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Outlaw Nation 1: Das Ende

Outlaw Nation. Schon der Titel weckt Erinnerungen an den schnöden Antiamerikanismus, den ich in meiner Kindheit auf dem Land noch erleben – nicht jedoch erlernen oder gar verinnerlichen – musste.  Eigentlich hätte die von 2000 bis 2002 bei DC-Vertigo erschienene Serie ja The Great Satan heißen sollen, aber der Hausverlag DC hat gegen den Titel Veto eingelegt. Ob man es sich bei den Christen nicht verscherzen wollte oder ob man eine zu große Nähe zum gleichlautenden Jihad-Kampfbegriff verhindern wollte? Es ist normalerweise eher selten, dass eine Intervention von verlegerischer Seite etwas Gutes bedeutet, aber die Umbenennung hat uns tatsächlich den passenderen Titel beschert.

Alle Abbildungen © Dantes Verlag

Jamie Delano erzählt uns in seiner Outlaw Nation von einem ganz besonderen Clan von Underground-Helden, den sogenannten „Johnsons“. Vor 200 Jahren, in einer besonders unzivilisierten, gesetzlosen Zeit, haben die ersten Johnsons – so will es der Mythos – in einem kannibalischen Akt Indianer gegessen, woraufhin sich das Blut der Johnsons veränderte und sie und deren Nachfahren von nun an mehr oder weniger unsterblich, zumindest sehr schwer zu töten waren. Mit einer derart heftigen Erbsünde können auch nachfolgende Johnson-Generationen keine unbefleckt strahlenden Helden mehr sein.

Story Johnson ist der Name der Hauptfigur in Outlaw Nation. Als Autor von Groschenromanen hat er seinen Johnson-Cousins ein Denkmal gesetzt. Unendliches Erzählpotenzial.

Der Name Johnson, den Delano aufgreift, wurde durch Jack Blacks Buch You Can’t Win, einen autobiografischen Roman von 1926 geprägt, der von der Ehre unter Kleinkriminellen handelt. Der Beatnik-Autor William Burroughs, den Jamie Delano bewundert, hat in seinem Vorwort einer späteren Ausgabe zu You Can’t Win über die ehrenvollen Johnsons in deutlicher Abgrenzung zu deren Gegenpol, den sogenannten Shits geschrieben: „Ein Johnson bezahlt seine Schulden und steht zu seinem Wort“ sowie „Jeder Johnson macht manchmal Sachen, die scheiße sind. Letztlich aber wird er dies bedauern. Es kommt aber sehr selten vor, dass ein Hardcore-Scheißer wie ein Johnson handelt. Er hat schlichtweg keine Ahnung, was es bedeutet, ein Johnson zu sein und ist deswegen unbeirrt dem gegensätzlichen Standpunkt verpflichtet.“

Jamie Delano hat sich diese Worte von Burroughs angeeignet, um seine ganz eigene Geschichte über Johnsons und deren Kodex zu erzählen. Ebenso wie Jack Blacks Figuren aus You Can’t Win, ebenso wie William Burroughs Figuren aus Naked Lunch oder Junky, verbringen seine Johnsons ihr Leben – um jetzt auch noch Patti Smith, eine weitere Underground-Ikone, zu zitieren, „outside our society“. Zwar gibt es auch einen Johnson, der als FBI-Agent arbeitet, doch ist das – „doing shitty things at times“ – nur eine Phase.

Eines jedoch verbindet alle Johnsons. Sie alle sind mehr oder weniger durch den Wind – traumatisiert, verkorkst, drogensüchtig, verbittert, verwildert, verbuscht oder ähnliches. Und sie alle einigt die Sehnsucht nach einem Zufluchtsort, „the place“, an dem sie einfach nur sie selbst sein können. Doch gerade dieser Sehnsuchtsort ist schon längst zusammengeschrumpft auf ein waffenstarrendes Fort, das unter Belagerung steht, denn die Johnsons werden vom hässlichen Karikatur-Kapitalisten Asa, dem „great Satan“, der ihr Unsterblichkeitsblut anzapfen will, verfolgt und interniert.

Manchmal aber kann man an der Literatur auch verzweifeln. Man beachte das Zippo mit der „Fuck War“-Aufschrift. Jamie Delano grenzt sich damit scharf ab von Garth Ennis, in dessen Preacher-Comics es ein Zippo mit der Aufschrift „Fuck Communism“ gab.

Outlaw Nation ist wie nahezu alle Arbeiten Jamie Delanos sehr von dessen persönlichen Vorlieben geprägt. Schon Delanos Hellblazer (1988-1991) handelte konsequent von unangepassten, antibürgerlichen Figuren, gleichzeitig war seine Version von John Constantine die menschlichste und sympathischste, die es je gab. Auch seine Version von Animal Man war komplett anti-establishment und ein einziger, 27-Hefte-währender Hippie Dream. Kaum weniger radikal waren seine zahlreichen Miniserien wie Ghost Dancing oder Graphic Novels wie Hell Eternal oder Tainted, die alle mit dem Bruch mit der Gesellschaft flirteten. Gäbe es eine Gerechtigkeit auf der Welt, hätte Outlaw Nation Delanos größtes Werk werden können. Aber leider hat der „big lawmaker“, der Konzern DC, dem „little outlaw“ Delano zu früh den Saft abgedreht. Erschwerend hinzu kommt, dass sich Delano in seiner Unbekümmertheit auch selbst im Weg gestanden ist, indem er seine Story eher planlos draufloserzählte und sich zu sehr auf die Kraft seiner Grundprämisse verließ.

Schade, denn schon bei seinem furiosen Hellblazer-Run kamen die besten Hefte erst nach über zwei Jahren. Outlaw Nation dagegen bekam nur eineinhalb Jahre und Delano musste seine Energie zudem in die Abarbeitung seiner Handlungsstränge stecken, anstatt uns einen phantasievollen Teppich an neuen Ideen ausbreiten zu können. Handwerk am Plot anstelle ausschweifender Erzählkunst also. Aber ein echter Johnson ist das Straucheln gewöhnt. Schlimm nur, dass „The Man“ die kleinste Schwäche sofort gegen ihn zu verwenden weiß. Fuck the System!

So geht Underground!

8von10Outlaw Nation 1: Das Ende
Dantes Verlag, 2019
Text: Jamie Delano
Zeichnungen: Goran Sudzuka
Übersetzung: Jens R. Nielsen
180 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 17,00 Euro
ISBN: 978-3-946952-43-5
Leseprobe

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