In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: Ich bin diese Woche nicht zu viel gekommen, denn ich habe in jeder freien Minute die Serie Scalped gelesen. Auch Frank Plein, der im letztjährigen Comic-Jahrbuch einen begeisternden Aufsatz über Ralf König geschrieben hat, schätzt Scalped sehr. In seinem Buch über kreatives Erzählen, Der Comic im Kopf, landet Scalped auf Pleins persönlicher Top Ten der besten Autorencomics, gleich neben Ralf Königs Super Paradise.
Frank Plein erklärt in seinem Buch perfekt, was Scalped zu einem außergewöhnlichen Comic macht: „Jason Aarons Vertigo-Comicserie Scalped würde sich in ihrer Machart kaum von einer TV-Serie wie The Shield unterscheiden, wären da nicht immer lange Passagen, die in den Gedanken der Figuren stattfinden.“ Das stimmt. Immer wieder gibt es spirituell aufgeladene Bilder, beispielsweise, wenn Chief Red Crow in den Spiegel blickt und plötzlich einen riesigen verwesenden Elch auf seinen Schultern erkennt. Solche Bilder sind gleichzeitig real, weil sie das Innenleben der Figur perfekt zeigen als auch irreal, weil sie nicht nur zeigen, was objektiv sichtbar ist, sondern die Realität überdehnen. Und genau das lässt die Erzählung auf mehr als nur einer Ebene funktionieren.
Natürlich funktioniert solches Erzählen vor allem im Comic wunderbar, aber es gibt auch Filmregisseure, die mit objektiver und subjektiver Realität gut jonglieren können, ohne den Zuschauer zu verwirren. Spike Lee beherrscht dieses Spiel perfekt. Im Film 25 Stunden gibt es am Ende eine lange Sequenz, bei der die Grenzen zwischen dem, was objektiv geschieht und dem, was nur im Kopf einer Figur geschieht, immer mehr verschwimmen, bis Innenleben und Außenwelt nicht mehr voneinander unterschieden werden können.
Eine Szene in Scalped zeigt Dashiell Bad Horse, den Helden der Story, in einer gefährlich depressiven Phase, als plötzlich seine Pistole zu sprechen beginnt und ihm die Schuld am Tod seiner Mutter und seinem verpfuschten Leben gibt. Der Revolver spricht also und spricht gleichzeitig aber natürlich nicht wirklich. Genau deshalb ist diese Szene so unheimlich aufgeladen. In Spike Lees Summer of Sam aus den Neunzigern gibt es eine ähnliche Szene: Der Serienkiller Sam erhält von einem unheimlichen schwarzen Hund den Befehl, zu töten. Aber auch das ist natürlich nur im Kopf des Killers. (In der Originalversion spricht der Hund mit der Stimme von John Torturro.)
Es bereichert eine in der Realität angelegte Erzählung sehr, wenn sie mit derlei surrealen bzw. dem Horrorgenre entlehnten Stilmitteln arbeitet. Wie profan dagegen ist eine Fantasy-Erzählung, wenn sie nur zeigt, was wirklich zu sehen ist. Eine echte Enttäuschung war in dieser Hinsicht der Film Amityville 2: The Possession. Ein junger Mann hört Stimmen, die ihm einflüstern, er solle seine Familie mit dem Gewehr töten. Als er alleine ist, nimmt er dann auch ein Gewehr in die Hand, wirft es dann aber wieder entsetzt von sich. Nur: Jetzt beginnt das Gewehr, vor ihm zu schweben. Es drängt sich ihm förmlich auf. Wie fesselnd wäre es an dieser Stelle doch, würde das Innenleben des Mannes auf diese Weise szenisch dargestellt werden. Aber leider nicht: Am Ende war das fliegende Gewehr leider tatsächlich nichts anderes als ein tatsächlich fliegendes Gewehr. Das ist doch eigentlich für einen Horrorfilm, der aufregend sein sollte, eher einfallslos und langweilig. Wie viel spannender sind dagegen die Untiefen der menschlichen Seele.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.