Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Fulgur 1 – Am Boden des Abgrunds

Homanns Heringssalat (mit Rote Bete) wird bei Penny als Berida-Heringssalat (auch mit Rote Bete) verkauft. Christophe Bec verkauft seinen Storysalat auch mehrfach, mal mit Dinos, jetzt mit gigantischen Urzeitheringen.

alle Bilder © Splitter Verlag

Die koralline Titelschriftart verrät schon, dass der Vielschreiber Bec sich diesmal nicht auf fremden Planeten (Absolute Zero, Siberia 56) bewegt, sondern die irdische Tiefsee bereist – keineswegs zum ersten Mal: Bereits in Carthago (2007–18) schickte er die Leser in den Pazifik, in Heiligtum (2001–04) in die Tiefen des Mittelmeers, in Fulgur wird es karibisch, aber in 4000 Metern Tiefe warten keine fototauglichen Korallen auf die Besatzung der Goliath, sondern die unfassbaren Grauen des Meeres (ja, die kitschige Formulierung ist Absicht).

1907: Alles beginnt mit einem einem Vortrag von Professor Pierre Claudian, der kassandrisch verkündet, was ihm keiner glauben mag: Er habe einen „radio-elektromagnetischen Wirkstoff“ entwickelt, der es ermögliche, die Schwerkraft zu überwinden und unfassbare Energie zu erzeugen. Die bornierte Academia von Paris verlacht den visionären Forscher, aber der vollbärtige Vollblut-Scientist lässt sich von seinem Plan nicht abbringen und überzeugt einen amerikanischen Geldgeber von seiner Erfindung. Umgeben von einem fünfköpfigen Kernteam, bestehend aus seinem treuen Begleiter und Ingenieur Paul, dem Financier Joe Kens, dem Schweizer Haudegen Monsieur Maraval und dem Techniker Dartel, bricht er zur Straße von Yucatan auf, um dort mit seinem U-Boot, der „Fulgur“, auf Schatzsuche in 4000 Meter Tiefe zu gehen. Betrieben wird es von seinem selbsterfundenen Radio-Fulgurit, und alles wäre gut gegangen, wenn nicht – surprise, surprise – etwas schieflaufen würde. Die Fulgur taumelt in den Tiefseegraben und wird in einer unterseeischen Höhle von gigantischem Ausmaß begraben. Damit ist das eigentliche Setting einigermaßen plausibel hergestellt und die Handlung kann Fahrt aufnehmen: Die Abenteurerclique trifft auf allerlei vorzeitiges Viehzeug und verarbeitet dies, soweit möglich und nötig, zu gigantischem Heringssalat. Der Band endet mit einem Showdown „Mensch vs. Best-of-Evolution“ und verweist konventionsgerecht auf die Fortsetzung in Band 2.

Die auf drei Bände angelegte Serie, die in Frankreich erst im Mai 2018 abgeschlossen wurde, schließt an die vielen Unterwassergeschichten von Christope Bec an, aber mehr noch an dessen Adaption von Arthur Conan Doyles Roman Die vergessene Welt (2013–17). Auch dort wird ein bärtiger Wissenschaftler von seinen Kollegen verlacht, bricht dann aber mit vier Begleitern auf eine Expedition auf, die aller Wahrscheinlichkeit trotzt: Zusammen mit dem Haudegen John Roxton, dem Journalisten Mister Malone, seinem Freund Pablo (in Fulgur: Paul) und dem Professor Summerlee bereisen sie ein hermetisch abgeschirmtes Terrain, auf dem sie Iguanodons finden (in Fulgur: Morasaurier). Es hat ja etwas Rührendes, wenn ein Autor seinen Plot so großartig findet, dass er ihn einfach noch einmal wiederholt, aber in dieser Ausprägung macht es schon den Eindruck einer ideenlosen Publikationsmaschinerie. Das überrascht bei dem gewaltigen Output des Vielschreibers Bec nicht wirklich, der in den vergangenen 15 Jahren etwa 55 Alben veröffentlicht hat. Nur kann man die Bricolage der eigenen Plots nicht dermaßen auf die Spitze treiben, ohne seine Leser zu langweilen.

Original und Selbstkopie: Der Wissenschaftler wird von seinen Kollegen verlacht (links: Die vergessene Welt; rechts: Fulgur)

Was die Serie dann aber beinahe rettet, sind die Illustrationen des serbischen Zeichners Dejan Nenadov, der in Deutschland noch keine große Bekanntheit erreicht hat, in Frankreich aber durch seine Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Pécau und Jean-Luc Istin etwas populärer ist. Er verleiht mit seinen exaltierten Illustrationen dem Comic den Charme von Science-Fiction des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts – eben die Zeit, in der Fulgur spielt. Man mag an die Genre-Klassiker von Jules Verne denken, Nenadov aber verweist in seiner Widmung auf den britischen Unterhaltungsschriftsteller William Hodgson Hope (1877–1918), dessen Kurzgeschichten und wenige Romane nur in ausgesprochenen Fan-Kreisen bekannt sein dürften. Vielleicht lohnt ja ein Blick in dessen Short Story-Sammlung Deep Waters (1967), um Nenadovs Begeisterung etwas nachzuspüren. Immerhin: Auch H.P. Lovecraft sei von Hope begeistert gewesen.

Fulgur darf man nicht vorwerfen, was der Comic nicht verheimlicht: Es ist Genrearbeit, bei der im Zentrum das SF-Setting und das Abenteuer stehen. In diesem Sinne ist Fulgur auch ganz gut zu ertragen, und die etwas weniger spannenden Szenen lassen sich dann auch tolerieren, wenn man als Leser dann mit schönen Illustrationen entlohnt wird. Aber es hätte dem Comic gutgetan, etwas weniger handlungsfixiert daherzukommen, etwa einen interessanten Dialog zu bieten, der nicht nur dazu dient, den Raum bis zur nächsten Abenteuerszene mit Wörtern zu füllen. Etwas Neues, nicht nur eine Kopie dessen, was schon einmal auf dem Buchmarkt funktioniert hat. Etwas Mut. Ich bin mir sicher, Bec würde es schaffen, wenn er es versucht. Denn mal ehrlich: Auch wer Heringssalat mit Rote Bete gern isst (das kann ich nicht von mir sagen) – das kann man nicht jeden Tag essen.

Heringssalat à la Bec

4von10Fulgur 1 – Am Boden des Abgrunds
Splitter, 2018
Text: Christophe Bec
Zeichnungen: Dejan Nenadov
Kolorierung: Tanja Cinna
Übersetzung: Harald Sachse
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 15,80 Euro
ISBN: 978-3962191382

Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.