aber noch etwas warten, bis mir das Spiel sein ganzes Potential offenbart. Schon traurig, wenn man bedenkt, dass über 56 Spielstunden Zeit keinen bleibenden Eindruck hinterließen.
Mit Echoes of Aetheria dagegen habe ich nur knapp 27 Stunden verbracht und möchte gleich noch mal von vorne beginnen! Was ist Echoes of Aetheria? Ich habe ja schon ein oder zweimal erwähnt, dass es mir Spiele angetan haben, die mit dem RPG MAKER erstellt wurden. In der deutschen Szene sind das meistens kostenlose Spiele, aber wer mal auf Steam schaut, kann sehen, dass manche Entwickler ihre Spiele auch kommerziell vertreiben. Echoes of Aetheria von Dancing Dragon Games ist einer dieser Titel, ein Spiel, das sich mit seinem Pixel-Look an japanische Rollenspiele (kurz JRPG) wie Final Fantasy IV-VI oder Nintendos Fire Emblem anlehnt. Das bedeutet, dass eine Gruppe schillernder Charaktere ein spannendes Abenteuer erlebt und lernt, was wahre Loyalität bedeutet und das Krieg meistens doof ist … sagen die Leute, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbringen Monster und Bösewichte mit Schwerter und Magie in Grund und Boden zu stampfen. Zumindest reflektieren sie an einer Stelle über die Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Weltsicht.
Echoes of Aetherias Handlung ist gut. Richtig, richtig gut. Natürlich erfinden die Entwickler das Rad nicht neu, im Gegenteil, eigentlich benutzen sie die Formel jedes JRPG seit Final Fantasy IV: böse Nation überzieht Welt mit Krieg, gute Nation kämpft gegen die Bösen und im Hintergrund gibt es eine dritte Partei, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Ist das Schlimm? Natürlich nicht, den Echoes baut seine Handlung um dieses bekannte Gerüst auf und spinnt eine komplexe Geschichte um das Thema Macht und wie nicht nur die Gierigen sie missbrauchen können. Das spiegelt sich auch in den Charakteren wieder, die sich damit arrangieren müssen, dass auch sie Einfluß und militärische Stärke benötigen, um die Welt vor der Zerstörung zu retten. Das gibt ihnen eine gewisse Komplexität, die mich immer zum weiterspielen antrieb. Ich wollte wissen, wie es ausgeht und kann mit Überzeugung sagen, dass die Geschichte von Echoes of Aetheria eine der Wenigen ist, an denen ich nichts auszusetzen habe … und wenn doch, fällt es nichts weiter ins Gewicht. Das ist einfach ein schönes Garn, das auch über sehr gutes Gameplay verfügt.
Das dreht sich meistens um Rundenkämpfe, die ein gewisses Maß an Taktik abverlangen. Anstatt nur die beste Rüstung und das schärfste Schwert zu kaufen, geht es vor allem darum, die richtigen Skills einzusetzen, von denen jeder Charakter 33 besitzt. Die richtige Kombination aus Heilzaubern und Attacken führt zum Sieg, aber Vorsicht, selbst der flächendeckende Feuerzauber kann zum Fluch werden. Besonders zum Schluss hin, sollte man einfache Monster nicht unterschätzen. Die Balance stimmt, einzig die Endkämpfe sind wirklich extrem schwer, selbst auf dem mittleren von drei Schwierigkeitsgraden. Ich denke, es ist keine Schande, für den letzten Kampf auf leicht zu schalten, da sich nur der Schaden, den die Endgegner einstecken können, ändert und sie immer noch gut austeilen.
Die Musik des Spiels lädt zum Mitsummen ein. Die kreativen und beeindruckend aussehenden Gegner gefallen mir am besten. Der Rest des Spiels wird mit Standard-Modellen des RPG-Makers dargestellt. Wer sich also nicht an einem bunten Pixel-Look stört und Spiele dieser Art gespielt hat, wird auch weiterhin seine Freude daran haben. Mein einziger Kritikpunkt, sind plötzlich auftauchende Rechtschreib- und Grammatikfehler, die mir im letzten Viertel des Spiels auffiellen und mich ein bisschen aus der Handlung reißen. Ich hoffe, dass Dancing Dragon Games die Fehler selbst zwei Jahre später ausmerzt. Echoes of Aetheria hätte es verdient perfekt zu sein. Auf seine Art ist es das schon.
Christian: Brot und Zeit ergibt Brotzeit, Kultur und Splatter gibt Kultursplatter. Gibt’s derzeit in Konstanz im Theater, denn dort läuft George Taboris „Mein Kampf“ in der Inszenierung von Serdar Somuncu. In den 80ern war das Stück über den jungen Adolf Hitler im Männerwohnheim in Wien ein Aufreger. 2018 in Konstanz musste jedoch mit anderen Mitteln als nur dem nun bekannten Inhalt für Aufmerksamkeit gesorgt werden. Aber dazu später mehr.
Das Stück selbst ist mit den inzwischen etwas abgegriffenen Mitteln des Schocktheaters inszeniert. Da wird gespuckt, geschrien, sich ausgezogen, blank gezogen und mit schwarzen Dildos herumgetanzt, dass Walter Moers seine wahre Freude daran hätte. Zudem wurde Taboris Inhalt gekürzt, abgeändert und verfremdet, ganz im Sinne eines angeblich existierenden aktuellen Thesenpapiers, dass nur noch 20% eines Theaterstücks textgetreu übernommen werden solle, der Rest muss persönliche Vision sein. Schließlich sind Theatermenschen keine Dienstleister, die etwas Vorformuliertes nur aufsagen, damit am Ort ein bisschen Alibikultur stattfindet. Soviel Standesbewusstsein muss sein.
