Wenn sie deinen Namen kennen, haben sie Macht über dich. Auch Grant Morrison ist das bewusst, deswegen bleibt der titelgebende Held seines neuen Comics aus gutem Grund namenlos. So kann sich dieser Paranoiker, ein Spezialist fürs Okkulte, jeglichem Zugriff entziehen. Aber weshalb nur wird er mitgenommen auf eine Weltraummission, auf der es doch nur darum geht, einen Asteroiden aus seiner Flugbahn zu bomben? Das mochte in den 1970er Jahren im Film Meteor mit Sean Connery noch ein brauchbares Szenario für einen zweistündigen Katastrophenfilm sein, in einem Grant-Morrison-Comic von 2015 ist dieses Szenario erst mal Kindergeburtstag. Aber der Asteroid ist eben nicht nur ein Asteroid, sondern fliegt aus einer Paralleldimension zu uns herüber. Auf ihm befinden sich außerirdische Anlagen, die die letzten Geheimnisse des Lebens verbergen. Oder öffnet sich beim Betreten vielleicht das Tor zur Hölle?
Erinnerungen an John Carpenters Prince of Darkness werden wach, in dem der Teufel aus einer Spiegeldimension zu uns herüberkommen möchte. Solcherlei Dualität hat schon seit jeher einen festen Platz in Morrisons Erzählkosmos. Am deutlichsten wurde das in seiner 90er Jahre-Serie Invisibles formuliert: Es gibt zwei unterschiedliche Welten, die sich jeweils als Kreise abbilden lassen. Die Welt, in der wir leben, ist der Bereich, in dem sich diese Kreise überlappen, und da beide Kreise für unterschiedliche Denksysteme stehen, sind Chaos, Widersprüche und Konflikte die Folge. Ein Gedankenmodell, simpel wie das Platonsche Höhlengleichnis, aber auch sehr konstruiert. Im Grunde plausibel wie eine Verschwörungstheorie, doch derlei Darstellungen sind in ihrer Klarheit verführerisch. Aber ist in der Welt wirklich alles dual? Sei ’s drum. Nameless ist Horror Lovecraftscher Prägung. Da bedarf es keiner subtilen Betrachtung. Das Weltall ist sinnlos und bevölkert von Monstern – der Mensch ist nur ein kranker Zufall und Gott ist böse.
In der ersten Hälfte von Nameless zieht uns Morrison sehr geradlinig in eine Weltraumerzählung, die allmählich in einen Albtraum mündet, um etwa zur Hälfte in bewährter Weise ins Nonlineare umzuschwenken. Zeitebenen werden zerschossen, und die bisherige Handlung wird in einer Alternativerzählung gespiegelt, die mehr und mehr die ursprüngliche Erzählung überlagert. Immer wieder treten die Figuren auch völlig aus der Handlung heraus. Perspektiven wechseln, Imaginiertes und Erlebtes sind nicht mehr voneinander zu trennen. Wie immer ist Morrisons Cut-Up-Erzählweise ebenso verführerisch wie fordernd, doch suggeriert sie mehr Vielschichtigkeit, als sie am Ende liefert. Denn seien wir doch mal ehrlich: Grant Morrisons Methode, seelische Konflikte durch kosmische Opern abzubilden, hat sich schon seit einiger Zeit etwas abgenutzt.
Morrisons irritierende Erzählweise zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Was er zeigt, ist nicht real im Sinne einer greifbaren Handlung, psychologisch ist es das dafür umso mehr. Er zeigt innere Konflikte, die sich über unterschiedliche Zeitebenen, Kontexte und Projektionen auf unterschiedliche Figuren artikulieren. Damit bildet er kraftvoll das Innenleben eines kranken Gehirns ab, das nach Erlösung strebt und diese – so wird es angedeutet – auch findet. Wir gehen zusammen mit dem Namenlosen auf eine atemberaubende Reise und lernen dabei seine Albträume wie seine Hoffnungen kennen. Wir intellektualisieren mit ihm und folgen ihm auch in die dunkelsten Abgründe, und schlussendlich geht es auch um die Frage, wie man nach einer unbeschreiblich grausamen Tat Erlösung finden kann.
Man kann die Erzählung sicher auch anders deuten, denn Grant Morrison bleibt ergebnisoffen und lädt zum Interpretieren ein. Mir persönlich ist die Erzählperspektive, die weitgehend durch die zerstreute und subjektive Perspektive eines kranken Gehirns vermittelt wird, bei aller Bildgewaltigkeit, zu deprimierend und zu eindimensional. Wie oft wollen wir uns noch zur Empathie mit Psychopathen, Junkies und Hammermördern verführen lassen? Grant Morrison erzählt brillant und bleibt doch schal.
Über jeden Zweifel erhaben ist aber das Artwork von Chris Burnham, der die erzählerischen Volten des Autors in verführerische Bilder und Szenen umsetzt. Der eigentliche Star des Buchs jedoch ist der Kolorist Nathan Fairbairn. Selten habe ich eine ähnlich inspirierte Digitalkolorierung gesehen. Allein schon wegen der Farben ist Nameless ein Fest für Horrorfans. Endlich einmal ein Kolorist, der die Linien des Zeichners nicht mit Düsternis zukleistert und durch reduzierte Farbpalette nur langweilt.
Es mag Chris Burnham sein, der uns durch geschickte Bildkompositionen in die Handlung hineinzieht, aber erst Nathan Fairbairns Farbgebung lässt uns staunen. So ist Nameless am Ende doch ein bemerkenswerter Comic geworden, über den sicher auch in einigen Jahren noch gesprochen wird. Es sind die Bilder, die Nameless Gewicht und Substanz geben, aber es ist Morrisons Erzählung, die Burnham und Fairbairn zu ihren atemberaubenden Bildern erst angeregt hat. Hier haben sich Künstler zusammengefunden, die tunlichst noch öfter zusammenarbeiten sollten. Keiner wäre ohne den anderen zu solcher Leistung fähig.
Horrortrip in einer künstlerischen Traumkonstellation
Cross Cult, 2017
Text: Grant Morrison
Zeichnungen: Chris Burnham
Farben: Nathan Fairbairn
Übersetzung: Sarah Weißbeck
192 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3959814263
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