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Währenddessen… (KW 40)

Das Böse ist ein Virus. Und zu Der Große Reset von Ika Sperling ist noch längst nicht alles gesagt.

Was ich noch sagen wollte … Alle Abbildungen (c) Reprodukt, Ika Sperling

Christian: Von William Friedkin wird behauptet, dass er einmal gesagt habe, das Böse sei ein Virus. Wenn dem so ist, dann ist das in Ika Sperlings Comicdebut Der große Reset erstaunlich gut abgebildet.

Sagen wir mal so: Nachdem ich meine Rezension zu Der große Reset veröffentlicht hatte, befiel mich eine innere Unruhe, dass ich irgendetwas übersehen haben könnte. Es gibt so Bücher und Filme, gibt Stories, da reicht ein kleines Detail und die ganze Story wird umgekrempelt, aufgewertet, umgedeutet. Ohne jetzt sehr ins Detail gehen zu können, denke ich, dass die Auschwitz-Filme Am Ende kommen Touristen oder The Zone of Interest dem nahe kommen, weil sie das Offensichtliche weglassen und sehr bewusst von der Peripherie des Unbeschreiblichen erzählen. Meine Kernaussage über Der große Reset war, dass der Familienvater, der aus dem Dschungel der Verschwörungstheorien nicht mehr herausfindet, krank ist. Wie bei einem an Demenz erkrankten findet man auf kindlicher Ebene zwar noch zueinander, aber es ist unmöglich, ernsthafte Gespräche zu führen.

„We take care of our own!“

Was aber entschieden zu kurz kam, ist die Dimension des Bösen. Sie ist sehr gut verborgen hinter all den harmlosen Spielen mit Hunden und Hühnern, die dem Buch über lange Strecken ein fast lähmende Illusion von Arglosigkeit verleiht. Aber sie schwelt im Hintergrund mit und bricht heraus, als Papa Sperling dem alten Familienhund einen Fleischspieß zuwirft, damit dieser ihn mit Stumpf und Stiel verschlingt. In Folge dessen erleidet der Hund innere Verletzungen, an denen er schlussendlich verendet. Hat der Vati das etwa in Kauf genommen? Er hat doch sonst den Durchblick.

Gegen Abend bemerken die beiden Töchter, dass es dem Hund nicht gut geht. Gemeinsam mit Papa fahren sie zum Tierarzt. Man muss wissen, dass Papa, trotz aller Verschwörungsschwurblerei für seine Töchter immer das Beste zu tun vorgibt, z.B. hat er ihnen internationale Geburtsurkunden beantragt, dass sie ihm zu seiner Enklave in Südamerika folgen können, wenn das Leben in Deutschland unerträglich wird. In allen anderen Lebensbereichen aber ist er kaltherzig, besserwisserisch, empathielos. Die Sorge um den Hund nimmt er im Wartezimmer des Tierarztes lediglich zur Kenntnis, während er Heftchen liest, später fahren er und Ika zu McDonalds (im Gegensatz zu Merkel und Drosten ist McDonalds offensichtlich unbedenklich), beide bestellen ein Happy Meal (über Vatis zunehmende Infantilisierung wissen wir schon Bescheid) und essen im Auto gemeinsam ihr Zeug. Und dann erzählt der Vater, dass er sich wegen des Hunds eigentlich keine Sorgen mache.

Vati: „Ach was! Der hat nur Magen. Es wird schon alles wieder gut. Mach dir keine Sorgen“

Ika: „Und was wenn nicht?“

Vati: „Dann können wir auch nichts dran ändern. Und dann ist es auch eigentlich egal.“

Weil eh alles den Bach runtergeht. Weil man Haus und Hof besser verkauft, um noch Geld für die Reise nach Südamerika zu haben, bevor man von der Regierung enteignet wird und dann am Ende noch  – wie der Reichsbürger hier bei mir um die Ecke – von der Polizei besucht und entwaffnet werden soll, woraufhin man natürlich von seinem Naturrecht Gebrauch macht, einen der übergrifigen Schergen erschießt und die nächsten Jahre im Gefängnis verbringt. (Wir hatten schon mehr von der Sorte in der Umgebung.)

Der Hund ist tot. Mutti weint, Papi grinst vor sich hin, Ika packt ihre Sachen.

Ika Sperling bringt, so sehe ich das im Nachhinein, doch sehr überzeugend diese absolute Selbstgerechtigkeit des Schwurblers auf den Punkt. Der Schwurbler weiß immer am besten über alles Bescheid, hat immer die besten Argumente und argumentiert grundsätzlich mit harten Fakten. Der kann am besten einschätzen, dass der Mensch immer noch über dem Tier steht und ist viel zu reflektiert, um sich von so etwas banalem wie der Sorge um ein Tier überwältigen zu lassen. (Die Republikanerin Kristi Noem findet so einer grundsätzlich gut.) Und über allem steht: We take care of our own! Keiner hat das Herz so am rechten Fleck wie Vati, der als einziger checkt, wann der richtige Zeitpunkt ist, das Haus noch zu verkaufen (und den Hund rechtzeitig um die Ecke zu bringen).

Bei dieser glasklaren, unumstößliche Weltsicht ist es kein Wunder, dass das Menschliche verblasst und nur noch die Silhouette übrig bleibt. Je mehr ich Ika Sperlings Buch drehe und wende, desto klarer wird mir, wie gut die Situation hier auf den Punkt gebracht ist. Und auch die Ironie des Titels erschließt sich mir erst jetzt: Vati fürchtet den großen Reset und führt ihn dann im Kleinen selbst herbei. Die ganze Familie ist zurückgesetzt auf Neustart, die ganze Zukunftsperspektive ist gelöscht, man kann nur ganz rudimentäre Dinge miteinander machen. Sie dominieren die Story. Der größtenteils unsichtbare Kontext ist dennoch immer Teil der Erzählung.

Ich bin nicht wahnsinnig zerknirscht über meine erste Rezension und befinde mich ja auch in guter Gesellschaft damit, wenn beispielsweise Timur Vermes ganz ähnlich die liebevoll, prollige Milieudarstellung des Comics lobt (Verqualmte Nabelschau), aber zu wenige Antworten auf die gestellte Fragestellung findet. Wenn ein Buch aber nach der Lektüre einfach weiter mit mir im Dialog bleibt – vielleicht war die vergeigte Rezension ja der Auslöser dafür – dann spricht das doch sehr dafür, dass Ika Sperling vieles richtig gemacht hat. Ich halte Der große Reset für einen wichtigen Beitrag zu einem Phänomen, das uns, wie ich fürchte, noch lange umtreiben wird. Intensive Beschäftigung lohnt sich. Ich hoffe, dass jeder, der meine alte Rezension gelesen hat, auch das hier liest.

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