Taboris wie Somuncus Ansatz besteht unter anderem daraus, Hitler zwar witzig zu zeigen, aber sich nicht darauf auszuruhen und der irrigen Meinung anzuhängen, er sei eben eine Witzfigur. Stattdessen gilt es, den Hitler in jedem einzelnen von uns zu finden. Ich zitiere Somuncu aus dem Programmheft: „Die einzige und beste Waffe sei es, ihn [Hitler] der Lächerlichkeit preiszugeben. Das halte ich für falsch. Ich bin der Meinung, dass es beide Seiten braucht: Sowohl das Ziel verdeutlichen, das ist die Vernichtung der Juden, der Kampf um Lebensraum für die deutsche Rasse, aber auch die Banalität und Verquertheit ihres ideologischen Ursprungs. Letzteres kann auch lustig sein, aber erst wenn man beides zusammenbringt, ergibt sich ein ganzes Bild.“ Die Meinung teile ich auch, ich kann Hitler als Witzfigur jedenfalls nicht sonderlich ausstehen. Indes war mir Somuncus Inszenierung zu sehr Klamauk und Geblödel, die Empathie kam mir zu kurz. Stattdessen wurde die Inszenierung mit grotesken Elementen und Verfremdungen angereichert, die vor allem mit dem aktuellen Flüchtlingsthema in Bezug gesehen werden müssen. Weniges davon war thesenhaft oder konkret ausformuliert, eher ging es darum, verstörende Bilder ins Gehirn zu pflanzen.
Vielleicht hat es ja der eine oder andere in der Zeitung gelesen, dass die Premiere am 20. April ursprünglich von einem Event begleitet hätte werden sollen. Man hätte sich als Besucher für Hakenkreuz oder Davidstern entscheiden müssen. Träger einer Hakenkreuzbinde wurde freier Eintritt versprochen, Besucher mit Davidstern hätten vollen Eintritt zahlen müssen. Aber die Veranstalter knickten vor dem Shitstorm ein und bekamen wohl auch Angst vor unschönen Bildern, stattdessen gab es am 20. April Hakenkreuz- und Davidstern-Konfetti nach der Vorführung und wohl auch einige Verrenkungen gegenüber denen, die im Vorfeld das Hakenkreuz vorbestellt hatten.
Begleitend zum Stück gab es interessante Gesprächsrunden. Am 23. Mai erlebte ich die Podiumksdiskussion mit:
- Dr. Andrea Zielinski, Sozial- und Kulturanthropologin Hamburg/Konstanz,
- Dr. Andreas Häcker, Germanist, Professeur agrégé seit 2007 an der Université de Strasbourg,
- Dr. Johannes Bruggaier, Leiter der Kulturredaktion der Zeitung Südkurier,
- sowie Daniel Grünauer, der stellvertretende Chefdramaturg, in moderierender Funktion.
Interessant war natürlich, wie die gescheiterte Hakenkreuzbinden-Provokation im Nachhinein bewertet werden würde. Frau Dr. Zielinski fand den Gedanken reizvoll, als körperlich behinderte Frau das Symbol zu tragen, das ehemals der selbsternannten Herrenrasse vorbehalten war. Sie sah darin eine gelungene Dekonstruktion des Hakenkreuzes. Deutlich kritischer sahen das manche Leute im Publikums, die die Idee abstoßend und als einen „Scheißdreck“ empfanden. Zwei 90-jährige Damen hielten die Aktion schlichtweg für unnötig. Sie verwiesen darauf, dass sie durch den Krieg ihrer Pubertät beraubt wurden und froh waren, dass es zu dieser Provokation nicht kam. Ihnen flogen die Herzen aller Anwesenden im Raum zu. Das Podium war sich aber einig, dass jüngere Personen, welche keinen Bezug mehr zu Zeitzeugen haben, nicht mehr mit „Phrasen“ wie „Nie wieder!“ etc. angesprochen werden können oder wollen.
Ich selbst habe eingeworfen, dass der Hitler in jedem von uns wohl kaum damit geweckt wird, dass man sich für die Hakenkreuz-Binde entscheidet. Schließlich waren die Nazis Opportunisten, und opportunistisch wäre nun eben gewesen, den Eintritt zu zahlen und sich keine Blöße zu geben. Später war mir diese clevere Äußerung dann auch schon fast wieder peinlich. Das ist alles nur wohlfeil und selbstverliebt clever, denn im safe space einer Theaterinszenierung kann man risikolos in jede Rolle schlüpfen. Erkenntnisgewinn ist minimal, im Gegenteil scheint mir die Angelegenheit eher fahrlässig. Der Witz funktioniert meiner Meinung nach schon seit 1977, als Sid Vicious mit Hakenkreuz T-Shirt herumgelaufen ist, nicht mehr.
So gesehen ist das Stück nicht so wahnsinnig heiß, mit einer Länge von knapp unter 100 Minuten aber gut zu ertragen und tatsächlich ganz vergnüglich. Die Schauspieler jedenfalls sind bombe und haben sichtlich Spaß an der Sache. Keine Zeitverschwendung, aber es hätte mehr dabei herumkommen können.
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