Als sich der spitznäsige Berufsjugendliche Rudi und dessen Kumpel Fred in ihrem ersten Comic in die rechte Kneipe „Bunker“ verirrten, konnte man als Leser sicher noch nicht erahnen, dass Peter Pucks Schöpfung über viele Jahre hinweg den deutschen Comic mitprägen sollte. Die erste Rudi-Erzählung erschien 1985 im Stuttgarter Stadtmagazin live, fortan veröffentlichten diverse Magazine die monatlichen Episoden und natürlich wurden diese in Sammelalben nach und nach gebündelt. Puck verfeinerte seinen Stil und Rudi mauserte sich bis in die 2000er Jahre hinein zu einer der aufregendsten und innovativsten deutschen Produktionen. Nach einigen Nominierungen wurde dem Künstler 2002 dann endlich der Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic-Künstler verliehen. Völlig zu Recht, wie ein jetzt in der Egmont Comic Collection vorgelegter Gesamtband eindrucksvoll dokumentiert.
Das überformatige Album wirkt äußerlich aufgrund seines Umfangs, seines Gewichts und seiner nicht minder gewichtigen Umschlaggestaltung beinahe monumental. Oder wie es auf dem Backcover mit anderen Worten geschrieben steht: „Edle Halbleinen-Ausstattung trifft auf Goldprägung – nobel geht die Welt zugrunde!“ Ein textlicher Zungenschlag, der mit dem frontal abgebildeten, süffisant grinsenden Rudi in Einklang steht. Insgesamt also eine interessante Mischung aus ernsthafter (verdienter) Huldigung eines herausragenden Gesamtwerks, andererseits eine bewusst ironische Überhöhung. Ein Vorgeschmack auf das, was bei einem Comicband eigentlich zählt: das Innenleben.
Zwischen die beiden Buchdeckel hat man alles an Material gepackt, das in den letzten 30 Jahren zu Rudi erschienen ist. Die insgesamt sieben Einzelalben sind hier komplett vorhanden, ergänzt durch Peter Pucks sogenannte Audiokommentare, also Einblicke des Künstlers in die Entstehung und die Hintergründe der jeweiligen Episoden. In der Anfangszeit, Mitte der 1980er Jahre, waren diese noch ungeschliffen, roh. Erst später fand Puck seinen Stil; die Zeichnungen wurden runder, die Texte pointierter und von einer extremen Schärfe. Puck gelang es, mit der Optik eines Funny-Titels in seinen Erzählungen einen ungeheuren Realismus zu transportieren. Und das bevorzugt innerhalb weniger Panels und in Form von Onepagern. Nebenbei lässt sich sein Rudi als eine Chronik von 25 Jahren deutscher Historie lesen: Neonazis, Anti-Atomkraft-Demos, Terrorismus. Keine Trends, Bewegungen, Entwicklungen, die in der Serie nicht mindestens im Hintergrund mitschwingen. Rudi selbst, der sorglose, leicht depressive Szenegänger, wird mit Puck und dem Leser irgendwie erwachsen (irgendwie aber auch nicht, das kennt man ja von nicht real alternden Comicfiguren). Und so dürfen er und seine illustre Schar an Nebenfiguren noch bis zum Ende von Geld, Sex oder Freiheit träumen und wir ihre bizarren Alltagserlebnisse zwischen Freizeitbeschäftigung, Umzug und Jobsuche mitverfolgen.
Puck beweist sich in seinem Langzeitprojekt als meisterhafter Künstler, als jemand, der es wie kaum ein anderer hierzulande versteht, drollige Figuren mit überzeichneten Gesichtsausdrücken in für den Leser urkomische wie nachvollziehbare Situationen zu bringen. Mit all seiner Fabulierfreude und seinem bitterbösen Humor mutet Puck fast wie eine moderne, extreme Abwandlung Carl Barks‘ an (der zweifelsohne als Inspirationsquelle gedient hat), reduziert auf wenige Panels und verankert im realen Leben. Dazu passt auch, dass die Rudi-Comics sich durch eine perfekt pointierte Erzählstruktur auszeichnen. Die Texte sind großartig gewählt, gepresst in vor Buchstaben berstende Sprechblasen entfalten auch die flachsten Gags innerhalb einer Seite enorme Wucht.
Nicht minder ansehnlich sind die vielen Zitate, Anspielungen und Parodien. Immer wieder streut Puck Verweise auf bekannte Comicfiguren ein, zieht sie durch den Kakao, stellt sie im Rudi-Stil dar oder benutzt sie, um sein eigenes Schaffen als Zeichner den Werken großartiger Vorgänger gegenüberzustellen. Hier wird auch eine Metaebene deutlich, mit der in Rudi stets geliebäugelt wird. Die Erwartung des Lesers wird ad absurdum geführt, kreative Lückenfüller werden gezielt platziert und rätselhafte Spielereien eingestreut.
Ab 1987 wurden die Rudi-Comics zuerst als Schwarz-Weiß-Alben im Heinzelmännchen Verlag publiziert, später folgte eine Farbausgabe von Ehapa. Welche Version, die ursprüngliche oder die kolorierte, man bevorzugt, bleibt wohl Geschmackssache. Der aktuelle „Fett & Komplett“-Band von Egmont setzt freilich auf die letztgenannte Variante, was gerade im Hinblick auf neu zu gewinnende Rudi-Fans die beste Entscheidung war. Als Bonusmaterial gibt es im Anhang der Ausgabe auch noch Extras wie Making-Ofs, Pin-Ups und zusätzliche Comicseiten. Ein Highlight ganz am Ende beschäftigt sich gar mit einem möglichen Nachfolger als Zeichner für zukünftige Rudi-Abenteuer. Dabei darf eine ganze Reihe bekannter deutscher Künstler Rudi und Fred in ihrem Stil zu Papier bringen. Ein großartiger Abschluss eines höchst zu empfehlenden Bandes. Eigentlich fast schade, dass das mit der extern betreuten Rudi-Weiterführung nur als Witz gedacht ist. Noch schöner wäre es aber sowieso, wenn man nach Jahren der Abstinenz viel mehr und regelmäßiger neue Comics aus der Feder des Rudi-Schöpfers bestaunen dürfte (mit oder ohne die Figur, die ihn so lange begleitet hat). Soviel Stress muss sein.
Eine toll gestaltete und um Bonusmaterial ergänzte Zusammenfassung eines Comicmeisterwerks; gerade wer Rudi noch nicht kennt, sollte hier zuschlagen
Egmont Comic Collection, 2015
Text/Zeichnungen: Peter Puck
352 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39,99 Euro
ISBN: 978-3-7704-3862-0