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Währenddessen… (KW 22)

From the cutting room floor: Christian hat noch unverwendetes Footage von seinem Punisher-Text letztes Jahr übrig.

Christian: Irgendwann hatte ich ja mal gehofft, ich wäre fertig mit dem Punisher und müsste nie mehr ein Buch der Reihe in die Hand nehmen … aber mit einigen Typen ist man wohl nie ganz fertig. Es gibt da eine Sache mit Nick Fury im Punisher-Max Band „Mother Russia“, die hat mich nie losgelassen; ich hatte sie schon im Text „Der Wutbürger“, den Text dann aber um die Passage gekürzt.

„Mother Russia“ beginnt damit, dass Frank Castle in einer russischen Kneipe in New York Wind davon bekommt, dass der Verbrecher Leon Rastovich überaschend aus dem Gefängnis entlassen wird, ein mehrfacher Mörder und Zuhälter von minderjährigen Prostituierten. „Thanks to his kind, everyone looks at Russian people and sees only fucking gangsters“, sagt ein alter Russe aufgebracht, was ihm auch gleich die Aufmerksamkeit mehrerer russischer Schläger einbringt (Frank Castle verhindert aber Schlimmeres). Frank Castle erfährt, dass Rastovich bei seiner Mutter residiert, sucht also deren Haus auf und tötet Rastovich, einige Bodyguards und auch die Mutter.

Als er den Tatort verlässt, begegnet er Nick Fury, dem Kopf der Geheimdienstorganisation S.H.I.E.L.D. Fury war es, der für Rastovichs Begnadigung gesorgt hat, weil er wusste, dass Frank Castle sofort Rastovich observieren würde. Da Fury den Kontakt zu Castle suchte, der aber im Untergrund nicht aufzufinden ist, hat er ihm so eine Falle gestellt: Castle sucht Rastovich auf, Fury beobachtet Rastovich und findet so Castle. Das ist von Fury geschickt ausgedacht und von Garth Ennis raffiniert geplottet, bringt aber einen miesen Charakterzug der Figuren ans Licht: Wenn ein Anwalt oder Richter einen Verbrecher freispricht, ist dieser Anwärter für Castles Kill-List, ist es ein Buddy von Castle, dann handelt es sich um eine Ausweitung der Kommunikationsformen. Fury darf das, weil der ist ja ein super Typ. „I needed to find you fast“ sagt er zu Frank Castle.

Alle Abbildungen (c) Marvel. Aus: The Punisher: „Mother Russia“. Artwork: Doug Braithwaite. Text: Garth Ennis.

Man muss in „Mother Russia“ nur umblättern und bekommt in einem inneren Monolog ein paar Splitter davon zu fassen, was Frank Castle über Fury denkt: „Nick Fury. Old school cold warrior. The original black ops hardcase. Long before I stepped off a C-130 at Da Nang, Fury and his team had set fire to half of Asia.“ Noch so ein Garth Ennis-Topos. Im Krieg macht sich jeder schuldig: entsprechend kann man ja im Frieden einen Schlussstrich ziehen und vergessen, dass hier jemand „fire to half of Asia“ brachte. Frank Castle war schließlich auch dabei. Es hat ihn zu dem gemacht, was er ist. A man’s gotta do what a man’s gotta do.

Wenn es Frank Castle ernst wäre damit, die Schuldigen zu töten, dann könnte er auch bei Fury anfangen und nicht auf einmal Fünf gerade sein lassen, was er sonst nie machen würde, trotz der Tatsache, dass Fury gerade einen Schwerverbrecher durch Einflussnahme auf freien Fuß setzt. Es ist schon korrupt und selbstgerecht und beschädigt ja auch noch die Glaubwürdigkeit des Justizsystems, schließlich kam ja die Freilassung von Rastovich breit in den Nachrichten. Aber die Haltung der Punisher-Comics gegenüber der Justiz war ja schon immer: „Verbrecher flüchten lassen und auf der Flucht erschießen“. Vielleicht sollte man an dieser Stelle auch erwähnen, dass Fury sich sehr gerne Prostituierte schicken lässt, gerne auch im halben Dutzend, am liebsten asiatisch (vgl. Fury-MAX von Garth Ennis und Darick Robertson). Ein alter Vietnam-Black Ops-Hard-Ass erinnert sich eben auf seine Weise gern an früher.

