In Währenddessen stellt uns Stefan heute die neue Weissblech-Kollektion vor. Christian deckt sich dagegen second-hand ein. Freitag von Heinlein ist ihm dabei eine besondere Erwähnung wert.
Stefan: Der Sommer ist da, aber von Sommerloch keine Spur. Auf Netflix gibt es jetzt die TV-Adaption des brillanten Comics Sweet Tooth vom genialen Jeff Lemire. Auf Disney+ wird MODOK zunehmend amüsanter und bald bekommt Loki seine erste TV-Show beim Mäuse-Streamingdienst. Playstation Plus gönnt seinen Abonnenten im Juni 2021 das sehr unterhaltsame Star Wars-Spiel Squadrons sowie Virtua Fighter 5. Auf Sky genieße ich, viel zu spät entdeckt, die grandiose Serie Silicon Valley, die Außengastronomie öffnet und dann gibt es ja auch noch lohnende Comics wie Paninis Must-Have House of M.
Ich hatte die letzten Tage viel Vergnügen an neuen Titeln von Weissblech Comics. Horror Schocker 60 bietet drei Kurzgeschichten. In der Titelstory geht es um eine Zeckenplage, die mal wieder wie eine Verschwörungstheorie-Variante wirkt, in der so ein subversiver Humor wie im Film Sie leben mitschwingt.
Zombieman 5 würde eigentlich auch in ein Heft der Reihe Captain Berlin passen. Levin Kurio zeigt einen doch wirklich sehr an den Hulk erinnernden Koloss namens „Supergrimmel“, neben dem „Geifernden Grapsch“ eine meiner neuen Lieblingsfiguren aus dem Hause Weissblech.
Eine besondere Erwähnung verdient die neue Serie Luba Wolfschwanz von Eckart Breitschuh. Christian erinnerte das Cover an Tarkan. Ich musste vor allem an Conan der Barbar und an den WC-Titel Kala denken. Autor, Zeichner, Kolorist Breitschuh war bereits so Feuer und Flamme, dass die kommenden Hefte dieser Reihe bereits im August und November 2021 erscheinen werden. Die Zeichnungen mögen, im Vergleich zu Conan, grobschlächtiger wirken und die Damen mit viel nackter Haut und immensen Brüsten könnten auf den ersten Blick etwas plump wirken, tatsächlich aber hat diese Reihe einen sehr stimmigen Erzählfluss. Der typische, trockene Weissblech-Humor ist auch hier allgegenwärtig. Die Gewalt ist jederzeit so überzogen, das sie nie schockiert oder abstoßend wirkt, zumindest auf erwachsene Leserinnen und Leser mit entsprechenden Comic-Erfahrungen. Luba hat eine klare Aufgabe, ihr McGuffin ist es, Rache zu üben für die Gräueltaten, die ihrer Heimat angetan wurde. Sie arbeitet eine Liste mit Personen ab, die sich in ihren Augen schuldig gemacht haben. Zeichnerisch und erzählerisch erinnert das an einen Mix aus Asterix, Game of Thrones, Kala, Conan und eventuell an Tarkan – letzteren Comic kenne ich bisher nicht. Zwei Frauen, Titelfigur Luba und ihre Assistentin müssen sich in einer von raffgierigen, brutalen, von Männern dominierten Welt behaupten, mit List und Tücke, aber auch mit brutaler Gewalt. Besonders viel Freude beim Lesen bereitet es die Welt zu entdecken, die Inseln, Städte und Landschaften, da kommt stellenweise richtiges an Italien oder Griechenland erinnerndes Reisegefühl auf. Sehr gut gemacht, Herr Breitschuh! Und eine gute Idee von Verleger Kurio diese Serie ins Programm zu nehmen, denn damit dürften Stammpublikum und neue Leser gleichermaßen Freude haben.
Christan: Einen nicht unerheblichen Teil meines Lebens verdanke ich Zufällen, mit Planung fülle ich nur die Leerstellen. Das gilt auch für meine Lesegewohnheiten, weshalb ich gerne den Büchern den Vorzug gebe, die mir im öffentlichen Bücherregal in die Hände fallen, gezielt Gekauftes stelle ich da gerne hintenan.
Vor einiger Zeit schon kam ich auf diese Weise an Robert A. Heinleins Freitag, erschienen 1983 bei Heyne. Ich mag die geriffelte Haptik dieser alten Heyne-Bücher, außerdem haben sie oft schöne Cover-Illus. Die zwei Science-Fiction-Buffs in meinem Freundschaftskreis haben die Nase gerümpft als sie sahen, dass es ein Buch von Heinleins Spätwerk ist.
Ich war selbst nie ein großer SF-Kenner. Was ich an SF kenne, lässt sich an einer Hand abzählen: ein paar Ijon Tichy-Stories von Lem, zwei Mal Iain Banks, zwei Bruce Sterlings, ein K. Dick, einmal Carl Amery (über Passau, sehr regional) und ein paar Shorts von J.G. Ballard. Das reicht höchstens für Inselwissen. Dann noch ein bisschen Orwell und Bradbury, aber das ist ja schon wieder eher Weltliteratur als SF. Zusammenhänge erschließen sich damit nicht. Ich hab noch nie einen Rhodan gelesen und weiß nicht mal genau was Hard-SF ist. Vermutlich sowas wie Freitag von Heinlein.
