Chen Uens Helden der östlichen Zhou-Zeit setzt sich mit einer kulturell bedeutenden Epoche in China auseinander, die als „Die Zeit der Streitenden Reiche“ in die Geschichtsbücher einging. Es ist die Epoche, in der der Kriegstheoretiker Sunzi Die Kunst des Krieges verfasste, ein Buch, das noch von Napoleon bewundert wurde und selbst heute noch einen großen Nachhall findet. Erst kürzlich griff der Autor Alexander Janni in seinem Roman Die französische Kunst des Krieges eine Anekdote daraus auf, die nun mit Chen Uens monumentaler Chronik auch in Comicform vorliegt: Darin wird erzählt, wie Sunzi seinem ungläubigen König beweist, dass man auch unerfahrene Hofdamen binnen einen Tages zum strammen Exerzieren bringen kann: Am ersten Tag lässt er sie marschieren und beobachtet deren albernes Getue und Disziplinlosigkeit, am Ende des Tages jedoch lässt er die beiden Lieblingskonkubinen des Königs köpfen, ernennt zwei neue Palastdamen zu Kompanieführern, und siehe da, am nächsten Tag hat er ein perfekt gedrilltes Heer von Hofdamen, die streng jeden Befehl verfolgen. Sicher, das ist ein Stoff, der auch das Herz eines Kim Jong Un höherschlagen lassen dürfte. Es ist eine gerechtfertigte Frage, ob diese Art von Kultur heute tatsächlich noch weitertradiert, vor allem ob sie respektiert werden muss. Helden der östlichen Zhou-Zeit erzählt aber auch Geschichten, die sich eher mit heutigen Wertvorstellungen in Einklang bringen lassen.
So wie diese: Ein Minister hat seinen Fürsten ermorden lassen. Nach dem Mord befiehlt er seinen Geschichtsschreibern, die Tat zu vertuschen und stattdessen zu schreiben, der Fürst sei am Sumpffieber verstorben. Der erste Schreiber fühlt sich der Wahrheit mehr verpflichtet als dem Befehl, er wird hingerichtet; dem zweiten ergeht es nicht anders, und auch der dritte riskiert sein Leben und schreibt die wahren Ergebnisse nieder. Er aber kann sich herausreden und damit sein Leben retten: „Ein Geschichtsbuch sagt, was war, und sonst nichts. Wenn ich die Wahrheit aufzeichne – nämlich, dass ihr den Fürsten heute getötet habt im Zorn darüber, dass er Eure Frau vergewaltigt hat, so wird vielleicht manch einer mit Euch mitfühlen. Aber falls ich die Wahrheit verfälsche, wird gewiss ein anderer sie überliefern – und dann würde meine Lüge nicht bloß Euer Vergehen nicht länger vertuschen können, sondern Ihr würdet auch umso größeren Spott von aller Welt auf Euch ziehen.“
Solcherlei archaische Geschichten lassen sich – auch im Zeitalter von Fake-News – nicht einfach abschütteln. Sie sind den Menschen in die DNA eingegraben. Von daher ist es erfreulich, dass das dreiteilige Werk des Taiwanesen Chen Uen, das in Japan den „Best Series Award“ der Japanese Cartoonists‘ Association erhalten hat, auch bei uns nun erscheint. Helden der östlichen Zhou-Zeit ist in Teilen durchaus eine sperrige Lektüre. Die vielen Intrigen und Fehden zwischen den kleinen Fürstentümern sind kompliziert und gerade für den unerfahrenen Leser zunächst schwer zu durchschauen. Aber bei genauerem Lesen ziehen einen die abwechslungsreichen Geschichten schnell in ihren Bann, und bald möchte man mehr lesen von Figuren wie dem weisen Konfuzius oder Zhao Dun, dem edelsten aller Attentäter. Man trifft aber auch schreckliche Gestalten, wie den verschlagenen Krieger Yao Li, der seine Frau ermorden und sich den Arm abschlagen lässt, um so das Vertrauen seines Feindes zu erschleichen, und man wird empfindlich gerührt vom furchtbaren Schicksal der Xi Shi, einer Dorfschönheit, die von den Mächtigen herumgereicht und am Ende tragisch geopfert wird. Es sind oft empörend grausame Geschichten.
Chen Uen hat sich diesen Stoffen mit angemessen formaler Strenge genähert. Seine Figuren zeichnet er gerne mit einem Minimum an Linien. Das erinnert ein wenig an Hugo Pratt, der davon träumte, ein Bild mit einer einzigen Linie zeichnen zu können. Neben diesem dynamischen, reduzierten Stil finden sich aber auch überbordende, detailversessene Ortsdarstellungen und Massenszenen, so dass ein interessantes Spannungsverhältnis in der Darstellung entsteht. Leider erkennt man an der Typografie, dass der Verlag Chinabooks im Comicbereich noch unerfahren ist. Das Nebeneinander zweier verschiedener Maschinenschriften ist sicher nicht die beste ästhetische Lösung. Die Übersetzung des promovierten Sinologen Marc Hermann dagegen liest sich gut, nur der gelegentliche Einsatz von Sound- und Kraftausdrücken wie „Schluchz“, „Argh“, „Uah“ oder „Boah“ wirkt manchmal etwas unbeholfen und fügt sich nicht so recht in den Rest des Textes ein.
Wie bereits die bisherigen Comicveröffentlichungen von Chinabooks sind auch die drei Bände der Helden der östlichen Zhou-Zeit zweisprachig und mit chinesischem Glossar. Der Verlag verspricht sich damit einen größeren Kundenkreis, da gerade Chinesen oft nur schwer Zugang zu taiwanesischen Comics haben und diese in China zensiert werden. Der Schweizer Chinabooks-Verlag dagegen kann eine unzensierte Ausgabe veröffentlichen. Für Chinesen ist das ein prima Angebot. Aber auch Fans historischer Manhua (der chinesische Begriff für Comics) sollten diesen Klassiker nicht ignorieren, denn abgesehen vom gewöhnungsbedürftigen Lettering ist die Ausgabe sehr schön geraten.
Einee chinesische Geschichtsstunde, die einen schnell in ihren Bann zieht.
Chinabooks, 2016/2017
Text und Zeichnungen: Chen Uen
Übersetzung: Marc Hermann
je 500 Seiten, schwarz-weiß und farbig, Softcover
Preis: je 28 Euro
ISBN: 978-3905816662, 978-3905816679
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