Artwork: Darick Robertson. Aus: „Fury“

 

Kitchen Irish

„Mother Russia“ ist die dritte Marvel-Max-Geschichte von Garth Ennis, „Kitchen Irish“ die Zweite. „Kitchen Irish“ ist ein dreckiges Torture-Porn-Biest: wie immer ist der Gewaltpegel schrill hochgeregelt, vernünftige Auswege aus diesem Labyrinth aus Gewalt, Gegengewalt und Eskalation sind konsequent ausgeschlossen und nicht gewollt. Eine Schlüsselfigur in Kitchen Irish ist Maginty, ein in Dublin sozialisierter Schwarzer, der im irischen Gangster-Milieu New Yorks für Angst und Schrecken sorgt: unter seiner Aufsicht wird ein Konkurrent ans Bett gefesselt und Stück für Stück auseinandergesägt, als Warnung für andere Konkurrenten.

Maginty, erzählt ein Anti-Terror-Spezialist dem Punisher, müsse „hard as nails“ sein, wenn er als Schwarzer in Dublin aufgewachsen ist. Aber auch Garth Ennis sollte doch bekannt sein, dass man als Schwarzer in Dublin nicht zwangsläufig zum verwahrlosten Killer wird – aus Phil Lynott ist schließlich auch was geworden und der war auch aus armen Verhältnisse und schwarz und aus Dublin. Aber vielleicht hätte Lynott die Macho-Bullshit-Story von Ennis ja trotzdem gefallen. Thin Lizzy-Songs wie „Angel of Death„, „Emerald“, „The Boys are Back in Town“ oder „Romeo and the Lonely Girl“ transportieren durchaus auch den Ennis-Spirit, auch wenn ich das musikalisch-lyrische Äquivalent der Arbeiten von Ennis seit 2001 eher bei Slayer sehe. Deren Stücke wie „Angel of Death“ oder „Expendable Youth“ sind genauso ätzend und alles andere als harmlose Unterhaltung – und trotzdem trotzt mir die konzentrierte Krassheit und Vision stets Respekt ab: Angel of Death ist für mich auch eher Rezitation als Rockmusik. Eine wütende Lyrik-Performance mit Musik. Zum Tanzen eher nicht geeignet.

Maginty aus „Kitchen Irish“. Artwork: Leandro Fernandez.

 

Street Credibility unter Terroristen. Very fucked up. Aus „Kitchen Irish“

Ich hielt „Kitchen Irish“ lange für die grässlichste Punisher-Max-Story und den Plot für konfus. Übersehen hatte ich dabei, dass der Grund, weshalb sich die vielen Gangster und Ex-Terroristen hier umkreisen, belauern, bedrohen und töten, fast egal ist. Der Ex-IRA-Terrorist Flynn ist dabei eine perfekte Symbolfigur: Bei einem Bombenanschlag hat er sich das Gesicht weggesprengt, das wilde Fleisch hält nur noch auf dem Schädel, weil es ständig mit einer Plastikmaske fixiert ist. Wenn sich eigene Fehler und Schuld so deutlich und unumkehrbar manifestieren, gibt es kein Zurück mehr, Flynn ist längst Repräsentant der Summe seiner Handlungen und kein Mensch mit Potenzial mehr. Wenn Ennis solche markanten Typen in seinen Geschichten platziert, entwirft er fast schon eher Stimmungsbilder, als dass er Geschichten erzählt. Das gelingt ihm auf eine konzentrierte, dichte Art und Weise, dass auch hier das bloße Handwerk längst in Kunst übergeht.

Aber auch die zentralen Figuren Frank Castle und Nick Fury haben eigentlich wenig menschliches an sich und sollen wohl auch gar kein Identifikationspotenzial bieten. Sie fungieren lediglich als Repräsentanten von Konzepten wie Rache und Krieg und sind Katalysatoren für Entwicklungen, denen  sie wie von Außen zusehen. Ihr gelegentliches Eingreifen ist da fast schon egal und wirkt eher als Kommentar denn als Auflösung einer Geschichte. Das ist der Grund, weshalb die Geschichten manchmal spannungsfrei wirken und die Plots minimalistisch sind. Frank Castle ist für Rache das, was der Heilige Geist für die christliche Kirche ist. Frank Castle ist sozusagen der Heilige Geist der Rache.

Die Figur des „Saint of Killers“ – man kennt sie aus Preacher – hat Garth Ennis seit 1995 nie wieder losgelassen, in seinen Punisher-Geschichten hat er sie nur immer präziser ausformuliert, greifbarer gemacht und von sämtlichen Fantasy-Elementen gelöst.

 

 

 

 

 

 

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