Auch Cory Doctorow findet Heinleins Friday anstößig. Es handelt von einer biotechnisch geschaffenen Frau namens „Freitag“, die gesteigerte Sinne und Reflexe hat und weitgehend unempfindlich gegen Schmerz ist, emotional dagegen ist sie durchaus sensibel. Ihr Beruf sind riskante Botendienste. Gleich zu Anfang der Story wird sie von Feinden gefangen, gefoltert und nun leider auch vergewaltigt, worauf sich Cory Dotorow auch bezieht, als er über „Friday“ ablästert: „Sure, rape’s bad, but hey, relax and enjoy it, why don’t you?“ Dass die Heldin dies durch ihre Superkräfte und ihre Abgebrühtheit gut verarbeitet, kann da leicht als Ausflucht gedeutet werden. Ich sehe die Problematik. Vor allem sehe ich 2021 die Problematik.
Verherrlichung von Gewalt, gegen Frauen oder überhaupt, finde ich in dem Roman trotzdem nicht. Es ist auch keine Agentenstory, wie der Einstieg anfangs suggeriert, sondern eher der große Entwurf einer Gesellschaft, in der künstliche Personen keinen wirklichen Platz im Leben finden abseits von einer Existenz als Soldat oder Eskortservice. (Ist das auch ein Anzeichen für rückständigen Sexismus?) Viel erfährt man über Freitags Familienleben, nachdem sie sich in eine Großfamilie mit mehreren Ehemännern und -frauen eingekauft hat. Sowas ist in der Welt von Freitag möglich: Vielehe, Sex zu zweit, dritt oder viert, gleichgeschlechtlich wie gemischt, ohne Eifersucht, womit wir schon beim zweiten Kritikpunkt wären, den Heinlein sich gefallen lassen muss. Er entwirft sich eine Wunschwelt voll Bigamie und Gruppensex, in der er wohl selbst gerne leben würde. Nun sind die Beschreibungen der zahlreichen Liebesszenen weniger erotisch als nüchtern distanziert, trotzdem malte ich mir beim Lesen ständig aus, wie eine Verfilmung wohl aussehen müsste und konnte mir nichts anderes vorstellen als einen 70er-Jahre Softporno. Sofort musste ich an die Duschszenen von Starship Troopers denken, ebenfalls eine Heinlein-Verfilmung. Aber wie Dominik Graf letztes Jahr im film-dienst treffend sagte: Erotik muss im Kino verhandelt werden, nicht in der Internet-Pornografie.
Heinlein entwirft ein dichtes, teils realisitisches, teils satirisches Gesellschaftsbild. Er macht den Alltag seiner Welt plausibel und er schreibt sehr menschliche Figuren. Freitag, muss man wissen, hat ihrer Wahlfamilie nie erzählt, dass sie eine künstliche Person ist, weil sie es nie für notwendig erachtet hat. Als sie aber eines Tages herausfindet, dass ihre Partner völlig antiquierte rassistische Vorbehalte gegen den Freund einer ihrer Töchter äußern, bringt sie dies auf ebenso rational-vernünftige Weise zur Sprache, wie dies Temperance Brennan in der Fernsehserie Bones wohl tun würde. Aber in der Familie bestärkt man eher den zersetzenden Rassismus einzelner Familienmitgleider, selbst wenn man ihn nicht teilt, als dass man Risse in der heile Fassade zulassen würde. Als Freitag sich als Außenseiterin outet, wird sie kalt verstoßen, denn es gibt nichts gottloseres und widernatürlicheres als künstliche Menschen und ihre bloße Existenz ist bereits ein Betrug an der Menschheit. Einer der großen und ergreifenden Momente der Geschichte – und nicht der einzige.
Ein weiterer Kritikpunkt, der am Roman Freitag geäußert wird, ist die episodenhafte Erzählstruktur. Es gibt zwar einen roten Faden sowie einige Entwicklungen, aber keinen präzisen Plot. Ich empfand diese Erzählweise sehr wohltuend, da ich moderne Erzählplots häufig als konstruiert und künstlich empfinde. Auch Neil Gaimans Sandman wurde immer wieder als mäandernd und ziellos kritisiert. Ich sehe in dieser Struktur viele Vorteile, wenn sie aus talentierter Hand kommt. Es ermöglicht Überraschungen und verhindert, dass zum Ende hin die Plotfäden allzu mechanisch abgearbeitet werden.
Erst gegen Ende des Romans (immerhin ca. 50 Seiten) verlässt Freitag die Erde, obwohl wir von Anfang an wissen, dass es ein großes Unversum mit besiedelten Planeten und Kolonien gibt. Dennoch erscheint dieses Universum plastisch, stimmig, fantasievoll und anregend. Man hat nie das Gefühl von ungenutztem Potenzial. Vergleiche ich Freitag mit Werken, die ich kenne, fällt mit Alan Moores Halo Jones ein. Halo Jones wurde in 2000 A.D. mit Worten angekündigt, mit denen sich ohne Probleme auch Robert Heinleins Freitag beschreiben lässt: „Where did she go? Out. What did she do? Everything.“ Genau das selbe kann man ohne Übertreibung über Freitag sagen.