Retro as retro can: In den 1980ern war die Geschichte um den Raketenmann schon ein tiefer Griff in die historische Kostümkiste, zwei Neuausgaben später ist der Nostalgie-Chic zum Meta-Retro-Klassiker geworden: The Rocketeer von Dave Stevens ist gerade bei Cross Cult wiederbeatmet worden.
Die Geschichte zum Ende der 1930er Jahre dreht sich um den unbekümmerten Next-Door-Hero Cliff Secord, der nicht besonders intelligent und alles andere als heroisch ist. Seinen Geldverdienst als abgehalfterter Showpilot meistert er so knapp über dem Mittelmaß, dass es gerade eben für die Notwendigkeiten des Alltags genügt. Für die Ansprüche seiner aufstrebenden Freundin Betty, die ihre Zukunft in Hollywood sieht, reicht ein Einkommen nicht aus. Cliffs Motivation, hoch hinaus zu kommen, ist also, wenn man so will, stark von außen motiviert.
Als zwei deutsche Militärspione in Cliffs Flugzeug einen gestohlenen Rucksack zurücklassen, legen sie den Grundstein einer abenteuerreichen Geschichte. In diesem Rucksack befindet sich ein Ein-Mann-Raketenantrieb, den Cliff natürlich nicht im Fundbüro abgibt, sondern für seine eigenen Zwecke verwendet: Geld für Betty auftreiben. Während die Nazis die Flugapparatur für ihre militärischen Weltkriegs-Ambitionen zu verwenden trachten, bemühen sich auch die amerikanischen Behörden, ihre technologische Innovation zurückzuerlangen.
Cliff rettet dit und dat, und dennoch gelingt es ihm kaum, seine Freundin Betty von sich voll und ganz zu überzeugen. Sie lässt sich vielmehr von dem schmierigen Klischee-Fotografen Marco umschwärmen, der ihr den Himmel in Hollywood verspricht – wobei Nacktfotos hilfreich wären. Natürlich. Betty hätte beinahe das Zeug zu einer komplexen und widerspruchsvollen Figur, im Gegensatz zum sonstigen Personal, wenn Stevens sie nicht eigentlich nur missbrauchen würde, alle paar Seiten einen halbnackten Blickfang in anzüglichen Posen zu inszenieren. Vorbild für die Figur war das amerikanische Pin-up-Girl Betty Page, das diesem Comic ein Comeback in Fankreisen verdankte.
Stevens war für seine (fast schon obsessive) Begeisterung für Betty Page bekannt, die auch dazu führte, dass die beiden sich später anfreundeten. Dieser Geist weht auch durch diese Gesamtausgabe und hat schon leichten Fetisch-Charakter. Die Obsession hat aber auch Einfluss auf das grafische Erzählen, wenn Panels und Posen eigentlich nur auf die Körperlichkeit einer Nebenfigur abzielen, ohne für die Handlung sinnvoll zu sein.
Die Publikationsgeschichte von The Rocketeer ist nicht weniger abenteuerlich als die erzählte Geschichte: Zunächst als sechsseitiger Lückenbüßer in einer Indie-Zeitschrift improvisiert, entwickelte sich The Rocketeer zu einem erfolgreichen Fan-Phänomen. In Starslayer #2 und #3 wurden 1982 die ersten beiden Kapitel, eher aus Verlegenheit, publiziert, dann Kapitel 3 und 4 in Pacific Presents #1 und 2 und schließlich 1984 der Abschluss des ersten Abschnitts mit Kapitel 5 bei Eclipse Enterprises in The Rocketeer Special Edition #1. Nach einiger Zeit und einem weiteren Verlagswechsel erschien die New-York-Geschichte in drei Ausgaben von The Rocketeer Adventure Magazine (1988, 1989 und 1995).
Der Comic war sehr erfolgreich, obwohl Dave Stevens die Story denkbar unauffällig platziert hatte. So gilt The Rocketeer als ein Phänomen der amerikanischen Independent-Szene, das spätestens durch die Disney-Verfilmung 1991 im Fahrwasser der erfolgreichen Comic-Verfilmungen Batman (Tim Burton, 1989), Teenage Mutant Ninja Turtles (Steve Barron, 1990) und Dick Tracy (Warren Beatty, 1990), in anderen Kreisen bekannt wurde. David Hoberman, damaliger Präsident von Touchstone und Walt Disney Pictures, erklärte der Los Angeles Times 1991, warum Disney sich für den Stoff interessiert hätte: The Rocketeer habe eine so simple heroische Struktur – ein einfacher Kerl gerät in etwas hinein und rettet am Ende die Welt. Christian Langhagen formuliert in seinem Vorwort zu der vorliegenden Ausgabe sehr freundlich: Die Geschichte sei „angenehm unkompliziert im dramaturgischen Aufbau“.
2008 verstarb Stevens 52-jährig an Leukämie, und im Dezember 2009 veröffentlichte IDW eine Gesamtausgabe der Stevens-Comics – für Fans der Serie gab es obendrein eine „Deluxe Edition“, die um einen Anhang (Skizzen, Cover etc.) von 100 Seiten erweitert wurde. Diese Veröffentlichung wurde mit einem Eisner Award als „Best Archival Collection/Project — Comic Books“ ausgezeichnet.
Die Cross-Cult-Ausgabe, die erstmals 2010 erschien (in Gelb) und nun neu aufgelegt worden ist (in Rot), ist mit keiner der beiden Ausgaben ganz und gar identisch: Sie enthält einige Cover als Bonusmaterial (wenn auch nicht in dem Umfang der amerikanischen Deluxe-Edition), außerdem eine Einleitung des Übersetzers Christian Langhangen und ein Nachwort von Christian Endres.
The Rocketeer hat seinen Schöpfer überlebt, nicht nur in solchen Neuauflagen. Zum 30-jährigen Jubiläum hat IDW im Jahr 2013 die vierteilige Serie The Rocketeer: Cargo of Doom von Mark Waid und Chris Samnee herausgebracht, außerdem Hollywood Horror (5 Ausgaben) von Roger Langridge und J Bone sowie das Crossover The Rocketeer / The Spirit: Pulp Friction (4 Ausgaben) von Mark Waid, J Bone und Loston Wallace. Wenn dieser Comicband damit wirbt, „alle Ausgaben in einem Band“ zu präsentieren, war dies 2010 natürlich richtig, 2020 müsste man ergänzen: alle Abenteuer von Dave Stevens. Walter Biggings hat in einer Rezension für The Comics Journal #291 (2013) für die Neuschöpfungen viel Applaus gespendet – weitaus mehr als für das Original, dessen erzählerische Ökonomie er an sehr anschaulichen Beispielen anfechtet.
Nostalgie ist das Pfund, mit dem The Rocketeer wuchert – die schlichten Figuren sind geradezu als Zerrbilder naiver Rückwärtsgewandtheit zu verstehen: So golden war kaum je ein Goldenes Zeitalter, wie Stevens es in seinen schönen Bildern und leuchtenden Farben zeichnet. Das gilt für die 1930er, für die Stevens‘ Leidenschaft brannte, ebenso wie für die 1980er, die diesen Comic hervorbrachten. Nostalgie hat immer etwas unangenehm Gefälliges, Heimeliges, Kuscheliges. Aber vielleicht ist dies genau die richtige Zeit dafür.
Nostalgie-Chic mit Raketenantrieb
Cross Cult, 2020
Text und Zeichnungen: Dave Stevens
Übersetzung: Christian Langhagen
160 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3-966583-92-3